Die Deutschlandfunk-Nachrichten beschäftigen sich selten mit Gewaltverbrechen. Sie sind trauriger Alltag in Deutschland. Die einzelnen Taten haben aber meist keinen überregionalen oder politischen Bezug. Der brutale Feuerangriff in einer Berliner U-Bahn-Station stellt eine Ausnahme dar.
Es handelt sich um ein Zeichen für zwei gesellschaftliche Entwicklungen: Obdachlosigkeit wird im sozial gespaltenen Deutschland ein immer größeres Phänomen. Und der Angriff auf einen schlafenden, wehrlosen Obdachlosen zeigt einen extremen Tabubruch an. Passanten und ein U-Bahnfahrer eilten sofort zur Hilfe und retteten dem Mann das Leben. Auch das ist bemerkens- und berichtenswert. Das Geschehen im Ganzen sollte gesellschaftlich besprochen werden. Daher haben wir es gemeldet.
Fahndung und Aussagen der Polizei
Die Berliner Polizei hatte sich nach der Tat in der Weihnachtsnacht gestern zur öffentlichen Fahndung entschlossen. Sie veröffentlichte Bilder von den Jugendlichen. Auf den Fotos und einem Video waren die Gesuchten in einer U-Bahn zu sehen. Nach wenigen Stunden der Fahndung hatten sich sechs der sieben Verdächtigen gestellt. Der siebte wurde festgenommen. Die Polizei hat dann selbst die Nationalität der Männer genannt. Nach diesen Angaben stammen sechs aus Syrien, einer aus Libyen. Sie sollen zwischen 2014 und 2016 als Flüchtlinge nach Deutschland eingereist sein.
Warum wir die Herkunft der Männer nennen
Nach der Veröffentlichung durch die Polizei haben wir diskutiert und gerungen in der Redaktion. Die Frage war: Was trägt die Herkunft in diesem Fall zum Verständnis bei?
Wir halten nach wie vor fest am Pressekodex, der als Richtlinie 12.1. hervorhebt:
"In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht."
Der Passus hat übrigens nicht Eingang in den Pressekodex gefunden, weil – wie es manch einer heute darstellt – angebliche Gutmenschen angeblich überdurchschnittlich häufig delinquente Asylbewerber schützen wollten. Wie mir Roman Portack vom Presserat heute berichtete, geht der Passus vielmehr auf eine Initiative von deutsch-amerikanischen Clubs zurück. Sie setzten sich Anfang der 1970er Jahre gegen eine Diskriminierung von in Deutschland stationierten US-Soldaten mit schwarzer Hautfarbe zur Wehr.
Der Passus kam auch schon vielen anderen Gruppen zugute. Im Ausland sind es oft Deutsche, die mit Klischees verbunden werden und bei Straftaten ihrer Nationalität zugeordnet werden. Jeder wird das eine oder andere Nachbarland kennen, in dem Vorurteile gegen Deutsche grassieren. Wäre es nicht schön, wenn auch da ein Presserat aufpassen würde?
Wir wissen also, dass auch Gewalt nicht von Nationalität oder anderen Formen der Gruppenzugehörigkeit abhängt. Daher haben wir auch zunächst die Nationalität des jungen Mannes nicht genannt, dessen Opfer die Studentin in Freiburg wurde. Mein Kollege Jörg-Christian Schillmöller hat unsere Haltung im Deutschlandfunk-Radioprogramm begründet.
Wir wissen aber auch, dass die nach dem Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt angelaufene Debatte über Videoüberwachung nun noch intensiver werden wird. Das gilt auch für die politische Diskussion über die Folgen der Aufnahme von vielen Flüchtlingen in unserem Land. Diese Debatten stehen nun im Fokus unserer Berichterstattung. In diesem Zusammenhang ist es relevant, dass die jungen Männer, denen nun versuchter Mord an dem Obdachlosen vorgeworfen wird, Flüchtlinge sind.
Deshalb haben wir uns letztlich entschieden, die Nationalitäten zu nennen.