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Auge im Glas

Biologie. - Das Auge gilt als eine der kompliziertesten Strukturen in der Natur. Nun haben japanische Forscher den wichtigsten Bestandteil eines Auges im Labor gezüchtet: die Netzhaut. Ein wichtiger Fortschritt für die regenerative Medizin, die in Zukunft ja nicht nur Zellen züchten will, sondern ganze Organe.

Michael Lange im Gespräch mit Monika Seynsche |
    Monika Seynsche: Die Augen von Wirbeltieren gehören zu den kompliziertesten Strukturen in der Natur. Jetzt aber ist es japanischen Wissenschaftlern gelungen, den wichtigsten Bestandteil des Auges - nämlich die Netzhaut - im Labor zu züchten. Embryonale Stammzellen haben sich dabei entwickelt zu einer Art Auge im Reagenzglas. Michael Lange hat die Sache gelesen. Herr Lange, Sie sind im Studio, diese embryonale Stammzellen galten ja bislang als Alleskönner-Zellen. Warum ist es dann so besonders, wenn man ein Auge aus solchen Zellen heranwachsen lassen kann?

    Michael Lange: Die Stammzellen die können sich zwar verwandeln, die embryonalen Stammzellen können sich in jeden Zelltyp verwandeln, aber die wachsen eigentlich eher als so recht unförmige Gebilde. Als so kleine Klumpen schwimmen sie durch eine Nährflüssigkeit. Oder die wachsen als Rasen auf einer Plastikplatte und wachsen einfach vor sich hin. Das sind aber ja keine geordneten Strukturen. Und geordnete Strukturen aus embryonalen Stammzellen zu züchten, das ist sehr schwierig und war schon bei Leberzellen oder ist bei Leberzellen oder Nierenzellen schwierig.

    Und das Auge ist ja eines der komplexesten Organe überhaupt des Menschen. Das heißt, da müssen verschiedene Zelltypen entstehen. Es reicht nicht daraus, dass eine bestimmte Art von Zellen aus den embryonalen Stammzellen wird, sondern es müssen verschiedene Typen von Zellen aus diesen embryonalen Stammzellen werden. Und die müssen noch genau an der richtigen Stelle wachsen.

    Das Auge kann man sich vielleicht vorstellen wie so eine Art Halbkugel und wenn man da jetzt sozusagen von außen nach innen geht in der Halbkugel, dann ist die äußere Schicht das Pigmentepithel, dass muss erstmal sozusagen die Hülle wachsen. Dann kommen die Licht wahrnehmenden Zellen, die Fotorezeptorzellen. Und dann kommen noch ne ganze Menge anderer Zellen, die die Verbindung zum Nervensystem bauen, die Horizontalzellen, Bipolarzellen, Amakrinzellen, man sieht: ein sehr komplexes Gebilde.

    Seynsche: Und mit welchem Trick haben die Wissenschaftler das jetzt hingekriegt, dass das wächst?

    Lange: Ja, da war ich auch sehr gespannt drauf, als ich in die Arbeit in "Nature" reingeschaut habe. Übrigens, die Wissenschaftler, die das kommentiert haben für "Nature", vom University College in London, waren auch sehr gespannt. Aber das liest sich alles so extrem einfach. Die Forscher sagen, also die britischen Forscher sagen, dass das japanische Team vom Riken-Forschungszentrum in Kobe das sehr elegant gemacht hat, Aber ein Trick ist eigentlich nicht zu erkennen. Sie gehen eigentlich so vor, dass sie die bereits vorhandenen Methoden noch weiter vereinfachen. Dass sie den Zellen wirklich nur ein paar kleine Signale geben. Sie sagen den embryonale Stammzellen sozusagen, werdet Retina-Zellen, werdet zu diesem Retina-Pigmentepithel. Und das hatten andere Forscher auch schon gemacht.

    Aber sie sind noch ein bisschen anders vorgegangen. Sie haben ein bestimmtes Schmiermittel verwendet, ein sogenanntes Matrigel, das ist eigentlich nur so ein glibberiges Zeug mit Proteinen von Mäusen, damit haben sie sozusagen die Kunststofffläche von dieser Halbkugel eingeschmiert. Dann sind die Zellen darauf gewachsen zu einem Rasen von Retina-Pigmentepithel. Und wenn es dann schon fertig wäre, wäre es nichts Besonderes. Aber dann sind diese Zellen einfach weitergewachsen. Die haben die nächste Schicht gebildet, die nächste Schicht, und so entstand eine richtige Netzhaut mit diesen verschiedenen Schichten.

    Seynsche: Aber woher wissen die einzelnen Zellen denn, welche Aufgabe sie genau in diesem Auge dann erfüllen sollen?
    Lange: Die Zellen müssen es wissen, denn sie haben sich in der richtigen Ordnung angeordnet. Aber die Forscher haben es ihnen nicht gesagt, denn die Forscher wissen es nicht, wie es geht. Das heißt, man kennt gar nicht die ganzen Botenstoffe, die da ausgetauscht werden. Die Lösung kann eigentlich nur sein, dass das Retina-Pigmentepithel. Und, also diese eine Schicht, die so wächst wie auch andere embryonale Stammzellen eben wachsen, die wusste: Ich bin ein Retina-Pigmentepithel. Und das heißt, die hatten die richtigen Gene angeschaltet. Und die haben dann sozusagen der nächsten Schicht gesagt: Wenn wir Retina-Pigmentepithel. Und sind, dann bist du Fotorezeptorzelle. Und dann haben sich die Zapfen und die Stäbchen gebildet. Genauso, wie es im Auge des Menschen oder in allen Wirbeltieren ist.

    Und dann haben sogar einige Nervenzellen diese Horizontalzellen, Bipolarzellen sich begonnen zu bilden, weil das System wusste sozusagen, wie die nächste Schicht aussehen soll. Und das scheint ein wichtiger Trick zu sein, dass man gar nicht versucht, wenn man Organe züchten will, denen zu sagen, wie sie sich entwickeln sollen, sondern, dass man einfach darauf vertraut, dass wenn eine Zellschicht da ist und das was normalerweise dahinter kommt, entsteht dann von selbst, weil ein Gewebe entsteht, das in sich weiß, wie es aufgebaut ist.

    Seynsche: Und was bringt diese Forschung jetzt? Also kann man jetzt Augen im Labor züchten und sie dann transplantieren oder was hat man davon?

    Lange: Wäre schön, aber ist in der Tat nicht so. Man kann ja schon Retina-Pigmentepithel. Und jetzt sehr schön züchten und die könnte man auch transplantieren bei Patienten mit Störungen in der Netzhaut. Daran wird aber auch schon bereits gearbeitet. Im Moment ist erstmal viel interessanter, dass man die Augen-Entstehung sozusagen unter der Lupe, unter dem Mikroskop beobachten kann. Und dass man da sehr genau sehen kann, wie sich ein Auge entwickelt und auch testen kann, wie bestimmte Medikamente auf diese Augen-Entwicklung wirken.

    Seynsche: Michael Lange war das über ein Auge im Glas.