Ann Cotten liest:
"Mit Schreiben Geld verdienen? Ihre intimsten Gedanken mit riskanten sprachlichen Mitteln preisgeben, Ruhm und Ehre dafür erhalten? Das klingt unwahrscheinlicher als der Mensch, der sich in den Lüften als Pilot verdingen soll. Das Unwahrscheinliche ist unser Metier. Ihres, unbekannterweise: Verzweiflung, Überlegung und Fleiß. Zusammen geben wir den Menschen mehr als die Boeing: die Selbsterkenntnis. Zuschriften an: Postfach."
Schlägt man "Florida-Räume" ordentlich auf der ersten Seite auf, sieht man sich erst einmal einem eigentlichen klassischen, da alt gedienten Spiel mit der fiktiven Autorschaft gegenüber: Ein Herausgeber, der nicht Ann Cotten heißt, hat die vorliegenden Texte – es handelt sich um Lyrik, Prosa und Essayistik – zusammengestellt. Es ist, so erfährt man im Vorwort, eine kleine Auswahl aus der riesigen Zahl von Einsendungen, die der soeben gehörte Aufruf zu schreiben, ausgelöst hat. Soweit so gut. Doch dieser Aufruf stammt – so der intrigante Klappentext – von einer außerirdischen Macht. Dies ist denn auch das Erste von vielen Rätseln, die "Florida-Räume" in sich birgt. Denn von Anfang bis Ende ist man sich nie wirklich sicher, ob Ann Cotten in der Tonlage von äußerstem Ernst oder uneinsehbarer Ironie agiert:
"Ich mache mich über gar nichts lustig. Das ist wirklich auch eine ernste Sache – gerade diese große seltsame Spanne zwischen der Vorstellung, das Intimste preiszugeben – was ein Bedürfnis ist – und Geld zu verdienen – was ein Bedürfnis ist – ohne dabei ... unpeinlich zu agieren. ... Vor Kurzem hatte ich die große Ehre, in der Jury für die lauter-niemand-Ausschreibung für den Preis für politische Lyrik ... zu sein. Und es war fantastisch: Es kamen mehr als sechshundert Einsendungen, die meisten eben von ... Leuten, die sich normalerweise nicht mit Dichtung beschäftigen, denen aber irgendetwas auf der Seele liegt. ... Und ... der Ernst der Sache wurde mir bewusst. Ich hätte da sonst vielleicht auch leichter darüber gespottet."
Wer mit ihr spricht, wird in jedem Moment Zeuge von der ihr eigenen Ernsthaftigkeit. Man kann ihr da quasi bei der Verfertigung des Denkens zuhören und zusehen: die unerwartete Wendung, um das Erwartbare zu unterlaufen; der agile Geist, der spielverliebt und formbewusst sogleich für Überraschungen sorgt. Diesen Duktus pflegen auch die vorliegenden Texte. Wovon sie handeln, ist weit schwerer zu sagen. Denn es geht um Alles und Nichts, ums große Ganze und um das ganz Kleine; um literarische Subkultur und inner-literarische Debatten; es geht um Berlin als Ort der Geschichte und als Behausung von postmoderner Tristesse; es geht um Fantasy und um Erkenntnistheoreme im Zeitalter des digitalen Wahns; um die Fabel unseres Lebens und um das, was man gemeinhin Gesellschaftsanalyse nennt. Doch all das wird von Ann Cotten nicht einfach so benannt, sondern in teils schwindelerregende, teils kryptisch anmutende Form und Sprache gebracht. Denn Sprache – was sie kann und wie sie zu verstehen ist – ist mindestens ebenso Verhandlungsgegenstand. Ann Cotten liest:
"Steht es und bricht, schlicht
Nichtig und so, Einfalt
Und Niedertracht, Blech,
Sodomie und Gestalt, eine
Zweite Version, Niemand wie
Bartlosgenie, sei es
Ich oder meine Nachbarin oder
Ein anderer eine Bosseleischlüsselschraube
Bauchig und groß, bifur-
kal und gelocht, kornig,
steht nur davor, starrt,
steht nur davor, starrt,
Karambolage, ich meine doch
Fiasko und Havarie,
Stopp, Stopp.
Steht es und tropft, ist es
Regen und so stehen wir
Vorliebend unter uns
Neben Arkaden und so
Dingen, Balkonen und, ja,
Vordächern, obige Schutz-
Maßnahmen aus Wellen, wer
Wollte dagegen Haufen lehnen, sie rutschen verlässlich ab.
Niemandes bare Vermutung,
allerlei Wohlbekanntes,
kleine und unabdingbare,
durchaus ennuyierende
Wörter wie du und ich
Wörter ich mag sie nicht
Besonders."
Dieses Gedicht stammt übrigens, so die Fiktion innerhalb der Fiktion, von einer gewissen Ann Cotten. Die Angaben zu den übrigen Verfassern lesen sich weitaus bizarrer: Es werden unter anderem genannt: eine Stasi-Agentin; ein 200-Kg-Tierfreund; das Echo; der Geist, der natürlich deutscher Abstammung ist; sowie eine zarte Ameisenjungfer, die zugleich ein heroischer Ameisenlöwe ist. Ann Cotten:
"Ich weiß nicht viel über meine eigene Stimme zu sagen, sondern schlüpfe wohl gerne und auch unkontrolliert in irgendwelche Rollen. Und – das ist vielleicht das Schamanische daran – es scheint oft für eine bestimmte Aussage auch sofort eine Figur da zu sein, ... um das möglichst passgenau und vielleicht auch ein bisschen krass darzustellen, ... wie kurze Szenen: Dieser Satz wird von einem Dinosaurier an der Tankstelle gesagt, und dadurch ist eigentlich klar, vor welchem Hintergrund das steht und mit welchem Impetus das gegen wen gesagt wird."
Wer hier spricht, ist daher von ebenso großer Bedeutung, wie die Frage, was von wem gesprochen wird. Der zentrale Text des Bandes – der den Florida-Räumen seinen Titel gab – stammt dabei aus der Feder eines Hundes: Es ist ein Cockerspaniel, der streunend Berlin durchstreift, auf Bodenhöhe, quasi von unten. Dieser Cocker ist Mitglied in einer Versammlung philosophierender Hunde, die sich tagtäglich in Marienfelde in einer Kleingartenkolonie treffen, wo sie räsonieren über Gott und die Welt und vor allem über den sogenannten Florida-Raum. Ann Cotten:
"Das ist ein temporärer Raum ... und es ist nichts im Verhältnis, aber es zeigt sehr viel. Und so ist meine Prosa ja auch: Da ist alles Mögliche drin, wie auch beim Köcher von der Ameisenjungfer, lauter objet trouvé, und das ist dann zusammengesteckt zu einem unregelmäßigen aber zweckdienlichen, manchmal drolligen, manchmal irgendwie hübschen, manchmal auch furchtbar hässlichen Bau. Aber es ist jedenfalls ein Bau, der nicht wie eine richtige Architektur von einem Konzept, einem Plan ausgeht, das zuerst zeichnet, dann die Materialien beschafft, um diesen Plan auszuführen. Sondern die Vorgehensweise ist umgekehrt: Man hat eben ein Material, man arbeitet was damit, es ist privat und es ist ganz nah am Zweck ... und es ist aber auch die Freizeitbeschäftigung."
Dieser Text ist der vielleicht schönste und beste in der Sammlung. Nicht nur, weil Ann Cotten – eine Ausländerin in Berlin – ihre Leser da wirklich in Augenhöhe mitnimmt auf eine erfrischende Tour durch diese Stadt, die sie rotzig frech von unten zeigt und doch auch mit liebevollem Detail für die Schichten alles Alten, das hier wie ein Palimpsest gelagert ist. Vor allem aber ist die von der konkreten Poesie und der experimentellen Sprache herkommende Autorin Cotten in diesem Text plötzlich ganz nah dran am Gegenstand ihrer Beschreibung. Momentweise wagt sie nämlich eine Schlichtheit der Sprache, die es dem Leser erlaubt, sich auszuruhen im Gesagten. Und sie offenbart ihren skurrilen Humor: Denn Cotten geht hier zugleich auf radikale und kulturkritische Tuchfühlung mit den ästhetischen Deformationen der Gegenwart, die sie auf unorthodoxe Weise nicht zuletzt den Bauhaus-Göttern um die Ohren schlägt. Ann Cotten liest:
"Ihre Ideen wurden von tausenden flachen Gemütern zu selbstverständlichen Unverständnissen verbügelt, dafür haben sie selbst gesorgt. Dieser Itten war ein Sektenführer. Moholy-Nagy? Ein junger toller Hund, ein Hut mit neuen Tricks, der ihm den Schädel übergoss, keine Geduld. Und dieser weinerliche Feininger? Er kam, um die Geliebte hier zu treffen, und während sie hämmerte, verklärte er die primitiven Kirchlein der Umgebung. ... Und dann verordnete Gropius, der fleißige Politiker, dass man Werbung machen müsse vor allen Dingen. Jetzt lungern sie, entgeisterte Gespenster, begraben unter den Produkten ihrer Werbung – Beliebigkeit, Kontrolle und Begeisterung im Rahmen der Regeln."
Einerseits also die kraftvolle künstlerische Vision – andererseits die Gefahr, diese Vision zu einem konzeptuellen Selbstläufer zu entäußern: Davor ist auch das Lyriktalent Ann Cotten noch nicht endgültig gefeit. Noch steht die Sprache, wunderbar vertrackt und widerborstig zugleich, sich stellenweise selbst im Weg – allemal, da Ann Cotten nach eigener Aussage sich selbst auf dem Weg zur Prosa befindet, die naturgemäß als Genre eine andere sprachliche Textur verlangt. "Florida-Räume" ist insofern als eine Zwischenstation zu verstehen: ein Textlabor, das Einblick gibt in die Arbeit der Autorin. Das Buch selbst ist also ein Florida-Raum; eine Art Panoptikum des Cotten’schen Denkens und Schreibens, zusammengefügt aus vielen einzelnen Boxen und Schachteln. Man kann sie der Reihe nach oder einzeln öffnen. Man muss und wird nicht alles darin für gut befinden. Es wäre übrigens im Sinne der Autorin. Ann Cotten:
"Das ist der Moment, wo sich der Leser emanzipiert ist, da wo er sagt: ... Das kann ich zwar respektieren, aber ich will das nicht lesen Aber ich hoffe, dass es dem Leser dann geht wie mir, dass ich mich dann auch frage: warum eigentlich? Jetzt wollte ich das lesen und dann wieder nicht – warum? ... Das ist auch das Spannende an Lektüre, ... wenn ich an mir selbst spüre, in welcher Stimmung kann ich das lesen oder das nicht. Und wozu verwende ich Literatur eigentlich? Was suche ich darin? Und dass da halt ein Mensch dahinter steckt, der sich bestimmte Dinge gedacht hat, anderes durchschimmern lässt, was er sich nicht bewusst gedacht hat, was aber für mich sehr interessant ist, und dass da einfach so eine Welt aufgemacht wird, wie ja im Grunde bei jedem, der eine Straße herunter geht."
Ann Cotten: Florida-Räume, Suhrkamp Verlag, Berlin
"Mit Schreiben Geld verdienen? Ihre intimsten Gedanken mit riskanten sprachlichen Mitteln preisgeben, Ruhm und Ehre dafür erhalten? Das klingt unwahrscheinlicher als der Mensch, der sich in den Lüften als Pilot verdingen soll. Das Unwahrscheinliche ist unser Metier. Ihres, unbekannterweise: Verzweiflung, Überlegung und Fleiß. Zusammen geben wir den Menschen mehr als die Boeing: die Selbsterkenntnis. Zuschriften an: Postfach."
Schlägt man "Florida-Räume" ordentlich auf der ersten Seite auf, sieht man sich erst einmal einem eigentlichen klassischen, da alt gedienten Spiel mit der fiktiven Autorschaft gegenüber: Ein Herausgeber, der nicht Ann Cotten heißt, hat die vorliegenden Texte – es handelt sich um Lyrik, Prosa und Essayistik – zusammengestellt. Es ist, so erfährt man im Vorwort, eine kleine Auswahl aus der riesigen Zahl von Einsendungen, die der soeben gehörte Aufruf zu schreiben, ausgelöst hat. Soweit so gut. Doch dieser Aufruf stammt – so der intrigante Klappentext – von einer außerirdischen Macht. Dies ist denn auch das Erste von vielen Rätseln, die "Florida-Räume" in sich birgt. Denn von Anfang bis Ende ist man sich nie wirklich sicher, ob Ann Cotten in der Tonlage von äußerstem Ernst oder uneinsehbarer Ironie agiert:
"Ich mache mich über gar nichts lustig. Das ist wirklich auch eine ernste Sache – gerade diese große seltsame Spanne zwischen der Vorstellung, das Intimste preiszugeben – was ein Bedürfnis ist – und Geld zu verdienen – was ein Bedürfnis ist – ohne dabei ... unpeinlich zu agieren. ... Vor Kurzem hatte ich die große Ehre, in der Jury für die lauter-niemand-Ausschreibung für den Preis für politische Lyrik ... zu sein. Und es war fantastisch: Es kamen mehr als sechshundert Einsendungen, die meisten eben von ... Leuten, die sich normalerweise nicht mit Dichtung beschäftigen, denen aber irgendetwas auf der Seele liegt. ... Und ... der Ernst der Sache wurde mir bewusst. Ich hätte da sonst vielleicht auch leichter darüber gespottet."
Wer mit ihr spricht, wird in jedem Moment Zeuge von der ihr eigenen Ernsthaftigkeit. Man kann ihr da quasi bei der Verfertigung des Denkens zuhören und zusehen: die unerwartete Wendung, um das Erwartbare zu unterlaufen; der agile Geist, der spielverliebt und formbewusst sogleich für Überraschungen sorgt. Diesen Duktus pflegen auch die vorliegenden Texte. Wovon sie handeln, ist weit schwerer zu sagen. Denn es geht um Alles und Nichts, ums große Ganze und um das ganz Kleine; um literarische Subkultur und inner-literarische Debatten; es geht um Berlin als Ort der Geschichte und als Behausung von postmoderner Tristesse; es geht um Fantasy und um Erkenntnistheoreme im Zeitalter des digitalen Wahns; um die Fabel unseres Lebens und um das, was man gemeinhin Gesellschaftsanalyse nennt. Doch all das wird von Ann Cotten nicht einfach so benannt, sondern in teils schwindelerregende, teils kryptisch anmutende Form und Sprache gebracht. Denn Sprache – was sie kann und wie sie zu verstehen ist – ist mindestens ebenso Verhandlungsgegenstand. Ann Cotten liest:
"Steht es und bricht, schlicht
Nichtig und so, Einfalt
Und Niedertracht, Blech,
Sodomie und Gestalt, eine
Zweite Version, Niemand wie
Bartlosgenie, sei es
Ich oder meine Nachbarin oder
Ein anderer eine Bosseleischlüsselschraube
Bauchig und groß, bifur-
kal und gelocht, kornig,
steht nur davor, starrt,
steht nur davor, starrt,
Karambolage, ich meine doch
Fiasko und Havarie,
Stopp, Stopp.
Steht es und tropft, ist es
Regen und so stehen wir
Vorliebend unter uns
Neben Arkaden und so
Dingen, Balkonen und, ja,
Vordächern, obige Schutz-
Maßnahmen aus Wellen, wer
Wollte dagegen Haufen lehnen, sie rutschen verlässlich ab.
Niemandes bare Vermutung,
allerlei Wohlbekanntes,
kleine und unabdingbare,
durchaus ennuyierende
Wörter wie du und ich
Wörter ich mag sie nicht
Besonders."
Dieses Gedicht stammt übrigens, so die Fiktion innerhalb der Fiktion, von einer gewissen Ann Cotten. Die Angaben zu den übrigen Verfassern lesen sich weitaus bizarrer: Es werden unter anderem genannt: eine Stasi-Agentin; ein 200-Kg-Tierfreund; das Echo; der Geist, der natürlich deutscher Abstammung ist; sowie eine zarte Ameisenjungfer, die zugleich ein heroischer Ameisenlöwe ist. Ann Cotten:
"Ich weiß nicht viel über meine eigene Stimme zu sagen, sondern schlüpfe wohl gerne und auch unkontrolliert in irgendwelche Rollen. Und – das ist vielleicht das Schamanische daran – es scheint oft für eine bestimmte Aussage auch sofort eine Figur da zu sein, ... um das möglichst passgenau und vielleicht auch ein bisschen krass darzustellen, ... wie kurze Szenen: Dieser Satz wird von einem Dinosaurier an der Tankstelle gesagt, und dadurch ist eigentlich klar, vor welchem Hintergrund das steht und mit welchem Impetus das gegen wen gesagt wird."
Wer hier spricht, ist daher von ebenso großer Bedeutung, wie die Frage, was von wem gesprochen wird. Der zentrale Text des Bandes – der den Florida-Räumen seinen Titel gab – stammt dabei aus der Feder eines Hundes: Es ist ein Cockerspaniel, der streunend Berlin durchstreift, auf Bodenhöhe, quasi von unten. Dieser Cocker ist Mitglied in einer Versammlung philosophierender Hunde, die sich tagtäglich in Marienfelde in einer Kleingartenkolonie treffen, wo sie räsonieren über Gott und die Welt und vor allem über den sogenannten Florida-Raum. Ann Cotten:
"Das ist ein temporärer Raum ... und es ist nichts im Verhältnis, aber es zeigt sehr viel. Und so ist meine Prosa ja auch: Da ist alles Mögliche drin, wie auch beim Köcher von der Ameisenjungfer, lauter objet trouvé, und das ist dann zusammengesteckt zu einem unregelmäßigen aber zweckdienlichen, manchmal drolligen, manchmal irgendwie hübschen, manchmal auch furchtbar hässlichen Bau. Aber es ist jedenfalls ein Bau, der nicht wie eine richtige Architektur von einem Konzept, einem Plan ausgeht, das zuerst zeichnet, dann die Materialien beschafft, um diesen Plan auszuführen. Sondern die Vorgehensweise ist umgekehrt: Man hat eben ein Material, man arbeitet was damit, es ist privat und es ist ganz nah am Zweck ... und es ist aber auch die Freizeitbeschäftigung."
Dieser Text ist der vielleicht schönste und beste in der Sammlung. Nicht nur, weil Ann Cotten – eine Ausländerin in Berlin – ihre Leser da wirklich in Augenhöhe mitnimmt auf eine erfrischende Tour durch diese Stadt, die sie rotzig frech von unten zeigt und doch auch mit liebevollem Detail für die Schichten alles Alten, das hier wie ein Palimpsest gelagert ist. Vor allem aber ist die von der konkreten Poesie und der experimentellen Sprache herkommende Autorin Cotten in diesem Text plötzlich ganz nah dran am Gegenstand ihrer Beschreibung. Momentweise wagt sie nämlich eine Schlichtheit der Sprache, die es dem Leser erlaubt, sich auszuruhen im Gesagten. Und sie offenbart ihren skurrilen Humor: Denn Cotten geht hier zugleich auf radikale und kulturkritische Tuchfühlung mit den ästhetischen Deformationen der Gegenwart, die sie auf unorthodoxe Weise nicht zuletzt den Bauhaus-Göttern um die Ohren schlägt. Ann Cotten liest:
"Ihre Ideen wurden von tausenden flachen Gemütern zu selbstverständlichen Unverständnissen verbügelt, dafür haben sie selbst gesorgt. Dieser Itten war ein Sektenführer. Moholy-Nagy? Ein junger toller Hund, ein Hut mit neuen Tricks, der ihm den Schädel übergoss, keine Geduld. Und dieser weinerliche Feininger? Er kam, um die Geliebte hier zu treffen, und während sie hämmerte, verklärte er die primitiven Kirchlein der Umgebung. ... Und dann verordnete Gropius, der fleißige Politiker, dass man Werbung machen müsse vor allen Dingen. Jetzt lungern sie, entgeisterte Gespenster, begraben unter den Produkten ihrer Werbung – Beliebigkeit, Kontrolle und Begeisterung im Rahmen der Regeln."
Einerseits also die kraftvolle künstlerische Vision – andererseits die Gefahr, diese Vision zu einem konzeptuellen Selbstläufer zu entäußern: Davor ist auch das Lyriktalent Ann Cotten noch nicht endgültig gefeit. Noch steht die Sprache, wunderbar vertrackt und widerborstig zugleich, sich stellenweise selbst im Weg – allemal, da Ann Cotten nach eigener Aussage sich selbst auf dem Weg zur Prosa befindet, die naturgemäß als Genre eine andere sprachliche Textur verlangt. "Florida-Räume" ist insofern als eine Zwischenstation zu verstehen: ein Textlabor, das Einblick gibt in die Arbeit der Autorin. Das Buch selbst ist also ein Florida-Raum; eine Art Panoptikum des Cotten’schen Denkens und Schreibens, zusammengefügt aus vielen einzelnen Boxen und Schachteln. Man kann sie der Reihe nach oder einzeln öffnen. Man muss und wird nicht alles darin für gut befinden. Es wäre übrigens im Sinne der Autorin. Ann Cotten:
"Das ist der Moment, wo sich der Leser emanzipiert ist, da wo er sagt: ... Das kann ich zwar respektieren, aber ich will das nicht lesen Aber ich hoffe, dass es dem Leser dann geht wie mir, dass ich mich dann auch frage: warum eigentlich? Jetzt wollte ich das lesen und dann wieder nicht – warum? ... Das ist auch das Spannende an Lektüre, ... wenn ich an mir selbst spüre, in welcher Stimmung kann ich das lesen oder das nicht. Und wozu verwende ich Literatur eigentlich? Was suche ich darin? Und dass da halt ein Mensch dahinter steckt, der sich bestimmte Dinge gedacht hat, anderes durchschimmern lässt, was er sich nicht bewusst gedacht hat, was aber für mich sehr interessant ist, und dass da einfach so eine Welt aufgemacht wird, wie ja im Grunde bei jedem, der eine Straße herunter geht."
Ann Cotten: Florida-Räume, Suhrkamp Verlag, Berlin