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Aus der Geschichte lernen

Seit einigen Jahren beschäftigt sich an der Uni Tübingen der Arbeitskreis "Uni im Nationalsozialismus" mit den Verstrickungen und Abgründen der eigenen Geschichte. Heute hat der Arbeitskreis die Öffentlichkeit über weitere Verfehlungen der Tübinger Universität informiert. Es geht um das Thema Zwangssterilisationen an der Hochschule. Und der Termin war nicht zufällig gewählt.

Von Thomas Wagner | 14.07.2008
    Genau vor 75 Jahren auf den Tag genau haben die Nationalsozialisten das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses – eine schreckliche Bezeichnung – verabschiedet. Und dieses Gesetz hatte konkret auch hier an der Uni Tübingen recht schreckliche Folgen. 1850 Personen wurden hier als Folge dieses Gesetzes zwangssterilisiert, möglicherweise waren es noch mehr, aber 1850 konnte dieser Arbeitskreis Universität Tübingen im Nationalsozialismus ganz genau belegen. Vier Frauen sind an den Folgen dieser Operation gestorben.

    Es gab dazu 46 Schwangerschaftsabbrüche, also eigentlich doch sehr schreckliche Vorgänge an der Uni Tübingen als Folge eines schrecklichen Gesetzes. Und der Arbeitskreis hat sich eben deshalb auch damit beschäftigt, jetzt genau 75 Jahre nachdem dieses Gesetz verabschiedet worden ist, weil für ihn ein Widerspruch sich auftat: Auf der einen Seite die altehrwürdige Universität Tübingen, ein Ort des Lehrens, des Forschens, auf der anderen Seite diese Dinge, die sich dort an der Universität abgespielt haben. Das ist für Professor Urban Wiesing vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Tübingen doch ein Widerspruch, den man eigentlich auf den ersten Blick sehr schwer verdauen kann.

    "Ich finde es immer wieder interessant oder auch erschreckend, wie in einer altehrwürdigen Universität in diesen Jahren die Schranken der Zivilisation innerhalb kürzester Zeit gebrochen sind, wie dünn hier offensichtlich die Firnis einigermaßen zivilisierten Verhaltens war, auch hier."

    Und zwar hier an der Hochschule. Nun muss man sagen, das dieser Arbeitskreis Universität Tübingen im Nationalsozialismus nicht erst in diesem Jahr gegründet worden ist, sondern bereits 2001. Und damals, erläutert Professor Urban Wiesing, gab es einen konkreten Anlass.

    "Der damalige Anlass war folgender, man war sich immer noch nicht klar, welche Doktortitel, die man aberkannt hat im Nationalsozialismus, nun wieder zuerkannt worden waren. Hatte man wirklich alle Beschlüsse, einen Doktorat aus rassistischen Gründen oder sonstigen Gründen, wieder rückgängig gemacht, das war nicht klar. Wir haben dann die ganzen Fälle von aberkannten Doktoraten durchgeschaut und festgestellt, dass es immer noch einige Fälle gab, die unklar waren. Wir haben dann empfohlen in vier Fällen, die Aberkennung rückgängig zu machen. Und das ist auch von allen beteiligten Fakultäten so übernommen worden."

    Da bestand der Arbeitskreis nun mal und er hat sich nach diesen Doktoratsgeschichten, welche Themen kann man weiter bearbeiten. Und er hat sich dann darum gekümmert, wie ist die Universität Tübingen seinerzeit mit Zwangsarbeitern umgegangen, wie ist sie umgegangen mit Juden, die, sei es als Professoren oder wissenschaftliche Mitarbeiter, dort waren. Das alles wurde veröffentlicht und dokumentiert sozusagen. Und nun wie gesagt, als letztes dieser thematischen Kapitel die Aufarbeitung der Zwangssterilisationen hier an der Universitätsklinik Tübingen. Das alles hat viel Zeit gekostet, schlägt natürlich auch intern hohe Wellen. Auf der einen Seite, weil man diese Zahlen so nicht kannte bislang. Auf der anderen Seite werden diese Angaben aber bei den Studierenden zum Beispiel eigentlich kaum wahrgenommen, haben wir heute morgen bei einer Umfrage festgestellt.

    Student A: "Ich studiere Jura und ich habe von dem Arbeitskreis noch gar nichts gehört. Ich finde das aber eigentlich ziemlich wichtig, dass darüber gesprochen wird und dass das aufgearbeitet wird. Auch die Rolle der Universitäten, vor allem der Professoren, was die an Gedankengut damals verbreitet haben. Dass es jetzt erst kommt, ist natürlich bedauernswert, aber ich denke schon, dass es wichtig ist, dass es einem persönlich immer wieder vor Augen geführt wird, was wir vor 60 Jahren verbrochen haben."

    Student B: "Ich studiere Jura. Also ich habe auch noch nichts davon gehört. Ich finde das prinzipiell sehr wichtig, allerdings würde ich wichtiger finden, dass die Konsequenzen des Nationalsozialismus, und zwar besonders in der Juristischen Fakultät, da weiß ich Bescheid, dass sehr viele Juristen immer noch hohe Positionen bekleidet haben, obwohl sie zur, man sagt zur unbegrenzten Auslegung beigetragen haben. Ich finde es viel wichtiger, so etwas aufzuarbeiten und zu sagen, das waren die Personen, die auch federführend waren bei Nationalsozialismus. Warum bekleiden die immer noch elitäre Positionen?"

    Studentin C: "Ich studiere Internationale VWL, und zum Thema Nationalsozialismus an der Uni denke ich, dass es schon noch ein wichtiges Thema ist, gerade auch hier in der Universitätsstadt Tübingen, weil hier gibt es noch viele Verbindungen, die auch teilweise etwas rechtsgerichtet sind. Und deswegen wird das Thema auch unter Studierenden noch regelmäßig diskutiert, inwieweit waren da Studenten dabei oder auch Professoren, wieweit haben die das propagiert. Und ich glaube, es ist schon wichtig, es nicht zu vergessen. Es gibt hier halt sehr viele linke Studentengruppen, die sich auch ein bisschen darum kümmern, aber dass von der Universität selbst etwas kommt, davon wusste ich nichts. "

    Und deshalb macht man sich natürlich in diesem Arbeitskreis Gedanken darüber, warum diese Inhalte bei den Studierenden zum Beispiel nicht ankommen. Und das hat natürlich seine Gründe auch in der Organisation des studentischen Alltags heutzutage, sagt Professor Urban Wiesing

    "Ich glaube, es liegt an vielen Faktoren. Einer der Faktoren ist der, dass es für diese Generation keine Form von Aufbegehren oder von schwieriger Arbeit ist, sich damit auseinander zu setzen. Sie haben das zumeisten schon in der Schule erfahren. Darüber hinaus ist das Studium heute sehr verschult, das muss man einfach anerkennen und das wird auch nicht besser durch die neuen Reformen. Ansonsten finde ich es sehr bedauerlich. Es ist bekannt, was wir tun. Wir sind offen für jeden, der mitarbeitet."

    Auch eben für die Studierenden. Und da hofft man in Zukunft auf eine etwas bessere Resonanz in diesem Arbeitskreis Universität Tübingen im Nationalsozialismus.