Klar ist: die Bertelsmann Stiftung hat sich der Bildungspolitik verschrieben und setzt sich nach eigenem Bekunden für mehr Chancengerechtigkeit ein. Ihre Auftragsstudien gelten als seriös und finden auch Niederschlag in den Deutschlandfunk-Nachrichten. Das Geld für diese Studien erhält die Stiftung im Wesentlichen aus Erträgen ihrer Beteiligung am Bertelsmann-Konzern.
Bildung als Geschäft
Kaum Beachtung findet in den Nachrichten indes der Umstand, dass der Gütersloher Medienkonzern die Bildung als strategisches Geschäftsfeld ausbaut. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt "in den USA sowie in den Schwellenländern Brasilien, China und Indien" sagt Pressesprecher Stephan Knüttel. Dort gebe es eine stark wachsende Nachfrage nach Bildungsangeboten.
Getrennte Bereiche
Formal gibt es also keinerlei direkte Überschneidungen zwischen geschäftlichen Interessen und Stiftungsarbeit. Auf diese Aussage legt auch der Vorsitzende der Bertelsmann-Stiftung, Jörg Dräger, Wert. Dräger sagte bei der Vorstellung seines Buches "Die digitale Bildungsrevolution", die Sie hier sehen können (Zitat ab Minute 24, 35 Sekunden):
"Es ist richtig, dass die Bertelsmann- Stiftung Anteile des Bertelsmann-Konzerns hält und wir profitieren von der Dividende. Trotzdem sind es getrennte Bereiche. Der Konzern konzentriert sich auf die Online-Weiterbildung, insbesondere in den Gesundheitsberufen, während uns als Stiftung die Frage der Chancengerechtigkeit und der Teilhabe, der Zugang zu Bildung in Deutschland und Europa interessiert."
Keine Abstimmung und keine Koordination, aber es gibt eine gewisse Nähe. So lässt sich auch die Aussage des Geschäftsführers von Bertelsmann Education, Kay Kraft interpretieren (Zitat, Seite 10):
"Bildung passt aufgrund der Markt- und Geschäftscharakteristika sehr gut zu Bertelsmann mit seinem langfristigen unternehmerischen Ansatz und der Eigentümerstruktur mit Familie und Stiftung."
Das Unternehmen erwartet einen steigenden Bedarf an hochwertigen Bildungsangeboten. Das Volumen wird weltweit auf fünf Billionen US-Dollar beziffert, der zweitgrößte Sektor nach dem Gesundheitswesen. Die Digitalisierung, so heißt es in einer Darstellung des Unternehmens, habe "neue, effektive Wege geschaffen, Bildung einer breiten Masse zugänglich zu machen". Oder mit der Worten des Chefs der Bertelsmann-Stiftung Dräger:
"Die digitale Bildungsrevolution ist eine Antwort auf eine zu starke Privatisierung des analogen Systems. Warum findet diese Revolution in Amerika statt. Weil Bildung im universitären Bereich aberwitzig teuer ist. An der Universität in Standford bezahle ich 52.000 Dollar Studiengebühren im Jahr."
Offen bleibt die Frage, ob Bertelsmann nicht doch irgendwann in Europa im Bildungsbereich stärker aktiv wird. Die Stiftung beschäftigt sich jedenfalls nachhaltig mit der Frage, ob auch an deutschen Schulen und Universitäten digitale Medien stärker eingesetzt werden könnten. 2015 veröffentlichte die Stiftung unter anderem vier Untersuchungen zu dem Thema:
- - "Chancen der Digitalisierung für individuelle Förderung im Unterricht"
- - "Chancen und Risiken digitaler Medien in der Schule"
- - "Individuelle Förderung mit digitalen Medien"
- - "Szenarien lernförderlicher IT-Infrastrukturen in Schulen"
Die Rolle der Politik
Wie denken Bildungspolitiker über die Bertelsmann Stiftung und den Medienkonzern? Wir haben dazu rund 20 Abgeordnete und bildungspolitische Sprecher in den Landtagen von Nordrhein-Westfalen, Bayern und Thüringen sowie im Bundestag befragt. Es ist eine Momentaufnahme, die nicht repräsentativ ist.. Nur wenige Politiker antworteten auf unsere schriftliche Anfrage, viele sahen sich verhindert oder wichen aus. Konkret wollten wir wissen:
- Wie bewerten Sie die "Strategie der Digitalisierung" des Medienkonzerns?
- Sehen Sie darin die Arbeit der Stiftung berührt? Gibt es Ihrer Ansicht nach Interessenskonflikte?
- Welchen Einfluss hat die Bertelsmann Stiftung auf die deutsche Bildungspolitik?
Die Linken-Bundesabgeordnete Rosemarie Heinen sieht die Rolle des Bertelsmann-Konzerns so: "Die Strategie, Bildung zu einer dritten Ertragssäule zu machen, ist nicht neu. Bertelsmann bereitet sie – wie ich das sehe – seit etwa 20 Jahren vor". Die SPD-Bundestagsabgeordnete und Bildungspolitikerin Saskia Esken findet es positiv, dass Bertelsmann sich "auf den Weg in das digitale Zeitalter macht. "Wir würden doch wichtige Chancen vergeben, nicht mit allen Akteuren und damit auch mit den Unternehmen und Stiftungen, im Austausch zu stehen." Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu sieht Chancen in der "digitalen Bildung". "Das Wichtigste ist, die Öffnung und Durchlässigkeit des Bildungssystems für alle. Damit alle Kinder davon profitieren. Ich freue mich, wenn die Bertelsmann Stiftung hier ihren Beitrag leistet."
Heimatland NRW
Spannend war auch die Frage, wie Bildungspolitiker im Landtag von Nordrhein-Westfalen reagieren, also in jenem Bundesland, in den Bertelsmann und die Stiftung ihren Sitz haben. Allein die Grünen und die Piraten sahen sich in der Lage, Stellung zu beziehen. Die bildungspolitische Sprecherin der Piraten im NRW-Landtag, Monika Pieper, zählt offensichtlich zu den schärfsten Kritikern. Bertelsmann sei – wie andere Medienkonzerne auch - wegen der "digitalen Revolution" schwer unter Druck geraten. Bildung sei als Wachstumsmarkt eine Alternative. Auch sieht Pieper wegen der finanziellen Abhängigkeiten von Stiftung und Konzern Interessenskonflikte. "Sie sind wesentlicher Bestandteil des "Systems", so Pieper. Skeptisch äußerten sich auch die Bündnis90/Die Grünen in Nordrhein Westfalen. Allerdings blieb es bei Appellen. So forderte die Pressesprecherin der NRW-Grünen-Fraktion Katharina Bons: "Ein Einfluss der Unternehmensleitung auf die inhaltliche Arbeit der Stiftung muss ausgeschlossen werden und dies auch strukturell untermauert sein."
Und was bedeutet das für unsere Nachrichten?
Welche Schlussfolgerungen kann nun die Nachrichtenredaktion des Deutschlandfunks aus diesen Überlegungen ziehen. Studien der Bertelsmann-Stiftung zum Thema Bildung werden uns auch in Zukunft erreichen. Sie werden auch Niederschlag in den Nachrichten finden, wenn die Erkenntnisse der Forscher relevant und plausibel sind, wenn sie wissenschaftlichen Standards genügen. Darüber hinaus werden wir aber auch die Geschäftspolitik der Bertelsmann Konzerns weiter begleiten und eventuelle Interessenkonflikte offen legen.