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Augustin Hadelich
Böhmische Erzählungen

David Oistrachs Aufnahmen großer Violinkonzerte haben Augustin Hadelich nachhaltig geprägt. Inzwischen zählt der Wahl-Amerikaner mit deutschen Wurzeln selbst zu den großen Geigern der Gegenwart. In seiner neuen CD "Bohemian Tales" steht das Violinkonzert von Antonín Dvořák im Mittelpunkt.

Am Mikrofon: Christoph Vratz |
    Ein junger Mann sitzt auf einem grünen Wiesenhang.
    Augustin Hadelich zählt zu den führenden Geigern der Gegenwart (Suxiao Yang)
    Musik: Antonín Dvořák - Konzert für Violine und Orchester, 1. Satz
    Das Orchester beginnt mit einem klar strukturierten Thema, und nach wenigen Takten setzt die Sologeige ein. Doch hier ist alles anders: Am Anfang steht ein kurzes Motiv, bevor mehrere kleine Läufe beginnen, in unterschiedlichen rhythmischen Ausprägungen: in Triolen, Quintolen, Sextolen. Als wisse die Geige gar nicht so richtig, wohin der Weg überhaupt führt.
    Er schwingt sich in Wellen nach oben, bis zum zirpenden hohen e. Augustin Hadelich entscheidet sich für eine durch und durch romantisierende Darstellung: Die kleinen Zwischenhalte auf diesem Weg zum obersten Ton versieht er mit kleinen dynamischen Auf- und Ab-Bewegungen, den Höhepunkt schließlich unterstreicht er mit hörbarem Vibrato, also er markiert diesen Ton mit kurzen Schwingungen. Ja, das kann man so machen. Doch eine weniger romantische Deutung wie die folgende zeigt, dass auch mit sparsamem Vibrato ein mindestens so intensiver Ausdruck zu erzielen ist.
    Musik: Antonín Dvořák - Konzert für Violine und Orchester, 1. Satz
    So deutete Frank Peter Zimmermann 2013 den Beginn von Dvořáks Violinkonzert: weniger schwingend, dafür direkter, plastischer, unmittelbarer.
    Doch sollte man nun nicht glauben, Augustin Hadelich würde sich mit seinem stärker romantisierenden Ansatz auf einem Irrweg befinden. Hadelich ist, das haben auch seine bisherigen Aufnahmen, etwa mit Musik von Johannes Brahms und Béla Bartók, gezeigt, keinesfalls verdächtig, auf unnatürliche Effekte zu setzen oder Interpretationen zu überzeichnen. Der in Italien geborene Wahl-Amerikaner deutscher Abstammung hat sich in die Geiger-Elite vorgearbeitet, indem er auf natürliche Darstellungen setzt. Hadelich definiert seine künstlerische Identität nicht durch balsamische Tongebung oder virtuose Mätzchen. Das gilt auch für diese Aufnahme, bei dem ihm mit dem Dirigenten Jakub Hrůša eine Art Wahlverwandter zur Seite steht. Hrůša ist seit 2016 Chefdirigent der Bamberger Symphoniker. Hier nun leitet er das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Wie gut Orchester und Solist miteinander harmonieren, zeigt die folgende Passage aus dem ersten Satz. Das Orchester schwelgt in der Schönheit dieser Musik, es entsteht ein fast kammermusikalisches Miteinander, innig und genau aufeinander abgestimmt; zunächst bilden Fagotte und Klarinetten eine Allianz, dann übernehmen die Flöten, schließlich die Oboen. In dieses fast schon zärtliche Miteinander platzt dann forte die Sologeige, von leisem, kaum hörbarem Grummeln der Pauke unterstützt. Das Orchester aber lässt sich von diesem Weckruf nicht sofort anstecken. Es begleitet leise, und antwortet auf den Impuls der Geige erst verspätet: dann aber fortissimo und mit kompletter Besetzung.
    Musik: Antonín Dvořák - Konzert für Violine und Orchester, 1. Satz
    Geburtswehen eines Komponisten
    Lange hatte Antonín Dvořák an seinem Violinkonzert getüftelt. Dazu angeregt worden war er von seinem Verleger Karl Simrock, der nach dem grandiosen Erfolg der "Slawischen Tänze" auf einen weiteren Verkaufs-Coup hoffte. Bereits 1879 hatte Dvořák mit der Arbeit an seinem Konzert begonnen, bis zur Vollendung sollte es jedoch drei Jahre dauern. Das lag vor allem an Joseph Joachim, dem berühmten, einflussreichen Geiger und Brahms-Freund. Er sollte die Uraufführung spielen. Aber er hatte Einwände gegen die erste Fassung erhoben, und die Verhandlungen zogen sich lange hin. Erst ließ sich Dvořák auf einzelne Änderungs-Vorschläge ein, dann gab er nach und entschied sich zu einer kompletten Umarbeitung: "Nicht einen einzigen Takt habe ich behalten", schrieb er an Simrock.
    Und Joachim? Mehrfach hatte er verkündet, wie sehr er sich freue, das neue Werk vortragen zu dürfen. Nichts da. Pustekuchen! Kein einziges Mal hat er Antonín Dvořáks Konzert öffentlich gespielt.
    Formal orientiert sich Dvořák an der klassischen dreisätzigen Form, in einzelnen Teilen jedoch geht er eigene Wege. So hat er im ersten Satz die Wiederaufnahme des ersten Teils, die Reprise, deutlich verkürzt. Nach einer knappen Solo-Kadenz der Geige sowie 13 Takten ruhigem Zwischenspiel findet sich der Hörer bereits unvermittelt im langsamen "Adagio ma non troppo" wieder.
    Musik: Antonín Dvořák - Konzert für Violine und Orchester, 2. Satz
    Gerade dieser Beginn des langsamen Satzes ist ein problematisches Terrain für Geiger: Schnell wandelt sich der lyrische Charakter in ein Kitschbad. Augustin Hadelich weiß natürlich um diese Gefahr. Was macht er? Er meidet jeden Verdacht von Süße, indem er Dvořáks Melodie nicht sphärisch schweben lässt, sondern sie durch leichten Druck mit dem Bogen erdet. Dadurch wirkt dieses Thema zwar immer noch leicht, gleichzeitig aber bekenntnishaft direkt.
    Musik: Antonín Dvořák: Konzert für Violine und Orchester, 2. Satz
    Auch hier ist eine der großen Stärken das wie selbstverständliche Miteinander von Orchester und Solist. Das ist gewiss auch ein Verdienst von Jakub Hrůša. Mit den Bamberger Symphonikern hat er zuletzt bereits einige Dvořák-Sinfonien aufgenommen – überhaupt verfügt er als gebürtiger Brünner über reichlich Erfahrung mit der böhmisch-mährischen Musik. Hier nun erfüllt er jedes Detail mit Leben, gleichzeitig zeigen sich Tiefgang und Hrůšas Fähigkeit, auch in den Mittelstimmen nach Bedeutung zu forschen – als wolle er so demonstrieren, wie sich Einfachheit und Wirkungskraft unter ein Dach bringen lassen. Mit großer Umsicht leitet er vor allem die Holzbläser – und wenn dieser Abschnitt dann abrupt endet, entwickelt sich ein energischer Dialog zwischen Geige und Solo-Horn.
    Musik: Antonín Dvořák - Konzert für Violine und Orchester, 2. Satz
    Geschlossenheit ist ein großes Plus dieser neuen Einspielung des Violinkonzerts von Antonín Dvořák. Das zeigt sich auch im dritten Satz, in den der Komponist Einflüsse tänzerischer Musik aus seiner Heimat hat einfließen lassen.
    Musik: Antonín Dvořák - Konzert für Violine und Orchester, 3. Satz
    Augustin Hadelich lässt die hellen Töne glitzern und funkeln, er lässt die Musik fließen, anstatt sie in einzelne Struktur-Module zu zergliedern. Das temperamentgeladene Musizieren in diesem Finale geht einher mit einer vollkommenen Übereinstimmung der Phrasierung bei Solist und Orchester.
    Musik: Antonín Dvořák - Konzert für Violine und Orchester, 3. Satz
    Mühelos leuchtender Geigenklang
    Eine makellose Technik erlaubt Hadelich diesen leuchtenden und zugleich singenden Ton. Virtuosität bedeutet ihm nicht Zurschaustellung besonderer Fähigkeiten oder Demonstration außergewöhnlicher Möglichkeiten, sondern vielmehr: Konzentration auf die musikalischen Verläufe. Auch dann, wenn der heiter-beschwingte Charakter sich im Laufe dieses Finalsatzes melancholisch eintrübt.
    Musik: Antonín Dvořák - Konzert für Violine und Orchester, 3. Satz
    Bezeichnend für diese neue Einspielung ist die gelungene Mischung aus Pathos und Melos, aus Leidenschaft und wehmütigen Abtönungen. Das Erstaunliche ist: Augustin Hadelich zeigt nirgends Mühe, sein Spiel ist in allen Lagen ausgeglichen: in Höhe und Tiefe und vor allem in der warm tönenden Mitte. Er lässt die Töne springen und tanzen oder nach Belieben auch trübe klagen; über die Saiten fährt sein Geigen-Bogen nicht, als handle es sich um Schmirgelpapier, Hadelich suggeriert ein nahtloses Gleiten, selbst in den rhythmisch markanten Passagen am Schluss des Konzerts.
    Musik: Antonín Dvořák - Konzert für Violine und Orchester, 3. Satz
    Neben dem Violinkonzert enthält diese CD noch mehrere kleinere Werke für Geige und Klavier von Antonín Dvořák; außerdem die vier Stücke op. 17 von seinem Schwiegersohn Josef Suk - und als einen eigenen Schwerpunkt die Violinsonate von Leoš Janáček. Diese Zusammenstellung erklärt auch den Titel der CD. Übersetzt lautet er: "Böhmische Erzählungen". Nur am Rande sei erwähnt, dass diese Produktion mit über 81 Minuten Spielzeit wahrlich üppig bestückt ist.
    Der Pianist an Hadelichs Seite ist der Brite Charles Owen. Für ihn ist die Musik von Janáček keineswegs neu, bereits 2002 hat Owen Werke für Soloklavier von Janáček aufgenommen. Nun also die Violinsonate – die wie ein Komplementärstück zu Dvořáks Konzert wirkt: vom Sinfonischen zur Kammermusik, vom ausgehenden 19. Jahrhundert hinüber ins 20. Jahrhundert, in die Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg, vom spätromantischen Klanggestus zur aufkommenden Moderne.
    Musik: Leoš Janáček - Sonate für Violine und Klavier, 1. Satz
    Es ist ein zerklüftetes Werk, diese Janáček-Sonate, im ersten Satz geprägt von vielen Trillern und Zäsuren, die wie Teile eines Mosaiks wirken, das nicht in seiner Gesamtheit, sondern durch Fragmentierung wirken möchte.
    Musik: Leoš Janáček - Sonate für Violine und Klavier, 1. Satz
    Später lässt Janáček dieses Material mutieren, dann wirkt das Ganze noch bedrohlicher. Hadelich und Owen spielen das mit allem Nachdruck, sie lassen eine beinahe gespenstische Atmosphäre entstehen.
    Musik: Leoš Janáček - Sonate für Violine und Klavier, 1. Satz
    Feinfühlig durchdachte Interpretation
    Hört man dagegen den zweiten Satz dieser Sonate, so zeigt sich einmal mehr die ganze Wandlungsfähigkeit des Geigers Augustin Hadelich. Hier wirkt die Musik zunächst gelöst und sanft, um dann, wie sublimiert, noch feinfühliger zu werden. Man möchte gar nicht erst wissen, wie viel Nachdenken Hadelich investiert hat, um diesen Effekt zu erzeugen.
    Musik: Leoš Janáček - Sonate für Violine und Klavier, 2. Satz
    Nie droht der langsame Satz aus Janáčeks Sonate auf dieser CD unter den wechselnden Stimmungen und Klangschattierungen zu zerbrechen, vielmehr zeigen Hadelich und Owen die Musik, wie sie nun einmal ist – reichhaltig und voller Widersprüche, vielfarbig und zerrissen. Wer meint, dieses Werk in einem annähernd gleichbleibenden Atem bewältigen zu können, ist auf dem Holzweg. Hadelich ist es sicher nicht.
    Musik: Leoš Janáček - Sonate für Violine und Klavier, 2. Satz
    "Bohemian Tales"

    Antonín Dvořák, Leoš Janáček, Josef Suk
    Augustin Hadelich, Violine
    Charles Owen, Klavier
    Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
    Leitung: Jakub Hrůša
    Label: Warner (LC 02822) CD 190295274764