"Das ist also ein Skizzenblatt von Ludwig van Beethoven mit Entwürfen zur Musik zu August von Kotzebues Festspiel 'Die Ruinen von Athen' op. 113, 1811 in Teplitz komponiert."
Wolfgang Mecklenburg, Kunsthändler und Experte für Musikerhandschriften, trägt weiße Handschuhe. Ganz vorsichtig holt er das auf beiden Seiten beschriebene Manuskript aus der Schutzmappe.
"Es ist – wenn Sie sich es mal anschauen – ein ziemliches Chaos! Auch musikalisch vorgebildete Leser erschrecken da erstmal, weil es einfach aussieht wie ein großer Scherbenhaufen."
Doch gerade das ist spannend! Man hat hier einen Einblick in Beethovens Kompositionswerkstatt.
"Viel gestrichen, viel immer wieder dran gearbeitet und doch wieder verworfen. Man sieht also: Genie ist auch harte Arbeit!"
Angebot und Nachfrage
"Das Skizzenblatt von Beethoven stammt aus dem Nachlass eines Musikers, dessen Name geheim bleiben soll. Bewertet war es mit 80.000 Euro. Zustande kommt ein solcher Preis durch das Prinzip von Angebot und Nachfrage", sagt Stefan Koldehoff, Kunstexperte und Kulturredakteur beim Deutschlandfunk.
"Man kann da keine Formel benennen. Alter x Bedeutung x Anzahl der Werke gleich Preis für ein Autograf. Es hängt wirklich davon ab: Wer bietet etwas an und wer will es unbedingt haben und wenn es dann zwei Interessenten gibt, dann ist fast jeder Preis möglich."
740 Einzelstücke umfasste die diesjährige Musikautografenauktion - vom Notenblatt bis zur Partitur. Nur etwa fünf Prozent davon kamen aus dem internationalen Kunsthandel. Die meisten, sprich 95 Prozent der Autografe, stammten aus Privatbesitz und wurden in Kommission versteigert. Das heißt, der bisherige Besitzer bekommt am Ende den erzielten Kaufpreis, Händler und Auktionator Wolfgang Mecklenburg eine vorher festgelegte Provision. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass die meisten Autografe nicht in Museen oder Archiven, sondern wiederum in privatem Besitz landen. Das – gibt Wolfgang Mecklenburg zu – ist ihm als Händler natürlich nicht unrecht.
"Wenn Stücke heute von Sammlern erworben werden, dann kommen die in aller Regel irgendwann auch wieder auf den Markt! Entweder werden sie erneut versteigert, nach 10, 20, 30, 40 Jahren, möglicherweise von den Erben dann. Oder der Sammler orientiert sich selber anderweitig. Er sammelt etwa nicht mehr Carl Maria von Weber, sondern Richard Wagner oder umgekehrt und gibt deswegen Teile seiner Sammlung wieder auf den Markt."
"Sammler für solche Musikhandschriften sitzen auf der ganzen Welt", sagt Stefan Koldehoff.
"Einer der wichtigsten in Brasilien beispielsweise. Der sammelt nicht nur Musikautografen, der sammelt quer durch alle Gebiete, auch Literatur, der hat Briefe von van Gogh, von Kafka, aber eben auch Noten von Mozart und Beethoven. Es gibt in China Sammler, die sowas haben möchten, weil man dort sehr, sehr stark nach wie vor an der Westkunst orientiert ist und entsprechende prestigeträchtige Sammlungen aufbauen möchte."
Musiker-Handschriften legten stetig an Wert zu
Während der Markt für antiquarische Bücher in den letzten Jahren ziemlich eingebrochen ist, haben Musiker-Handschriften dagegen stetig an Wert zugelegt. Die Erklärung dafür ist logisch.
"Das hat natürlich eine ganz andere Aura, um mit Walter Benjamin zu sprechen! Da hat man das in der Hand, was das Genie selbst geschrieben hat und deswegen ist das mit gedruckten Büchern, selbst mit Folianten, die zum Teil noch handschriftlich gestaltet wurden, kaum zu vergleichen."
Eine weitere Preziose, die jetzt in Berlin unter den Hammer kam, stammt aus der privaten Korrespondenz von Wolfgang Amadeus Mozart.
"Musikhistorisch interessant, weil es geschrieben wurde, dieses Briefchen, einen Tag nach der Uraufführung von 'Figaros Hochzeit', das ist also passiert im Mai 1786."
Und worum geht es im Text?
"Da schreibt er an einen Freund, dem er eine Geschenksendung Punschgläser sendet."
Autograf von Carl Maria von Weber
Ob diese Trinkgefäße noch existieren, vielleicht in einem Wiener Haushalt, das müsste erforscht werden. Der musikwissenschaftliche Wert des Schreibens dürfte sich allerdings in Grenzen halten. 60.000 Euro wurden aufgerufen für eine handgeschriebene Partitur vom Komponisten und Dresdner Hofkapellmeisters Carl Maria von Weber, über 70 Seiten stark. Im Gegensatz zu Beethovens Skizzenblatt zur Schauspielmusik "Die Ruinen von Athen" sind hier die Noten äußerst ordentlich geschrieben, Korrekturen oder Streichungen hat Weber nicht vorgenommen.
"Das ist die autografe Reinschrift seiner 'Jubelkantate op. 58', von 1818. Komponiert anlässlich des 50-jährigen Regierungsjubiläums von König Friedrich August I von Sachsen."
Knapp zwei Stunden vor der Auktion sitzt Barbara Wiermann in einem Berliner Café. Sie ist die Leiterin der Musikabteilung der sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek in Dresden. Dafür möchte sie die Weber-Partitur ersteigern.
"Das ist für uns ein ganz wichtiges Stück! Es passt in vielfältiger Weise in unsere Sammlung. Wir haben aber von der anderen Seite betrachtet aber auch ganz viel Material zu diesem Regierungsjubiläum, das Autograf zur 'Jubel-Ouvertüre', das zum selben Anlass entstand und das Widmungsexemplar der Jubel-Kantate, das eben Weber dem König übergeben hat."
Die autografe Partitur wäre also für die sächsische Landesbibliothek das "fehlende Puzzleteil".
Öffentliche Einrichtungen bieten mit
Die Auktion nimmt ihren Lauf. Das Beethoven-Skizzenblatt mit einigen Takten aus der Schauspielmusik "Die Ruinen von Athen" geht nach wenigen Sekunden an eine öffentliche Einrichtung, zum angesetzten Preis von 80.000 Euro. Barbara Wiermann von der Sächsischen Landesbibliothek wirkt erleichtert: ein gutes Omen. Dann wird die Weber-Partitur aufgerufen.
Neben Barbara Wiermann gibt es, das wird schnell klar, noch einen zweiten Interessenten, einen Privatmann, der am Telefon mitbietet. So entsteht ein "Bietgefecht" - beide Interessenten treiben den Preis nach oben. Aus den ursprünglich angesetzten 60.000 Euro werden am Ende 85.000. Der Zuschlag geht an die sächsische Landes- und Universitätsbibliothek.
"Ich hatte befürchtet, dass das so hochgeht", sagt Barbara Wiermann mit Schweißperlen auf der Stirn.
"Aber es hat geklappt und ich bin erleichtert."
Oft nicht die nötigen Mittel für den Erwerb
Dass sowohl das Beethovenautograf als auch die Weber-Partitur an öffentliche Einrichtungen gegangen sind, ist – wie gesagt - nicht der Normalfall, die meisten Stücke landen wieder in Privatbesitz. Museen und Archive in Deutschland haben, wenn sie nicht zusätzliches Geld von staatlichen Stellen oder privaten Sponsoren requirieren können, oft nicht die nötigen Mittel für den Erwerb. Dabei sind sie es, die der Wissenschaft ermöglichen, die Handschriften zu erforschen und aufzuarbeiten, was Privatsammler leider nicht immer ermöglichen. Deutschlandfunk-Kulturredakteur Stefan Koldehoff würde sich daher wünschen, dass öffentliche Einrichtungen in Deutschland auf dem Kunstmarkt mehr Chancen haben.
"Es liegt eine gigantische Musikautografen-Sammlung in einem Tresor in New York, das ist die Sammlung des Bankiers Robert Owen Lehman. Der hat alles Mögliche, was wichtig wäre für die deutsche Kulturgeschichte, möchte aber, dass das nicht zerrissen wird und verlangt dafür 135 Millionen. Das ist in Deutschland nicht mehr möglich. Da gibt es selbst durch großzügige Unterstützung seitens der Kulturstiftung der Länder oder der Ernst-von-Siemens-Stiftung, die sich da engagiert, die Etats nicht für und das ist ein riesiges Problem."