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Aus den Baukästen von Natur und Technik

Technik. - Bionik als wissenschaftliche Disziplin befasst sich mit der technischen Umsetzung von Konstruktions- und Verfahrensprinzipien biologischer Systeme. Praktische Anwendungen sind beispielsweise Autoreifen mit Katzenpfoten-Profil oder Bauteile, die mit Hilfe biologischer Wachstumsregeln hergestellt werden. Bionik-Experten aus aller Welt tauschten dazu am vergangenen Wochenende neueste Erkenntnisse auf einem Kongress aus.

    Von Andrea Vogel

    Ob Radaufhängung oder Motorhalterung: Bis zu 20 Prozent leichter sind die Bauteile, die Dr. Lothar Harzheim und seine Kollegen von der Adam Opel AG wachsen ließen, statt sie klassisch zu entwerfen:

    Wir benutzen die Wachstumsregel von Knochen und Bäumen, um optimale Bauteilgestalten zu erzeugen. Und zwar ist die Grundlage die, dass man herausgefunden hat, dass Knochen und Bäume gewichtsoptimiert sind und festigkeitsoptimiert. Und das sind genau die Ziele, die wir auch haben bei vielen Bauteilgruppen zum Beispiel aus dem Bereich Fahrwerk, und darum können wir in diesem Bereich dieses Verfahren auch einsetzen.

    Die Regeln sind ganz einfach: Entferne Material da, wo die Belastung gering ist, und behalte es oder füge Material hinzu, an Stellen, die stark belastet sind. Und tatsächlich erzeugt der Computer mit diesen einfachen Regeln Strukturen, die sich auch in der Natur bewähren: Röhren zum Beispiel, Hohlstrukturen, wie wir sie von unseren Knochen kennen. Leider taugen gerade die nicht für den Automobilbau. Harzheim:

    Die Wachstumsregel hat einen Nachteil: Sie kennt nämlich bei Gussteilen zum Beispiel keine Fertigungsrestriktionen. Der Knochen braucht sich darum nicht zu kümmern, der wächst einfach in die optimierte Form hinein. Aber wenn wir ein Gussteil gießen wollen, dann müssen wir gewisse Restriktionen beachten. Und deswegen haben wir gesagt, wir müssen gucken, dass wir die Wachstumsregeln mit diesen Restriktionen verheiraten. Das haben wir gemacht. Seit zwei Jahren haben wir also ein erweitertes Programm im Einsatz, wo wir die Wachstumsregel mit den Fertigungsrestriktionen verheiratet haben.

    Gegenüber dem alten Verfahren, bei dem die Entwickler die gewachsenen Strukturen von Hand fit gemacht haben für die Fertigung, sollen so noch einmal 10 bis 20 Prozent zusätzlich an Gewicht eingespart werden können. Bis mit dem neuen Verfahren optimierte Bauteile zum Einsatz kommen, werden allerdings noch einige Jahre vergehen. Seit Neuestem werden aber immerhin die mit der einfachen Wachstumsregel optimierten Teile verbaut. Doch nicht nur beim Entwurf leichter Bauteile dient die Natur als Vorbild. Professor Werner Nachtigall vom Lehrstuhl für technische Biologie und Bionik der Universität der Saarlandes, sieht die Zukunft der Bionik in einem ganz anderen Bereich:

    Also, ich glaube, dass die Materialbionik eine sehr, sehr große Rolle spielen wird, und das bedeutet, dass man Materialien nach dem Gesichtspunkt, wie die Natur das auch macht, strukturieren wird, also zusammengesetzte Materialien, die mehrere Aspekte unter einen Hut bringen, die von klassischen technischen Materialien gar nicht geschafft werden können. Etwa die Kombination einer bestimmten Steifigkeit mit dem Gegenteil, einer bestimmten Elastizität, und das unter ganz definierten Randbedingungen.

    So wie Knochen: Die bestehen aus Kalksalzen und Kollagenfasern und fallen, je nach Anforderung, mal flexibler, mal steifer aus. Ganz ähnlich verhalten sich Mischungen aus Flachsfasern und Kunststoff. Auf der Suche nach neuen Anregungen aus der Biologie ist Professor Ingo Rechenberg vom Lehrstuhl für Bionik und Evolutionstechnik der Technischen Universität Berlin. Er untersucht eine Eidechsenart, die in der Sahara lebt: den Sandfisch. Sandfische schwimmen so schnell durch den lockeren Wüstensand wie "echte" Fische durch Wasser:

    Und das interessiert natürlich wieder den Bioniker, weil man sowieso weiß, dass in der Biologie ja die Evolution enorm viel Experimentieraufwand getrieben hat, um Energie zu sparen. Das werden also Wassertiere ausgerüstet mit einer elastischen Haut, sprich Delfine, oder die Haie, die haben solche eigenartigen gerillten Oberflächen, der Fisch hat ein Schmiermittel, das ist der Fischschleim, also überall wird Energie gespart und Widerstand gespart. Deswegen kam also die Idee auf: Na ja, der Sandfisch, dem geht es eigentlich auch schlecht, der hat ja nicht so viel zu Fressen da in der Sahara, der müsste eigentlich auch irgendwelche Mechanismen haben, um jetzt Festkörperreibung zu vermindern. Und da habe ich im letzten Jahr erste Versuche gemacht, und tatsächlich: Die These stimmt.

    Die Sandfisch-Haut verursacht über 25 Prozent weniger Reibung als selbst eine hochpolierte Stahloberfläche. Wie der Sandfisch das macht, das will der Forscher mit seinen nächsten Experimenten und Untersuchungen herausfinden. Und eines Tages werden dann vielleicht Maschinenbauer seine Erkenntnisse nutzen können. Zum Beispiel, um besonders reibungsarme Lager zu bauen.