Schon als ich zum ersten Mal als Praktikant beim DLF reinschauen durfte, gab es kaum einen Sendetag, an dem über Genscher nicht berichtet wurde. Kein Wunder angesichts der Rolle, die der FDP-Politiker damals nicht nur in Deutschland inne hatte. Ständig war er auf der Bonner Bühne präsent. Aber genauso ständig reiste er irgendwohin. Wie er das wohl gemacht hat?
"..., sagte Genscher im Deutschlandfunk."
Kaum ein Ort der Welt, an dem er nicht etwas gefordert, gewürdigt, eingeweiht oder angemahnt hat. Und kaum ein Ort der Welt, von dem er nicht dem Deutschlandfunk per Telefon oder Leitung ein Interview gegeben hätte. Wie viele dieser Gespräche es waren, das kann niemand sagen. Aber es waren sehr viele. Ich kann nicht einmal mehr grob schätzen, wie oft ich eines dieser Interviews als Nachrichtenredakteur abgehört und in eine "sagte Genscher im Deutschlandfunk-Meldung" verwandelt habe.
Natürlich wusste der gewiefte Politiker, dass der DLF ideal geeignet war, um seine Botschaften an interessierte Hörerinnen und Hörer zu bringen, an Multiplikatoren, aber auch an die anderen aus der Besatzung des "Raumschiffs Bonn". Auch damals schon hörten viele Politikerinnen und Politiker insbesondere in der Frühe unser Programm. Aber der DLF war für den Mann aus Halle auch immer der "Sender der Einheit", dem er sich wegen dieses besonderen Auftrags ebenso besonders verbunden fühlte.
"Unser meistbeschäftigter Freier Mitarbeiter!
Nicht selten haben wir Genscher als den am "meisten beschäftigten Freien Mitarbeiter des DLF" bezeichnet oder den Witz gemacht, er werde sich eines Tages auf eine Festanstellung in unserem Haus einklagen. Auch damals schon gab es einige unter uns, denen das des Guten zuviel war, aber so war sie die Zeit, insbesondere die der Bonner Republik.
Politik und Journalismus - auch räumlich nah
Und nicht nur Genscher wohnte in der Nähe von Bonn, auch einige unserer Redakteure lebten dort, einer sogar nur ein paar Häuser weiter. Eines Morgens hatten wir diesen Kollegen der Nachtschicht besonders müde in den Feierabend verabschiedet. Wir machten uns Sorgen, ob er die Fahrt nach Hause ohne Sekundenschlaf am Steuer überstehen würde. Als es dann vierzig Minuten später während des Interviews mit Genscher laut hörbar an dessen Tür klingelte, da war für uns klar: Der Kollege ist gut angekommen, er steht nur vor der falschen Haustür.
Der "elder statesman" und seine "akustische Pflichtlektüre"
Schon als "elder statesman" hat Hans Dietrich Genscher im Januar 1997 bei der Verabschiedung des Nachrichtenchefs Peter Beyersdorf die Festrede gehalten. In der Presseerklärung hieß es damals: "Der ehemalige Bundesminister des Auswärtigen betonte den besonderen Stellenwert des Deutschlandfunks in der deutschen Medienlandschaft. Genscher, der das Programm als "akustische Pflichtlektüre" bezeichnete, hob hervor:
"Nirgends ist die Trennung von Nachricht und Meinung so ausgeprägt wie in diesem Sender." Genscher ging in seinen Ausführungen auch auf die unbefriedigende Frequenzversorgung des Deutschlandfunks ein: "Die Verantwortlichen in den Ländern sollten überprüfen, ob es nicht angemessen wäre, wenn der Sender von Flensburg bis Oberstdorf und von Aachen bis Cottbus auf derselben Frequenz gehört werden könnte."
All das könnte man heute noch genau so sagen. Als der Deutschlandfunk viele Jahre später seinen fünfzigsten Geburtstag im Januar 2012 vorbereitete, da baten wir auch Genscher uns zu sagen, was unser Sender für ihn bedeute. Und er fand großzügige Worte, die ich hier noch einmal zitieren möchte:
"Der Deutschlandfunk hat eine geradezu historische Funktion erfüllt - in der Zeit der deutschen Teilung und in der Zeit des Zusammenwachsens. Heute gibt er als Nachrichtensender einen Ausblick in die ganze Welt. Für mich ist der Deutschlandfunk der Sender schlechthin."