"Ich denke, dass es für die Armee an der Zeit ist, zu verstehen, dass die Macht im Volk verankert sein muss, wenn wir eine echte Demokratie sein wollen."
Mit sanfter Stimme spricht sie sich seit 30 Jahren - wie in diesem Interview mit dem amerikanischen Fernsehsender ABC - gegen die Militärdiktatur ihres Landes aus: die burmesische Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi. 1945 als Tochter des Nationalhelden Aung San geboren, wurde sie zunächst in britischen Nonnenschulen erzogen. Fasziniert von der Kultur der einstigen Kolonialherren, heiratete sie einen englischen Historiker, wurde dadurch selbst Britin und bekam zwei Kinder. Eigentlich hätte sie bis zum Tod ihres Mannes im Jahr 1999 Ehefrau und Mutter mit beiläufiger Universitätskarriere bleiben können. Doch die Nachrichten über die brutale Unterdrückung ihres Volkes ließen ihr im fernen England keine Ruhe. Als zudem ihre Mutter im Sterben lag, kehrte Aung San Suu Kyi 1988 alleine nach Burma zurück.
Seither engagiert sie sich politisch für die Freiheit Myanmars, wie Burma seit 1989 heißt, wurde vom Militärregime mehrfach auf ihrem weitläufigen Grundstück in Rangun unter Hausarrest gestellt und kann sich erst seit Ende 2010 wieder frei bewegen und frei handeln. Der langjährige Asienkorrespondent des "Spiegel", Andreas Lorenz, hat den vollkommen gewaltlosen Kampf von Aung San Suu Kyi vor Ort begleitet. In seiner Biografie schreibt er davon, dass sie von den Burmesen als "Lichtgestalt" gesehen werde, in einer Reihe stehe mit Mahatma Gandhi und Nelson Mandela. Was macht diese zierliche, inzwischen siebzigjährige Frau so anziehend für die Burmesen?
"Sie vertritt ja sogenannte westliche Werte, um's präziser zu sagen: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit. Und das Faszinierende an ihr ist, dass sie diese Begriffe, diese Werte auch in Asien durchsetzen will. [...] Aung San Suu Kyi hat rund 15 Jahre in Hausarrest gesessen. Sie hat darauf verzichtet, ihre Kinder zu erziehen. Sie hat darauf verzichtet, ihren Mann in den letzten Tagen zu begleiten, für eine Sache. [...] Sie zeigt große Zivilcourage, großen Mut, sie hat große Opfer gebracht in ihrem Leben."
Erbin der Ideen ihres Vaters
Große Opfer gebracht für ihr Land hat die Familie Aung San Suu Kyis bereits mit ihrem Vater Aung San. Dieser Freiheitskämpfer und Politiker hatte nach 1945 mit den britischen Kolonialherren die Unabhängigkeit ausgehandelt und eine stabile Regierung errichtet, fiel jedoch bereits zwei Jahre später einem Attentat zum Opfer. Seither blieb Myanmar permanent von Unruhen heimgesucht und von Militärs beherrscht, die Krieg gegen das eigene Volk führten. 135 Stämme leben in Myanmar. Sie bilden zusammen 80 Millionen Einwohner, genauso viele wie in Deutschland leben, sprechen aber 100 völlig verschiedene Sprachen. Andreas Lorenz glaubt, dass der Vater Aung San Suu Kyis eine Vorstellung davon hatte, wie die vielen Minderheiten nach der Unabhängigkeit paritätisch und demokratisch hätten politisch vertreten werden und zusammenleben können. Dies passte jenen Kreisen nicht, die vom Wirrwarr profitieren. So ist auch einer der Hauptvorwürfe an die Militärs, sie würden die Ethnien gegeneinander ausspielen, sich persönlich bereichern und das Land wie ihren Privatbesitz behandeln. Aung San Suu Kyi nun verstand sich seit ihrer Rückkehr nach Myanmar als Erbin der Ideen ihres Vaters. Der Autor Andreas Lorenz:
"Sie möchte gerne das erreichen, das vollenden, was ihr Vater begonnen hat, nämlich ein demokratisches, unabhängiges Myanmar zu schaffen."
Mit dieser Botschaft schloss sie auch ihre Dankesrede für den Friedensnobelpreis von 1991, die sie erst mehr als 20 Jahre nach der Verleihung, im Jahr 2012, in Oslo halten konnte:
"Der eigentliche Preis, nach dem wir streben, ist eine freie, sichere und gerechte Gesellschaft, in der mein Volk seine ganzen Möglichkeiten verwirklichen kann. Danke."
Ein beachtenswertes Buch für jedermann
Trotz solcher und anderer hoher internationaler Ehren bleibt Aung San Suu Kyi unnahbar, unerreichbar. Umso höheren Respekt muss man Andreas Lorenz zollen, der es geschafft hat, sie in seinem Buch so anschaulich zu schildern, dass man schon bei der Hälfte der Lektüre überzeugt ist, man kenne Aung San Suu Kyi persönlich. Es hätte keines der 23 Fotos im Buch bedurft, denn Lorenz fotografiert und zeichnet mit Worten. Er zieht einen hinein in das Land, in seine Geschichte, in Gerüche, in Atmosphäre und Szenen, sodass man meint, man wäre mit Lorenz im Moment des Lesens in Myanmar. Und weil er dazwischen immer wieder geschickt aus Erinnerungen von Aung San Suu Kyi zitiert, meint man zudem, man blicke mit den Augen der Protagonistin auf Menschen und Dinge. Ein Beispiel aus ihrer Kindheit. Aung San Suu Kyi steht auf der Veranda und beobachtet den Monsun:
"Ich schaute, wie sich der Himmel verdunkelte, und hörte den Erwachsenen mit ihren gefühlsseligen Geschichten zu, die sie angesichts der dunstigen Schwaden dicker Regenwolken erzählten und beobachtete, dass der Regen, der in glitzernden Kristallstäben herabfiel, bei den Erwachsenen Sehnsüchte nach der Vergangenheit auslöste und Ausdruck unerklärlichen Leids war."
Lorenz ist ein begnadeter Schreiber, sein Buch beachtenswert für jedermann. Gefragt, warum man in Deutschland etwas über Aung San Suu Kyis Leben erfahren sollte, rät er:
"Wir können daraus lernen, dass es möglich ist, wenn man Zivilcourage besitzt, wenn man Mut hat, wenn man klug ist, dass man auch in aussichtslosen Situationen etwas erreichen kann."
Andreas Lorenz: Aung San Suu Kyi. Ein Leben für die Freiheit, C. H. Beck Verlag, 336 Seiten, 19,95 Euro.