Es ist eine Nachricht, die aufhorchen lässt: Ein Mann, der schon vor Jahren erblindet ist, kann wieder sehen – wenn auch nur ein ganz kleines bisschen.
"Der Patient berichtete, er würde Zebrastreifen auf der Straße erkennen. Er war total begeistert. Aber nicht so sehr wie wir. Oder vielleicht doch. Wir alle waren wirklich aufgeregt."
José-Alain Sahel forscht an der University of Pittsburgh und der Sorbonne in Paris. Er und Botond Roska, Professor an der Uni Basel, arbeiten schon seit 13 Jahren gemeinsam daran, Augenlicht durch Optogenetik wiederherzustellen.
Nervenzellen durch Licht steuern
Verpackt in ein harmloses Virus wird dabei das Gen für ein lichtempfindliches Protein in ausgewählte Nervenzellen geschleust. Die Neurone bilden daraufhin das Protein. Sie werden dadurch selber lichtsensitiv, so dass ihre Aktivität durch Licht einer bestimmten Wellenlänge an- oder abgeschaltet werden kann.
Dass das grundsätzlich geht, konnten die Forscher schon in Tierversuchen zeigen. Nun liegen zum ersten Mal Daten vor, die Sicherheit und Funktionalität der Methode beim Menschen belegen.
"Jedes Detail musste erst noch entwickelt werden. Am Anfang hat nichts geklappt, aber dann irgendwann hat es doch funktioniert. Für uns, die wir so lange zusammengearbeitet haben, ist es ein wichtiger Meilenstein."
Bei der erblichen Krankheit Retinitis pigmentosa, an der die Patienten der Studie litten, sterben im Auge die Photorezeptorzellen in der obersten Schicht der Retina ab. Ziel der Gentherapie war es, die unterste Schicht der Retina, die Ganglionzellen, mit lichtempfindlichen Proteinen auszustatten und damit den Verlust der eigentlichen Sinneszellen ein Stück weit auszugleichen.
Sehen muss neu gelernt werden
Zusätzlich ist eine spezielle Brille nötig. Sie wandelt mithilfe einer Kamera die Bilder der Umwelt in Lichtimpulse mit der richtigen Wellenlänge um, und projiziert sie dann auf die Retina. Eine Art des Sehens, die erst neu gelernt und trainiert werden muss, erklärt Jóse Sahel.
"Der Patient, den wir beschreiben, war der erste der geplanten 15 Teilnehmer. Es ging zunächst darum, die Sicherheit des Verfahrens bei zunehmend höherer Dosierung des Virus zu testen. Wir haben noch sieben weitere Patienten behandelt, aber wegen der Corona-Pandemie konnte nur einer halbwegs ordentlich mit der Brille üben."
Anhand der übrigen sieben Patienten können die Wissenschaftler bisher nur schlussfolgern, dass die Gentherapie auch bei höheren Dosen keine unerwünschten Nebenwirkungen hatte. In der Grundlagenforschung ist die Methode schon seit Jahren etabliert. Jetzt, nach den ersten Fallbeispielen, werden klinische Anwendungen folgen, glaubt Botond Roska.
"Ich denke das hier ist ein Anfang. Aber als Neurowissenschaftler glaube ich, dass die neuen Vector-Generationen, die wir und andere entwickeln, immer besser sein werden. Ich denke, in den nächsten zwei Jahren wird es noch weitere Studien geben. Aber das Auge ist einfach der logische erste Schritt, allein schon, weil Blindheit durch Lichtsensoren behoben werden kann."
Mehrere Studien laufen
Wie sehr eine höhere Dosierung des Virus oder Modifikationen der Brille die Wahrnehmung der Erblindeten verbessern können, wird sich zeigen. Möglicherweise in nicht allzu ferner Zukunft. Neben Sahel und Roska laufen gerade auch bei zwei Firmen klinische Studien mit Patienten.
Eine zugelassene Behandlung für die Patientengruppe mit Retinitis pigmentosa gibt es bereits: Retina-Implantate. Die allerdings haben sich bisher wegen der geringen Auflösung und der notwendigen Operation nicht durchgesetzt. Einen Vorteil hätte die neue optogenetische Therapie gegenüber den Implantaten in jedem Fall: Sie kommt mit einem minimalinvasiven Eingriff aus.