Annika Schneider: "Ist geschlechtergerechte Sprache in der Nachrichtenredaktion des Deutschlandfunks ein Thema?"
Tanja Köhler: "Wir setzen uns in der Nachrichtenredaktion schon seit längerer Zeit mit dem Thema geschlechtergerechte Sprache auseinander, weil uns bewusst ist, dass Sprache Wirklichkeit konstruiert. Sprache ruft Assoziationen hervor und erzeugt Bilder im Kopf. Wenn wir in den Nachrichten immer nur von Politikern, Bürgern oder Ärzten sprechen, dann hat das auch Auswirkungen auf unser Weltbild. Wenn ich jetzt zum Beispiel von einem Polizisten spreche, dann bin ich mir ziemlich sicher, dass wir alle erst einmal einen Mann vor Augen haben. In unseren Nachrichten benutzen wir deshalb eine Mischung aus unterschiedlichen geschlechtergerechten Formulierungen. Wir schreiben manchmal die weibliche und die männliche Form, in dem wir beispielsweise von Politikerinnen und Politikern sprechen. Wir suchen aber auch oft nach neutralen Formulierungen, die alle Menschen mit einschließen, in dem wir beispielsweise "Menschen" schreiben oder "Personen". Und wir benutzen auch Partizipialkonstruktionen, wir sprechen dann von Mitarbeitenden, Demonstrierenden, Studierenden. Ehrlicherweise muss man aber auch sagen, obwohl wir schon relativ viel versuchen, wird es am Ende dann oft noch die männliche Form. Gerade wenn es schnell gehen muss, und das ist in einer aktuell arbeitenden Redaktion wie den Nachrichten ja oft der Fall, dann greifen wir noch oft auf die männliche Form zurück, das geht schneller, da muss man nicht viel nachdenken, weil geschlechtergerechte Sprache ja immer noch eine ungewohnte Form des Schreibens ist."
Schneider: "Das heißt, es ist auch ein bisschen Trainings- und Gewöhnungssache?"
Köhler: "Unbedingt."
Schneider: "Wie präsent ist das Thema denn in der Redaktion?"
Köhler: "Die geschlechtergerechte Sprache ist in unserer Redaktion eines der Themen, über die wir viel diskutieren. Im Arbeitsalltag sprechen wir natürlich gemeinsam darüber, welche geschlechtergerechte Formulierung man z.B. für ein Wort nutzen könnte, wie man eine Nachricht geschlechtergerecht formulieren kann. Das ist das eine. Wir hinterfragen aber auch viel mehr als früher Informationen oder Formulierungen. Gab es bei den Protesten wirklich nur Demonstranten oder auch Demonstrantinnen? Das klingt jetzt banal. Aber die Frage ist nicht unerheblich, weil sie auch gesellschaftspolitische Bedeutung haben kann. Nehmen wir zum Beispiel die Proteste im Sudan, die zum Sturz der Militärdiktatur geführt haben. Die wurden maßgeblich von Frauen initiiert und Frauen haben damals 70 Prozent der Demonstrierenden ausgemacht. Das ist für unsere Berichterstattung ein ganz wichtiger Fakt. Vor allem wenn man bedenkt, dass der Sudan eines der Länder mit den am stärksten eingeschränkten Frauenrechten weltweit ist. Im Sudan können Frauen für das Tragen von Hosen oder für das Ablegen des Kopftuches mit Peitschenhieben bestraft werden. Wir müssen aber gar nicht so weit gehen, es gibt auch Beispiele in Deutschland. Wenn wir in den Nachrichten schreiben würden "Erzieher in Deutschland demonstrieren für mehr Geld", dann würde das die Realität nicht richtig widerspiegeln, weil wir alle wissen, dass in dieser Branche einfach viel mehr Frauen arbeiten als Männer. Insofern, in unseren Redaktion hinterfragen wir Wörter und Begrifflichkeiten, wir suchen nach anderen Formulierungen und formulieren im Zweifel um, um den Fakt bestmöglich transportieren zu können.
"Es ist nicht schwierig, geschlechtergerecht zu formulieren und dabei verständlich zu bleiben"
Schneider: "Das bedeutet im Zweifel aber auch mehr Recherchearbeit, oder?"
Köhler: "Ja, das stimmt. Ich erinnere mich, dass mir ein Kollege mal erzählte, dass er geflucht hat als er eine Meldung schreiben wollte zu den bevorstehenden Wahlen in Somalia. Er sagte mir, "die habe ich nicht gegendert bekommen". Er wollte als Leadsatz schreiben: "Die Menschen in Somalia wählen einen neuen Regierungschef oder eine neue Regierungschefin." Für Regierungschef hat er keine neutrale Formulierung gefunden, er hätte also "Regierungschef oder Regierungschefin" schreiben müssen. Das Problem zu diesem Zeitpunkt war, es gab keine Informationen darüber, ob eine Frau kandidiert hat. Mitunter wäre also die Formulierung Regierungschefin falsch gewesen. Und darauf kommt es eben auch an: Das in der gegenderten Meldung die Fakten korrekt sein müssen."
Schneider: "Zum einen ist die Zeit begrenzt, um Nachrichten zu produzieren, zum anderen ist auch die Sendezeit begrenzt. Sind gendergerechte Formulierungen immer länger?"
Köhler: "In der Sprache generell, aber auch in unseren Nachrichten geht es ja immer auch um Ökonomie. Wir wollen schnell und verständlich formulieren und nicht lang und umständlich. Würden wir in jedem zweiten Satz immer die männliche und weibliche Formulierung benutzen, dann würden unsere Nachrichten in der Tat zu lang und ich glaube auch zu mühsam und umständlich. Wir müssen in unseren Hörfunk-Nachrichten ohnehin auf Länge achten, weil wir zeitlich begrenzt sind. Das trifft auf unsere digitalen Produkte nicht zu, da haben wir kein Platzproblem, aber trotzdem wollen wir auch online nicht langatmig und umständlich formulieren. Grundsätzlich muss man aber sagen, dass es nicht schwierig ist, geschlechtergerecht zu formulieren und dabei auch verständlich zu bleiben. Wir haben das anfangs in unserer Redaktion auch getestet. Wir haben einen Workshop aufgesetzt und fünf Mitarbeitenden gesagt, wir schreiben jetzt einmal unsere Meldungen, die in der rein männlichen Form geschrieben wurden, in geschlechtergerechte Sprache um, und schauen anschließend, ob die Meldungen tatsächlich unverständlicher werden. Das Ergebnis war: Nein, wenn wir Variationen von geschlechtergerechten Formulierungen benutzen, dann gibt es keinen Unterschied in der Verständlichkeit zwischen Nachrichten, die in geschlechtergerechter Sprache formuliert sind und denen, die in der rein männlichen Form geschrieben wurden.
Schneider: "Und gab es auch keinen Unterschied in der Länge der Nachrichten?"
Köhler: "Die Herausforderung für unsere Redaktion liegt tatsächlich darin, dass eine Hörfunk-Nachricht nicht zu lang werden darf, weil wir einfach Zeitvorgaben für unsere Sendungen haben. In jedem zweiten Satz die männliche und weibliche Form zu nutzen, das würde in der Tat zu lang werden. Deswegen haben wir gesagt, wir versuchen in unseren Nachrichten eine Mischung aus unterschiedlichen geschlechtergerechten Formulierungen zu benutzen, um dieses Problem zu umgehen."
Der Fakt muss auch in der Meldung stimmen, die in der rein männliche Form geschrieben ist
Schneider: "Wann klappt das besonders gut und wann ist das besonders schwierig?"
Köhler: "Besonders gelungen sind Meldungen immer dann, wenn man selbst gar nicht mehr merkt, dass sie geschlechtergerecht formuliert wurden. Das ist natürlich subjektiv, weil wir alle unterschiedliche Befindlichkeiten in diesem Bereich mitbringen. Besonders kniffelig wird es für uns immer dort, wo wir keine neutralen Formulierungen und keine Partizipialkonstruktionen finden, und eben nicht in jedem zweiten Satz die weibliche und männliche Formulierung benutzen möchten. Manchmal schreiben wir dann in einem Satz zum Beispiel von Ärztinnen und im nächsten Satz dann von Ärzten, also dass wir beide Formulierungen, die weibliche und die männliche, in einer Meldung unterbringen. Ich finde, das ist eigentlich ein guter Mittelweg.
Schneider: "Was sind Beispiele für Wörter, über die man länger nachdenken muss?"
Köhler: "Das sind vor allem die langen Wörter, für die es keine neutralen Formulierungen gibt, die sind immer sehr verzwickt. Wörter wie zum Beispiel Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, Regierungschefs und Regierungschefinnen."
Schneider: "Ist geschlechtergerechte Sprache also eine zusätzliche Herausforderung in einem ohnehin eng getakteten Redaktionsalltag?"
Köhler: "Man glaubt ja immer, wenn man geschlechtergerecht formuliert, dann dauert es länger eine korrekte Formulierung zu finden und die liest sich im Zweifel auch noch umständlicher. Ich finde aber, dass das keine Herausforderung ist. Wir sind ja alle Nachrichtenjournalistinnen und -journalisten. Unser wichtigstes Handwerkszeug ist die Sprache. Deshalb finde ich, dass Geschwindigkeit als Herausforderung nicht zählt, weil es kein Aufwand ist, über eine Formulierung nachzudenken. Im besten Fall müssen wir irgendwann auch gar nicht mehr darüber nachdenken, weil geschlechtergerechte Sprache selbstverständlich geworden ist. Die Herausforderung für unsere Redaktion liegt eher darin, dass die Meldung nicht zu lang wird und dass sie inhaltlich korrekt bleibt. Ich hatte ja gerade von den Wahlen in Somalia gesprochen, wo der Kollege gesagt hat, diese Meldung kriege er nicht gegendert, weil er nicht wusste, ob eine Frau kandidiert. Umgekehrt gilt das natürlich auch für die männliche Form. Wenn ich zum Beispiel schreibe "Soldaten der Bundeswehr dürfen keine Burkas tragen", dann ist das genauso falsch, weil Männer keine Burkas tragen. Insofern: Der Fakt muss stimmen, in der gegenderten Meldung wie in der Meldung, die die rein männliche Form benutzt."
Das Interview wurde für das Dlf-Medienmagazin @mediasres für den Beitrag "Gendern im Journalismus" geführt.