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Auftritte türkischer Minister in Deutschland
"Demokratie und offene Gesellschaft sind stärker als dümmliche Sprüche Erdogans"

Man könne nicht einerseits Regierungsmitgliedern untersagen, zu Auftritten nach Deutschland zu kommen, und zugleich mit dieser Regierung ein Flüchtlingsabkommen abschließen, sagte der Grünen-Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit im Deutschlandfunk. Eine Demokratie müsse solche Auftritte aushalten.

Daniel Cohn-Bendit im Gepsräch mit Dirk Müller |
    Portrait des Grünenpolitikers Daniel Cohn-Bendit.
    Der Grünenpolitiker Daniel Cohn Bendit (imago stock&people)
    Die Diskussion über Auftritte türkischer Politiker in Deutschland erhält weitere Nahrung, nachdem eine Rede von Außenminister Cavusoglu in Hamburg abgesagt worden ist.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Recep Tayyip Erdogan und sein Nazi-Vergleich – Empörung ist eine Sache. Doch was gebietet kluge Politik? Wie soll Berlin auf den türkischen Präsidenten und seine Attacken reagieren? Die Eskalation an diesem Wochenende ist omnipräsent, nicht nur in der deutschen, in der türkischen Politik und in den Medien nahezu weltweit hat die Auseinandersetzung zwischen Berlin und Ankara Aufmerksamkeit gefunden.
    Entzündet hat sich das Ganze am inhaftierten Journalisten Deniz Yücel und an den anschließenden Auftrittsverboten türkischer Minister in Gaggenau und in Köln-Porz. Nun kommt die nächste Absage: Die Stadt Hamburg gibt dem türkischen Außenminister einen Korb.
    Nach Gaggenau und Köln nun die nächste Absage: Hamburg. Ein Problem mit dem Brandschutz in der Veranstaltungshalle, das die offizielle Begründung. – Am Telefon ist nun der grüne Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit. Guten Morgen.
    Daniel Cohn-Bendit: Guten Morgen.
    Müller: Herr Cohn-Bendit, wussten Sie, dass deutsche Hallen so viele Defekte haben?
    Cohn-Bendit: Nee. Das ist auch lächerlich und ich finde das auch gefährlich. Diese administrative Guerilla hier, nicht zu verbieten, aber zu verhindern, ist, sagen wir, einer demokratischen Gesellschaft wie der deutschen Gesellschaft nicht würdig. Klar, die türkischen Äußerungen der Regierung sind unangenehm. Klar ist, dass Erdogan wirklich jedes Maß verloren hat. Klar ist, dass er spinnt, kann man so sagen. Aber das sind keine Gründe, Veranstaltungen zu verbieten. Die Demokratie und die offene Gesellschaft sind stärker als diese dümmlichen, unangenehmen Sprüche von Erdogan.
    Und zweitens: Es ist eine Falle und die deutsche - nicht - Regierung, aber im Grunde genommen die Verwaltungsebenen sind in die Falle auch reingetappt, und jetzt weiß man nicht, wie man da rauskommt. Erdogan will ja eigentlich nur Propaganda machen und er ist jetzt das Opfer.
    Müller: Ist das eine Falle, die die Bundesregierung gestellt hat?
    Cohn-Bendit: Na ja, das ist ja kompliziert, weil solche Erlaubnisse, Genehmigungen auf der administrativen Ebene von Kommunen gegeben werden. Die Bundesregierung hat kein Verbot ausgesprochen, denn die Minister können ja einreisen. Sondern die Stimmung ist aufgeheizt, mit Recht ist sie auf der einen Seite aufgeheizt, wegen der Verhaftung von Deniz Yücel, wie auch Erdogan gebietet. Das verstehe ich. Aber man kann nicht sagen, die Bundesregierung könnte gar nicht und wäre völlig verrückt, so ein Verbot auszusprechen.
    "Verbote sind nicht in Ordnung"
    Müller: Aber Sie finden das in Ordnung, dass die Kommunen, dass dort auch Veranstalter, dass dort Lokalpolitiker, Kommunalpolitiker, die sonst zumindest ja nicht in dieser großen politischen Dimension denken müssen, auch in keiner außenpolitischen Dimension, diese Entscheidung vor Ort dann treffen?
    Cohn-Bendit: Na ja, das ist so im Recht. Veranstaltungen werden nicht von der Bundesregierung genehmigt. Zum Glück! Wo kämen wir da hin. Ich finde es nicht in Ordnung, dass sie es verbieten, …
    Müller: Weil Redefreiheit über alles geht?
    Cohn-Bendit: Ja natürlich! – Natürlich!
    "Es gibt auch in Deutschland Redefreiheit für die AfD"
    Müller: Ohne Einschränkung? Egal wer kommt?
    Cohn-Bendit: Ja natürlich! – Natürlich! – Wer will entscheiden, wer reden darf und nicht reden darf? Ich sage ja nicht, dass es angenehm ist, aber wer entscheidet, was angenehm ist, und auf welcher Ebene. Wenn morgen ein kurdischer, übermorgen irgendeiner reden wollte und das gefällt einer Kommune nicht, dann sagt sie, nee, dürfen wir nicht. Es gibt auch in Deutschland Redefreiheit für die AfD. Mein Gott, das gefällt mir nicht, aber das ist so in der demokratischen Gesellschaft. Es dürfen ja nicht nur diejenigen reden, die meine Meinung haben, sondern ich muss für die Freiheit der Meinung von meinen Gegnern kämpfen.
    Müller: Sie haben damit auch, Herr Cohn-Bendit, politisch keine Probleme, wenn türkische Wahlkämpfer in Deutschland Wahlkampf machen für ihre politischen Ziele, die ja äußerst umstritten sind?
    Cohn-Bendit: Na ja, aber auch da. Ich bin ja dafür, dass die Opposition, die gegen das Referendum ist, die für das Nein zum Referendum ist, auch hier türkische Wählerinnen und Wähler mobilisieren, damit Erdogan scheitert. Natürlich! Das ist unangenehm, aber was soll man machen. Es gibt hier 1,2 Millionen türkische Bürgerinnen und Bürger, die wählen werden, und dann gibt es hier Wahlkampf. Das ist normal. Mein Gott! Das wird doch Deutschland aushalten. Wir müssen argumentieren. Ich finde, die Bundesregierung muss viel härter gegenüber Erdogan reagieren. Die Bundesregierung vor allem nach der Verhaftung von Deniz Yücel. Das Problem ist nur, dass alle Deutschen, alle, die heute empört sind, mit Recht, aber auch gut finden, dass ein Abkommen mit der Türkei gemacht wurde, dass die Flüchtlinge hier nicht reinkommen.
    Flüchtlingsabkommen: Dadurch ist Deutschland erpressbar
    Müller: Das ist das Erpressungspotenzial der Türken?
    Cohn-Bendit: Ja, das ist die Realität. Wir haben uns in so eine Situation hineinmanövriert und da Europa nicht in der Lage ist, vernünftig Flüchtlinge aufzunehmen, sind wir erpressbar. Ja, das ist so. Was will man machen.
    Müller: Ich muss Sie, Herr Cohn-Bendit, in einem Punkt noch mal befragen, und zwar Sie sagen, über die Redefreiheit haben wir gesprochen, die ist verfassungsrechtlich garantiert, und das heißt für jeden. Und vor allem sagen Sie, auch wenn es unangenehm ist, das müssen wir aushalten. Die Niederländer beispielsweise diskutieren das viel politischer, weniger rechtlich. Da hat der Außenminister ganz klar gesagt, dass die türkischen Wahlkämpfer, die türkischen Minister in den Niederlanden nicht willkommen sind. Bleibt draußen! Die haben ja nun auch ein ähnliches Rechtsverständnis wie wir. Kann man diese Frage auch politisch beantworten?
    Cohn-Bendit: Nein. Man kann nicht die Redefreiheit politisch beantworten.
    Müller: Was die Niederländer tun?
    Cohn-Bendit: Die Niederländer tun das, weil sie Wahlen nächste Woche haben und Angst vor Wilders haben.
    "Niederländer knien vor den Rechtsradikalen"
    Müller: Das ist ein politisches Argument.
    Cohn-Bendit: Ja, aber das ist ein gefährliches politisches Argument, weil sie knien vor den Rechtsradikalen. Das ist ja ihre Angst. Wilders hat gefordert, dass der Islam verboten wird, dass der Koran in den Niederlanden verboten wird. Sollen wir das machen? Weil es schreckliche Fundamentalisten, weil es Terroristen gibt, verbieten wir jetzt den Koran. Das ist auch die politische Stimmung in den Niederlanden. Wollen wir das?
    Müller: Die Frage ist ja: Wenn Präsident Erdogan jetzt am Wochenende gesagt hat, wenn ich will, komme ich schon morgen nach Deutschland. Das wäre gestern gewesen, er ist noch nicht gekommen. Heute kommt er vermutlich auch nicht. Aber er vergleicht die deutsche Praxis mit Nazi-Methoden, und ob die Bundesregierung dann so weit gehen kann und sagen, Du bist uns im Moment nicht willkommen.
    Auch türkische Opposition sollte hier Veranstaltungen machen
    Cohn-Bendit: Aber wenn er das sagt, kann die Bundesregierung kein Abkommen mit der türkischen Regierung schließen. Das geht nicht! Sie können nicht einerseits einer Regierung verbieten, nach Deutschland zu kommen - das heißt, Sie brechen die Beziehungen mit diesem Land ab de facto -, und gleichzeitig qua mit Europa zusammen ein Flüchtlingsabkommen mit der Regierung schließen. Das geht nicht! Da muss man wissen, was man will. Und ich bin der Meinung, auch wenn Erdogan hier redet, ich wäre dafür, dass die Opposition hier redet, dass die Opposition auch Veranstaltungen macht in Deutschland, damit Erdogan sein Referendum verliert. Das ist die Falle, die Falle, in die wir reingeschlittert sind. Er braucht gar nicht zu kommen. Millionen Türken gucken per Fernsehantennen die Nachrichten, die alle in der Hand der Regierung sind, und sind auf Seiten von Erdogan. Die Opposition kann nichts sagen, auch in der Falle, weil …
    Müller: Herr Cohn-Bendit, wir kommen jetzt langsam in die Zeitfalle. Wir müssen uns leider verabschieden.
    Cohn-Bendit: Ja, so ist das Problem. So ist das Problem: Alle sind in der Falle.
    Müller: Danke für das Gespräch – der grüne Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit. Einen schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.