Ein Freudentag in Cannes also. Dabei war im Vorfeld der diesjährigen Festspiele von viel Knatsch und Querelen die Rede. Was ist da los bei den Festspielen?
Festivalchef Thierry Frémaux, der seit 17 Jahren im Amt ist, hat ordentlich für Wirbel gesorgt in den zurückliegenden Wochen. Man hat fast den Eindruck, als hätte er sich vorgenommen, jetzt endlich mal andere Seiten aufzuziehen. Zum einen hat er – aus Sicherheitsgründen, aber auch aus Anstandsgründen – ein Selfie-Verbot für den roten Teppich ausgesprochen. Das hat für Amüsement gesorgt.
Zum anderen hat es Frémaux zum Bruch – zumindest vorübergehend - mit dem Onlinestreaminganbieter Netflix kommen lassen. Netflix ist mittlerweile ein gigantischer und einflussreicher Filmproduzent, der natürlich für seine Abonnenten produziert und nicht für die abendlichen Filmvorführungen im Kino. Cannes aber feiert das gute alte Kino, steht sehr unter dem Einfluss der französischen Kinobetreiber. Die wollen ihr Prestigefestival nicht als Präsentierteller für die Onlinekonkurrenz missbraucht sehen. Da sind also in diesem Konflikt die Rezeptionswelten aufeinandergeprallt: Das Festival besteht darauf, dass jeder Film, der im Wettbewerb zu sehen sein wird, auch ins Kino kommt. Darauf hat sich Netflix nicht eingelassen und am Ende sogar alle seine angekündigten Filme aus dem gesamten Festival abgezogen.
Das hat für ordentlich Wirbel gesorgt, weil man natürlich daran die Frage stellen kann: Wie zeitgemäß ist das prominenteste Filmfestival der Welt eigentlich noch? Können die sich leisten, solch einen Giganten wie Netflix auszuschließen? Verlieren die womöglich den Anschluss an die filmische Zukunft? Also, ein großes und sehr kontrovers diskutiertes Thema, das uns auch weiterhin begleiten wird.
Ein großes Thema der zurückliegenden Monate ist die #MeToo-Debatte, die im Filmbusiness ihren Anfang nahm. Ist damit zu rechnen, dass #MeToo die Filmfestspiele bestimmen wird?
Sicher wird das Thema immer wieder zur Sprache kommen – so war es bei der Berlinale im Februar ja auch. Man muss ja auch betonen, dass der Filmproduzent Harvey Weinstein, mit dessen sexuellen Übergriffen ja die #MeToo-Lawine mit Enthüllungen ins Rollen kam – dass er über Jahre Stammgast in Cannes war, und dass einige der Vorfälle, die ihm zur Last gelegt werden, hier in Cannes passiert sind. – Not-Hotline eingerichtet für Opfer von sexueller Gewalt
Im Jahr 1 nach diesen Enthüllungen wir noch genauer – als sonst schon – auf die Geschlechtergerechtigkeit geschaut – also die Frage gestellt, wieviel vom Filmkuchen denn überhaupt Frauen abbekommen. Mit nur drei Regisseurinnen in einem Wettbewerb mit 21 Filmen – das ist wirklich eine enttäuschende Zahl. Festivalchef Frémaux betont immer wieder, es werde keine "positive Diskriminierung" von Frauen geben in Cannes – also: Der Film einer Frau wird nicht in den Wettbewerb kommen, nur weil er von einer Frau stammt. Aber zufrieden scheint er mit dem Schnitt drei von 21 auch nicht zu sein, deshalb verweist er sehr stolz auf die Wettbewerbsjury – fünf von neun Mitgliedern sind weiblich. Die Präsidentin ist eine Frau, nämlich die australische Schauspielerin Cate Blanchett – und die engagiert sich an prominenter Stelle in der Time's Up-Bewegung. Dann sind die Schauspielerinnen Léa Seydoux aus Frankreich und Kristen Stewart aus den USA mit von der Partie, eine Musikerin aus Burundi – Khadja Nin. Man schmückt sich mit dem Fakt, dass die neun Jurymitglieder aus sieben Ländern von fünf Kontinenten stammen.
Wie steht es nun um den diesjährigen Wettbewerb? Große Namen? Womöglich deutsche Beteiligung?
Nein, im Wettbewerb ist kein deutscher Film. Der deutsche Regisseur Ulrich Köhler ist in der sogenannten Nebenreihe vertreten mit seinem neuen Film; und Wim Wenders Dokumentarfilm über Papst Franziskus läuft auch nicht im Wettbewerb, sondern wird in einer Sondervorführung gezeigt.
Aber davon abgesehen, finde ich den diesjährigen Wettbewerb – bisher ja nur von der Papierform – sehr vielversprechend: Der Nouvelle-Vague-Altmeister Jean-Luc Godard ist vertreten mit beeindruckenden 87 Jahren und einem neuen Filmessay. Spike Lee aus den USA präsentiert seinen neuen Film über einen wahren Fall – ein afroamerikanischer Polizist unterwandert den Ku-Klux-Klan. "Blackklansman" heißt der Film mit dem Sohn von Denzel Washington in der Hauptrolle: John David Washington. Der Filmkontinent Asien ist stark vertreten, mit zwei Filmen aus Japan, einem aus Südkorea, einem aus China.
Dann wird Asghar Farhadi mit einem Thriller den Wettbewerb heute Abend eröffnen: Penelope Cruz und Javier Bardem spielen die Hauptrollen, damit gleich zu Beginn der Promifaktor sehr hoch ist.
Und dann werden natürlich besonders die Filme von zwei Regisseuren erwartet, die beide womöglich nicht nach Cannes werden reisen können. Jafar Panahi aus dem Iran – er steht seit 2010 unter Berufsverbot und Reiseverbot. Zur Berlinale, wo er vor ein paar Jahren für "Taxi Teheran" mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde, da konnte er auch nicht persönlich hinkommen.
Und der andere Regisseur ist Kirill Serebrennikov, dem in seiner russischen Heimat die Unterschlagung öffentlicher Gelder zur Last gelegt wird. Deshalb steht er unter Hausarrest in Moskau. Dieser Arrest wurde kürzlich bis Mitte Juli verlängert – trotz anhaltender Proteste auch aus dem Ausland. Auf diplomatischer Ebene, so hieß es, sollte versucht werden, Panahi und Serebrennikov nach Cannes zu bekommen. Ob das gelingen wird, ist fraglich. Auf alle Fälle steht fest, dass es sehr politisch zugehen wird in diesem Jahr hier in Cannes.
Auch die Popcorn-Fraktion wird auf ihre Kosten kommen: Der neue Star-Wars-Film nutzt die Werbekraft von Cannes, kurz vor dem weltweiten Kinostart: "Solo - A Star-Wars-Story". Die Vorgeschichte von dem Charakter Han Solo, den seinerzeit Harrison Ford spielte."[*]
[*] Anmerkung der Redaktion:
An dieser Stelle war in der ursprünglichen Version eine Gesprächsnotiz enthalten, die inhaltlich nicht zutreffend war.
An dieser Stelle war in der ursprünglichen Version eine Gesprächsnotiz enthalten, die inhaltlich nicht zutreffend war.