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Aus einer Mannschaft werden sechs

72 Jahre lang trat bei internationalen Fußball-Turnieren eine jugoslawische Nationalmannschaft an –teilweise überaus erfolgreich. 1990 zog man bei der WM ins Viertelfinale ein. Zwei Jahre später war es damit vorbei. Die ethnischen Konflikte auf dem Balkan machten auch vor der Nationalmannschaft nicht halt.

Von Johanna Herzing | 18.06.2010
    Belgrad am 22. Mai 1992. Jugoslawiens Nationaltrainer Ivica Osim sitzt schweißgebadet vor einer Runde Journalisten:

    "Es ist eine private Geste und meine persönliche Entscheidung. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Mein Rücktritt ist das Einzige, was ich für meine Stadt tun kann. Sie sollen sich daran erinnern, dass ich aus Sarajevo komme. Sie wissen, was dort passiert."

    1992 – es ist das Jahr, in dem die Belagerung Sarajevos beginnt und die Stadt zum Symbol wird für den blutigen Zerfall des Vielvölkerstaats Jugoslawien. Mit seinem Rücktritt setzt Nationaltrainer Osim ein Zeichen: Die Teilnahme an einem internationalen Turnier ist für ihn unter diesen Umständen undenkbar. Wenig später werden die "Plavi", die "Blauen", trotz Qualifikation von der Europa-Meisterschaft in Schweden ausgeschlossen. Eine Fußball-Ära mit Spieler-Legenden
    wie Prosineczki, Bobban, Stojkovic, Schukär und Mihajlovic geht zu Ende.
    Bei der Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich treten bereits zwei Mannschaften an: eine kroatische und eine serbisch-montenegrinische; letztere unter dem Namen Jugoslawien. Heute gibt es entsprechend den Nachfolgestaaten sechs Nationalmannschaften, von denen sich allerdings nur zwei, Serbien und Slowenien, für die WM-Endrunde in Südafrika qualifizieren konnten. Kroatien, Mazedonien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina mussten zuhause bleiben. Dass alle Staaten einzeln antreten, scheint vielen mittlerweile selbstverständlich. Der Krieg, der dazu geführt hat, ist jedoch auch der jüngeren Spielergeneration unvergessen. Neven Subotic, das Talent von Borussia Dortmund und in Südafrika Teil der serbischen Mannschaft:

    "Wir sind vor dem Krieg gegangen. Mein Vater hat gemeint, er hat es schon geahnt, dass es sehr brenzlig wird da unten, er wollte uns davor schonen, er wollte uns eine Zukunft bieten."

    Und die gab es damals nur im Ausland.