Dirk-Oliver Heckmann: Vier Tage noch, dann sind die Bundesbürger aufgerufen, ein neues Parlament zu bestimmen. Seit Wochen, seit Monaten melden die Umfrageinstitute, die Wähler wollten zwar nicht mehr Schwarz-Gelb, die Kanzlerin aber ist unumstritten. Merkel als Chefin einer zweiten Großen Koalition, das scheint, der Wille der Wähler zu sein. SPD und Grüne allein jedenfalls haben aus Sicht der Demoskopen keine Chance. Seit Wochen, seit Monaten heißt es auch in vielen Medien, Steinbrück steht auf verlorenem Posten. Tatsächlich reihten sich ja Fehler an Fehler. Teile der Medien aber zeichneten das Bild eines regelrechten Dumm-August. Das meint unter anderem der Chefredakteur der Wochenzeitung "Die Zeit", Giovanni di Lorenzo, im Deutschlandfunk:
"Ich habe flammend dafür plädiert, Steinbrück fair zu behandeln. Das habe ich im ganzen Wahlkampf bislang nicht erlebt und ich finde das in jeder Hinsicht problematisch."
Heckmann: Soweit der Chefredakteur der Wochenzeitung "Die Zeit", Giovanni di Lorenzo, und darüber möchten wir sprechen mit dem Herausgeber und Chefredakteur der Wochenzeitung "der Freitag", mit Jakob Augstein. Guten Morgen, Herr Augstein!
Jakob Augstein: Hallo! Guten Morgen!
Heckmann: Giovanni di Lorenzo hat auch gesagt, noch nie in der Geschichte der Bundestagswahlen sei ein Kandidat so niedergemacht worden wie Peer Steinbrück. Hat er recht?
Augstein: Na ja, dazu müsste man jetzt eine genaue Auswertung machen. Soweit ich das überblicken kann in der Rückschau, war es mit Franz-Josef Strauß damals schon noch härter, aber er war auch ein härteres Kaliber und damals hatten die Journalisten auch allen Grund, ihn zu fürchten. Ich erinnere nur an die "Spiegel"-Affäre. Aber dass Steinbrück mit Gegenwind hier zu kämpfen hatte, ist richtig. Ich bin mir nicht ganz so sicher, ob das wirklich so sehr an den Journalisten lag. Ich glaube, er hat selber eine Menge dazu beigetragen.
Heckmann: Was meinen Sie genau?
Augstein: Na ja, man hatte eine lange Zeit einfach das Gefühl, dass er der falsche Kandidat für diese Partei ist. Die SPD hat sich doch ein relativ linkes Wahlprogramm gegeben und Steinbrück ist nun alles andere als ein Linker. Er hat doch eine Weile gebraucht, um da überzeugend reinzukommen in dieses Programm. Ich finde, er hat das jetzt am Schluss wirklich sehr gut gemacht, aber am Anfang wirkte das so ein bisschen holperig. Ich bin mir auch gar nicht so sicher, ob Steinbrück wirklich derjenige ist, an dem die Medien-Kampagne sich am stärksten abarbeitet. Ich finde, dass die Grünen es im Moment viel dicker bekommen.
Heckmann: Dennoch wollen wir bei der SPD erst mal bleiben. Wir kommen auf die Grünen, gleich noch mal zu sprechen. Der SPD-Chef, Sigmar Gabriel, der hat ja gesagt, bezogen auf dieses Titelbild im Magazin der "Süddeutschen Zeitung", Peer Steinbrück habe nicht dem allgemeinen Publikum den ausgestreckten Mittelfinger gezeigt, sondern den Medien, ohne dass er da weiter differenziert hätte. Man hat schon den Eindruck, dass die SPD sich da einer Medien-Kampagne ausgesetzt fühlt?
Augstein: Gut, dieses Bild ist natürlich ein bisschen ungewöhnlich für jemanden, der gerade Bundeskanzler werden will. Das muss man auch sagen. Andererseits kann man nicht einerseits immer sagen, Angela Merkel ist so farblos und sie kriegt keinen geraden Satz raus und man weiß gar nicht was sie will, und sich andererseits aber beschweren, wenn es da einen gibt, der Ecken und Kanten hat und notfalls auch mit dem Finger zeigt. Ich fand das ehrlich gesagt eher lustig und ich finde, wir sollten uns in Deutschland mal ein bisschen entspannen und auch mal freuen, wenn einer einen Witz macht, vielleicht auch einen, der ein bisschen an der Kante entlang geht. Dann gleich zu schreiben, wie der "Spiegel" das jetzt gemacht hat, er sei charakterlich nicht geeignet, Kanzler zu werden, das, finde ich, geht dann schon sehr, sehr weit.
Heckmann: Lassen Sie uns noch mal die Medien insgesamt in den Blick nehmen, jetzt hier bei diesem Bundestagswahlkampf. Es gibt ja Kritiker, die sagen, die Medien in Deutschland berichteten nicht mehr über Politik und kommentierten sie nicht, sondern sie würden sie machen. Ist da was dran aus Ihrer Sicht?
Augstein: Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, das war auch nie so. Ich glaube, dass es Journalisten gibt und gab, die das gerne hätten, die sich überschätzen. Es gab ja mal Zeiten, wo man sich überlegt hat, kann die "Bild"-Zeitung einen Kanzler machen. Schröder hat gesagt, er braucht nur, wie war das, Glotze und "Bild" zum Regieren.
Heckmann: "Bild", "BAMS", Glotze.
Augstein: "Bild", "BAMS", Glotze. – Ich glaube, das ist immer eine Fehleinschätzung gewesen. Am Ende sind die Leute nicht so doof, die Wähler, und lassen sich dann doch nicht so stark manipulieren. Es gibt nur manchmal Journalisten, denen man es mehr anmerkt als anderen, dass sie gerne politischen Einfluss nähmen.
Heckmann: Das heißt, Sie würden aus Ihrer Beobachtung der letzten Jahre sagen, dass sich da im Prinzip gar nicht so viel geändert hat, dass es schon immer so gewesen ist, dass es konservative Blätter gab und linke Blätter, die für das jeweilige Lager trommelten?
Augstein: Ich finde, es hat sich schon eine Menge daran geändert, wie Journalisten, politische Journalisten ihren Job verstehen. Aber ich glaube, nicht in Bezug auf die Frage, über die wir hier sprechen. Es hat sich sehr viel daran geändert, dass sie, glaube ich, weniger sich der Kritik verpflichtet fühlen als der Vermittlung. Ich glaube, dass sozusagen die Job-Discription heute anders gesehen wird von vielen Journalisten. Sie wollen nicht mehr Herrschaftskritik üben, sondern sehen sich als vermittelndes Glied zwischen Lesern und Politikern. Ich glaube, es hat ein massiver Vertrauensverlust stattgefunden von Lesern gegenüber ihren Zeitungen. Das haben sie in der Wulff-Affäre ganz massiv gemerkt. Solche Entwicklungen hat es schon absolut gegeben. Es ist also keineswegs alles so, wie es in den 70er-Jahren war. Ich glaube nur nicht, dass Zeitungen heute höheren politischen Einfluss haben als früher.
Heckmann: Blicken wir noch auf die Grünen, Herr Augstein. Sie haben das ja gerade auch schon angesprochen. Die sind jetzt in den Umfragen plötzlich einstellig, und das Ergebnis in Bayern war auch enttäuschend für sie. Jetzt veröffentlicht ausgerechnet die "taz", muss man sagen, die Tageszeitung, die Verwicklung von Spitzenkandidat Jürgen Trittin in den skandalösen Umgang mit Pädophilie in den 80er-Jahren, und das ausgerechnet eine Woche vor den Wahlen. Ist das neu, dass auch die Tageszeitung, die "taz" keine Rücksicht mehr nimmt auf das eigene, auf das grüne Lager?
Augstein: Das Gegenteil ist ja der Fall. Die "taz" hat da ja eine sehr unglückliche Rolle gespielt. Die haben ja sehr unglücklich agiert, die Kollegen, weil sie den Artikel hatten über die Pädophilie-Debatte von dem wirklich sehr guten Journalisten Christian Füller im August. Den haben sie dann nicht gebracht, weil er ihnen offensichtlich politisch nicht ins Konzept passte. Dann gab es einen riesigen Ärger. Dann hat jetzt die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" diesen Artikel gedruckt, zufälligerweise genau am Wahltag in Bayern (das halte ich wirklich für ein Stück Versuch politischer Manipulation). Und jetzt will die "taz" offenbar ihre Restreputation retten und legt noch mal nach. Das halte ich wirklich für Kampagne, weil wenn man sich mal anguckt, worum es da eigentlich geht, bei der Sache mit Trittin und diesem Pädophilie-Thema, das ist schlimm, das jetzt in der Vorwahlzeit so hochzuziehen, denn er war presserechtlich, bitte ja, presserechtlich verantwortlich …
Heckmann: Und kannte diesen Text und hat ihn dann durchgewunken.
Augstein: Ja, 1981. Also ich bitte Sie, was wir immer vergessen bei dieser ganzen Debatte ist, dass wir es hier mit einem kulturell sich wandelnden Thema zu tun haben. Wir gucken heute auf diesen gesamten Sachverhalt vollkommen anders, als die Leute das damals machen konnten. Damals konnten sie Debatten führen, die wären heute vollkommen undenkbar. Das ist eben so, wenn sich die Zeiten ändern. Und wenn Sie das sozusagen den Leuten jetzt 25 Jahre später reinreiben, eine Woche vor der Wahl, bitte ja, dann ist das meiner Meinung nach wirklich Kampagne.
Heckmann: Aber es gibt auch Leute wie zum Beispiel Hubert Kleinert – den hatten wir gestern in unserer Spätsendung im Interview -, der gesagt hat, er fand das damals schon skandalös.
Augstein: Deshalb haben die sich 84 dann davon auch alle geschlossen distanziert und haben das Thema ad acta gelegt. Aber in der Frühphase der Grünen gab es Debatten zu dem Thema, die wir uns heute so nicht mehr vorstellen können. Ich kann mir das auch nicht vorstellen. Aber das ist halt die kulturelle Bedingtheit dieses Themenkomplexes. Das kann Ihnen und mir nicht gefallen, aber das war halt damals so. Und heute, eine Woche vor der Wahl, daraus so eine Kampagne zu fahren, das finde ich tatsächlich grenzwertig.
Heckmann: Grenzwertig sagen Sie. Welche Folgen dürfte das haben für den Wahlausgang aus Ihrer Sicht?
Augstein: Das kann ich Ihnen nicht vorhersagen. Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich Folgen hat. Da gilt dann wieder das von vorhin, dass man sich da auch als Journalist nicht überschätzen soll. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass Leute, die die Grünen wählen wollten, jetzt dann davon ablassen, weil sie hören, dass Jürgen Trittin 1981 presserechtlich verantwortlich für einen Zettel war, in dem totaler Unsinn gestanden hat. Ich finde, das steht nicht dafür.
Heckmann: Der Herausgeber und Chefredakteur der Wochenzeitung "der Freitag", Jakob Augstein, war das hier im Deutschlandfunk. Herr Augstein, danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit genommen haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
"Ich habe flammend dafür plädiert, Steinbrück fair zu behandeln. Das habe ich im ganzen Wahlkampf bislang nicht erlebt und ich finde das in jeder Hinsicht problematisch."
Heckmann: Soweit der Chefredakteur der Wochenzeitung "Die Zeit", Giovanni di Lorenzo, und darüber möchten wir sprechen mit dem Herausgeber und Chefredakteur der Wochenzeitung "der Freitag", mit Jakob Augstein. Guten Morgen, Herr Augstein!
Jakob Augstein: Hallo! Guten Morgen!
Heckmann: Giovanni di Lorenzo hat auch gesagt, noch nie in der Geschichte der Bundestagswahlen sei ein Kandidat so niedergemacht worden wie Peer Steinbrück. Hat er recht?
Augstein: Na ja, dazu müsste man jetzt eine genaue Auswertung machen. Soweit ich das überblicken kann in der Rückschau, war es mit Franz-Josef Strauß damals schon noch härter, aber er war auch ein härteres Kaliber und damals hatten die Journalisten auch allen Grund, ihn zu fürchten. Ich erinnere nur an die "Spiegel"-Affäre. Aber dass Steinbrück mit Gegenwind hier zu kämpfen hatte, ist richtig. Ich bin mir nicht ganz so sicher, ob das wirklich so sehr an den Journalisten lag. Ich glaube, er hat selber eine Menge dazu beigetragen.
Heckmann: Was meinen Sie genau?
Augstein: Na ja, man hatte eine lange Zeit einfach das Gefühl, dass er der falsche Kandidat für diese Partei ist. Die SPD hat sich doch ein relativ linkes Wahlprogramm gegeben und Steinbrück ist nun alles andere als ein Linker. Er hat doch eine Weile gebraucht, um da überzeugend reinzukommen in dieses Programm. Ich finde, er hat das jetzt am Schluss wirklich sehr gut gemacht, aber am Anfang wirkte das so ein bisschen holperig. Ich bin mir auch gar nicht so sicher, ob Steinbrück wirklich derjenige ist, an dem die Medien-Kampagne sich am stärksten abarbeitet. Ich finde, dass die Grünen es im Moment viel dicker bekommen.
Heckmann: Dennoch wollen wir bei der SPD erst mal bleiben. Wir kommen auf die Grünen, gleich noch mal zu sprechen. Der SPD-Chef, Sigmar Gabriel, der hat ja gesagt, bezogen auf dieses Titelbild im Magazin der "Süddeutschen Zeitung", Peer Steinbrück habe nicht dem allgemeinen Publikum den ausgestreckten Mittelfinger gezeigt, sondern den Medien, ohne dass er da weiter differenziert hätte. Man hat schon den Eindruck, dass die SPD sich da einer Medien-Kampagne ausgesetzt fühlt?
Augstein: Gut, dieses Bild ist natürlich ein bisschen ungewöhnlich für jemanden, der gerade Bundeskanzler werden will. Das muss man auch sagen. Andererseits kann man nicht einerseits immer sagen, Angela Merkel ist so farblos und sie kriegt keinen geraden Satz raus und man weiß gar nicht was sie will, und sich andererseits aber beschweren, wenn es da einen gibt, der Ecken und Kanten hat und notfalls auch mit dem Finger zeigt. Ich fand das ehrlich gesagt eher lustig und ich finde, wir sollten uns in Deutschland mal ein bisschen entspannen und auch mal freuen, wenn einer einen Witz macht, vielleicht auch einen, der ein bisschen an der Kante entlang geht. Dann gleich zu schreiben, wie der "Spiegel" das jetzt gemacht hat, er sei charakterlich nicht geeignet, Kanzler zu werden, das, finde ich, geht dann schon sehr, sehr weit.
Heckmann: Lassen Sie uns noch mal die Medien insgesamt in den Blick nehmen, jetzt hier bei diesem Bundestagswahlkampf. Es gibt ja Kritiker, die sagen, die Medien in Deutschland berichteten nicht mehr über Politik und kommentierten sie nicht, sondern sie würden sie machen. Ist da was dran aus Ihrer Sicht?
Augstein: Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, das war auch nie so. Ich glaube, dass es Journalisten gibt und gab, die das gerne hätten, die sich überschätzen. Es gab ja mal Zeiten, wo man sich überlegt hat, kann die "Bild"-Zeitung einen Kanzler machen. Schröder hat gesagt, er braucht nur, wie war das, Glotze und "Bild" zum Regieren.
Heckmann: "Bild", "BAMS", Glotze.
Augstein: "Bild", "BAMS", Glotze. – Ich glaube, das ist immer eine Fehleinschätzung gewesen. Am Ende sind die Leute nicht so doof, die Wähler, und lassen sich dann doch nicht so stark manipulieren. Es gibt nur manchmal Journalisten, denen man es mehr anmerkt als anderen, dass sie gerne politischen Einfluss nähmen.
Heckmann: Das heißt, Sie würden aus Ihrer Beobachtung der letzten Jahre sagen, dass sich da im Prinzip gar nicht so viel geändert hat, dass es schon immer so gewesen ist, dass es konservative Blätter gab und linke Blätter, die für das jeweilige Lager trommelten?
Augstein: Ich finde, es hat sich schon eine Menge daran geändert, wie Journalisten, politische Journalisten ihren Job verstehen. Aber ich glaube, nicht in Bezug auf die Frage, über die wir hier sprechen. Es hat sich sehr viel daran geändert, dass sie, glaube ich, weniger sich der Kritik verpflichtet fühlen als der Vermittlung. Ich glaube, dass sozusagen die Job-Discription heute anders gesehen wird von vielen Journalisten. Sie wollen nicht mehr Herrschaftskritik üben, sondern sehen sich als vermittelndes Glied zwischen Lesern und Politikern. Ich glaube, es hat ein massiver Vertrauensverlust stattgefunden von Lesern gegenüber ihren Zeitungen. Das haben sie in der Wulff-Affäre ganz massiv gemerkt. Solche Entwicklungen hat es schon absolut gegeben. Es ist also keineswegs alles so, wie es in den 70er-Jahren war. Ich glaube nur nicht, dass Zeitungen heute höheren politischen Einfluss haben als früher.
Heckmann: Blicken wir noch auf die Grünen, Herr Augstein. Sie haben das ja gerade auch schon angesprochen. Die sind jetzt in den Umfragen plötzlich einstellig, und das Ergebnis in Bayern war auch enttäuschend für sie. Jetzt veröffentlicht ausgerechnet die "taz", muss man sagen, die Tageszeitung, die Verwicklung von Spitzenkandidat Jürgen Trittin in den skandalösen Umgang mit Pädophilie in den 80er-Jahren, und das ausgerechnet eine Woche vor den Wahlen. Ist das neu, dass auch die Tageszeitung, die "taz" keine Rücksicht mehr nimmt auf das eigene, auf das grüne Lager?
Augstein: Das Gegenteil ist ja der Fall. Die "taz" hat da ja eine sehr unglückliche Rolle gespielt. Die haben ja sehr unglücklich agiert, die Kollegen, weil sie den Artikel hatten über die Pädophilie-Debatte von dem wirklich sehr guten Journalisten Christian Füller im August. Den haben sie dann nicht gebracht, weil er ihnen offensichtlich politisch nicht ins Konzept passte. Dann gab es einen riesigen Ärger. Dann hat jetzt die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" diesen Artikel gedruckt, zufälligerweise genau am Wahltag in Bayern (das halte ich wirklich für ein Stück Versuch politischer Manipulation). Und jetzt will die "taz" offenbar ihre Restreputation retten und legt noch mal nach. Das halte ich wirklich für Kampagne, weil wenn man sich mal anguckt, worum es da eigentlich geht, bei der Sache mit Trittin und diesem Pädophilie-Thema, das ist schlimm, das jetzt in der Vorwahlzeit so hochzuziehen, denn er war presserechtlich, bitte ja, presserechtlich verantwortlich …
Heckmann: Und kannte diesen Text und hat ihn dann durchgewunken.
Augstein: Ja, 1981. Also ich bitte Sie, was wir immer vergessen bei dieser ganzen Debatte ist, dass wir es hier mit einem kulturell sich wandelnden Thema zu tun haben. Wir gucken heute auf diesen gesamten Sachverhalt vollkommen anders, als die Leute das damals machen konnten. Damals konnten sie Debatten führen, die wären heute vollkommen undenkbar. Das ist eben so, wenn sich die Zeiten ändern. Und wenn Sie das sozusagen den Leuten jetzt 25 Jahre später reinreiben, eine Woche vor der Wahl, bitte ja, dann ist das meiner Meinung nach wirklich Kampagne.
Heckmann: Aber es gibt auch Leute wie zum Beispiel Hubert Kleinert – den hatten wir gestern in unserer Spätsendung im Interview -, der gesagt hat, er fand das damals schon skandalös.
Augstein: Deshalb haben die sich 84 dann davon auch alle geschlossen distanziert und haben das Thema ad acta gelegt. Aber in der Frühphase der Grünen gab es Debatten zu dem Thema, die wir uns heute so nicht mehr vorstellen können. Ich kann mir das auch nicht vorstellen. Aber das ist halt die kulturelle Bedingtheit dieses Themenkomplexes. Das kann Ihnen und mir nicht gefallen, aber das war halt damals so. Und heute, eine Woche vor der Wahl, daraus so eine Kampagne zu fahren, das finde ich tatsächlich grenzwertig.
Heckmann: Grenzwertig sagen Sie. Welche Folgen dürfte das haben für den Wahlausgang aus Ihrer Sicht?
Augstein: Das kann ich Ihnen nicht vorhersagen. Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich Folgen hat. Da gilt dann wieder das von vorhin, dass man sich da auch als Journalist nicht überschätzen soll. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass Leute, die die Grünen wählen wollten, jetzt dann davon ablassen, weil sie hören, dass Jürgen Trittin 1981 presserechtlich verantwortlich für einen Zettel war, in dem totaler Unsinn gestanden hat. Ich finde, das steht nicht dafür.
Heckmann: Der Herausgeber und Chefredakteur der Wochenzeitung "der Freitag", Jakob Augstein, war das hier im Deutschlandfunk. Herr Augstein, danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit genommen haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.