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Aus dem Rundfunkarchiv
Hans Rosbaud dirigiert Schumann

Mit einer Reihe von Schumann-Einspielungen setzt der Südwestrundfunk seine große Hans Rosbaud-Edition fort. Rosbaud machte sich besonders als Vermittler zeitgenössischer Musik einen Namen, doch diese Aufnahmen zeigen: Er war auch in der Romantik zu Hause.

Am Mikrofon: Norbert Hornig |
    Schwarz-weiß Foto zeigt Hans Rosbaud beim Dirigieren mit dem Taktstock Er trägt eine Brille und einen Anzug mit einem gemusterten Schlips
    Seine Lebensstellung hatte Hans Rosbaud als Chefdirigent des SWF-Sinfonieorchesters in Baden-Baden (SWR)
    Es sind vor allem Rundfunkarchive, aus denen in den vergangenen Jahren immer wieder künstlerisch und dokumentarisch wertvolle Aufnahmen aus der vordigitalen Ära den Weg zurück in die Öffentlichkeit gefunden haben. An bestimmten Interpreten interessierte Kenner und Sammler sind oft überrascht, welche Schätze da gehoben werden, wie groß der Fundus von Aufnahmen ist, die jahrzehntelang nicht mehr gesendet wurden.
    Besonders hervorgetan hat sich hier der Südwestrundfunk mit seinem hauseigenen Label "SWR Classic", das von Naxos Deutschland vertrieben wird. Große Namen sind hier zu finden, wie die der Sänger Fritz Wunderlich und Hermann Prey, der Pianisten Claudio Arrau und Wilhelm Kempff oder der Geigerinnen Ginette Neveu, Lola Bobesco und Edith Peinemann. Und ein Künstler taucht besonders häufig auf: der aus dem steirischen Graz stammende Dirigent Hans Rosbaud.
    Souveräne Vielseitigkeit
    Musik: Robert Schumann: Sinfonie Nr.1 B-Dur op. 38, 3. Satz: Scherzo (Molto vivace)
    Das war der Beginn des dritten Satzes aus der Sinfonie Nr. 1 von Robert Schumann, eine Aufnahme von 1960 mit dem Südwestfunk-Orchester Baden-Baden unter der Leitung von Hans Rosbaud.
    Rosbaud gehörte zu den bedeutendsten Dirigenten im Deutschland der Nachkriegszeit. Ihm setzt das "SWR Classic"-Label mit einer umfangreichen Edition ein diskografisches Denkmal. Noch nie wurde das künstlerische Vermächtnis dieses Dirigenten so systematisch wiederbelebt. Und noch nie klangen diese Aufnahmen so gut, sie wurden auf der Basis der originalen Bänder digital remastered.
    Acht Folgen sind bereits erschienen, u.a. mit Sinfonien von Haydn, Mozart, Bruckner, Brahms und Tschaikowsky. Nun ist Robert Schumann dazugekommen. In einer Box mit drei CDs sind die Sinfonien Nr. 1 und Nr. 4, die Ouvertüre zu Shakespeares Tragödie "Julius Cäsar" sowie die Konzerte für Violine, Violoncello und Klavier mit den Solisten Henryk Szeryng, Pierre Fournier und Annie Fischer versammelt.
    Hans Rosbaud, der vor allem als Vorkämpfer der Musik des 20. Jahrhunderts in Erinnerung geblieben ist, legte stets Wert darauf, nicht als ein Spezialist für zeitgenössische Musik zu gelten.
    Auch diese Schumann-Aufnahmen, die zwischen 1957 und 1962, also in den letzten Jahren vor Rosbauds Tod entstanden, bestätigen nachdrücklich, wie souverän dieser Dirigent die gesamte Bandbreite der Orchesterliteratur beherrschte.
    Die Prägnanz und Klarheit der Formgebung, mit der Rosbaud hoch komplexe Partituren von zeitgenössischer Musik darstellte, sind auch aus seinen Interpretationen des klassischen und romantischen Repertoires herauszuhören.
    Aufbauarbeit in Baden-Baden
    Musik: Robert Schumann: Sinfonie Nr.4 d-Moll op. 120, 4. Satz: Langsam – Lebhaft – Presto
    Hans Rosbaud war ein Intellektueller, auch als Wissenschaftler hätte er sicher Karriere gemacht. Doch er folgte dem Drang, Musiker zu werden und absolvierte am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt am Main eine Ausbildung zum Pianisten und Komponisten. Zu seinen Kommilitonen gehörte dort auch Paul Hindemith.
    1929 wechselte er zum Südwestdeutschen Rundfunk nach Frankfurt und wurde Leiter der Musikabteilung und Dirigent des Rundfunkorchesters. Rosbaud lernte Arnold Schönberg kennen und konzertierte mit Hindemith, Strawinsky und Bartók, der sein zweites Klavierkonzert mit ihm zur Uraufführung brachte.
    Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurden für Rosbaud die Arbeitsbedingungen im Frankfurter Rundfunk zunehmend schwieriger. Durch seinen vehementen Einsatz für die Neue Musik fühlten sich sogar die Kollegen provoziert, sie warfen Rosbaud "Kulturbolschewismus" vor. Obwohl nicht jüdischer Herkunft, wurde er 1936 sogar als "Verkörperung des typischen Juden" diffamiert.
    Rosbaud verließ den Frankfurter Rundfunk und wurde Generalmusikdirektor in Münster, danach in Straßburg. Er arbeitete in der von den Deutschen besetzten Stadt während der Kriegsjahre, ohne seine Integrität als Künstler und Mensch zu verlieren. Rosbauds ehrenhaftes Verhalten wurde auch von der amerikanischen Militärregierung anerkannt. Sie ernannte ihn sofort nach Kriegsende als Nachfolger von Oswald Kabaster zum Münchener Generalmusikdirektor und künstlerischen Leiter der Münchner Philharmoniker.
    Nur wenige Jahre blieb Rosbaud in München, seine Lebensstellung trat er 1948 als Chefdirigent des SWF-Sinfonieorchesters in Baden-Baden an. Dass Rosbaud nach Baden-Baden kam, war ein Glückfall, denn hier hatte er optimale Arbeitsbedingungen, hier konnte er ein Orchester nach seinen Vorstellungen aufbauen und künstlerisch formen. Wie fruchtbar Rosbauds Arbeit in Baden-Baden war, spiegelt sich auch in der großen Zahl von Aufnahmen für den Südwestfunk wider, die das gesamte Repertoire von der Klassik bis hin zur Avantgarde abdecken.
    Beglückende Spielkultur
    Musik: Robert Schumann: Cellokonzert a-Moll op. 129, 1. Satz: Nicht zu schnell
    Vom April 1957 stammt die Live-Aufnahme des Cellokonzertes von Robert Schumann mit dem Solisten Pierre Fournier und dem Südwestfunk-Orchester Baden-Baden unter der Leitung von Hans Rosbaud.
    Fournier, hier mit Anfang Fünfzig im Zenit seiner solistischen Laufbahn stehend, profiliert sich als souveräner, weitsichtig gestaltender Musiker. Brillanz und Tonschönheit, gepaart mit Kultiviertheit und Noblesse – das sind Attribute, die man gemeinhin mit dem Namen des französischen Cellisten verbindet. In dieser Aufnahme aus Baden-Baden ist viel davon zu vernehmen.
    Eine Rarität ist die in der Schumann-Edition enthaltene Studioaufnahme des Violinkonzertes von Robert Schumann mit dem Solisten Henryk Szeryng, die ebenfalls 1957 entstand.
    Szeryng war der erste große Geiger, der sich nach Georg Kulenkampff und Yehudi Menuhin wieder für das lange gemiedene Werk einsetzte. Er spielte es 1964 noch einmal in Stereo für das Label Mercury ein, von der Existenz dieser frühen Rundfunkaufnahme aus Baden-Baden wusste kaum jemand etwas.
    Für die Rezeptionsgeschichte des Werkes ist diese Aufnahme umso bedeutender. Für lange Zeit prägte das ganz klare Linien zeichnende Spiel von Szeryng die Sicht auf dieses Stück maßgeblich mit, bis später dann auch andere Geiger das Werk für sich entdeckten und sich eine Fülle von interpretatorischen Alternativen herausbildeten.
    Diskographische Originale
    Musik: Robert Schumann: Violinkonzert d-Moll, 2. Satz: Langsam
    Henryk Szeryngs frühe Aufnahme des d-Moll Violinkonzertes von Schumann zeigt einmal mehr, dass Rundfunkarchive eine wahre Fundgrube für Historische Aufnahmen sind. Sie stellen einen wesentlichen und lange noch nicht erschlossenen Teil des "klingenden Gedächtnisses" der neueren Musikgeschichte dar. Passionierte Radiohörer wissen nur zu gut, dass es dort noch Vieles zu entdecken gibt - Aufnahmen mit großen Orchestern, Dirigenten und Solisten, die irgendwann einmal gesendet wurden, manche nur ein einziges Mal. Einige davon waren vielleicht eine Zeit lang als nicht lizensierte "Raubkopien" zugänglich, oft klangtechnisch überarbeitet und dabei ruiniert.
    Wiederveröffentlichungen wie diese Schumann-Edition mit dem Dirigenten Hans Rosbaud sind diskographische Glücksfälle. Es ist eine Freude, diesem Dirgenten hier wieder zu begegnen, dem es nie um persönliche Selbstinszenierung und Starkult ging.
    Rosbaud war ein bescheidener, harter und leidenschaftlicher Arbeiter, und eine musikalische Kapazität in jeder Hinsicht. Treffender als Theodor W. Adorno in einer Konzertkritik kann man die Qualitäten dieses Dirigenten kaum charakterisieren. Er beschrieb den jungen Rosbaud als "Überaus ernst, redlich, sachkundig, klar und sehr lebendig, ungemein präzise und bewegt, sorgsam und überzeugend".
    Dass Hans Rosbaud auch ein besonders hellhöriger Begleiter war, kann man aus der Aufnahme des Klavierkonzertes von Schumann mit der ungarischen Pianistin Annie Fischer heraushören. Der eher streng agierende Rosbaud und die sich freier auslebende Solistin, sie finden dennoch zusammen.
    Musik: Robert Schumann: Klavierkonzert a-Moll op. 54, 3. Satz Allegro vivace
    Hans Rosbaud gehörte zu den musikalisch kreativsten Dirigenten der Nachkriegszeit. Das Label "SWR Classic" portraitiert den Künstler derzeit in einer umfangreichen Edition mit zum Teil erstmals veröffentlichten Rundfunkaufnahmen.
    In einer Box mit drei CDs sind jetzt Rosbauds Schumann-Aufnahmen erschienen, die in den Jahren 1957 bis 1962 mit dem Südwestfunk-Orchester Baden-Baden entstanden. Auch eine Einspielung des a-Moll-Klavierkonzertes mit der Solistin Annie Fischer gehört dazu.
    Hans Rosbaud dirigiert Schumann
    Robert Schumann: Sinfonien Nr. 1 & 4; Klavierkonzert op. 54; Violinkonzert d-Moll WoO 23; Cellokonzert op. 129; Ouvertüre zu Shakespeares Julius Cäsar op. 128
    InterpretInnen: Annie Fischer, Henryk Szeryng, Pierre Fournier, Südwestfunk-Orchester Baden-Baden, Hans Rosbaud
    Label: SWR, ADD, 1957-1962