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Aus für "Apple Daily"
"Medienvielfalt hart getroffen"

Die Boulevardzeitung "Apple Daily" galt als eine der letzten pro-demokratischen Stimmen in Hongkong. Nach massivem Druck wurde nun die letzte Ausgabe herausgegeben. Die Einstellung der Zeitung sorgt für Trauer in der Redaktion, Resignation in der Bevölkerung – und für internationalen Protest.

Text: Sören Brinkmann / Steffen Wurzel im Gespräch mit Annabell Brockhues |
Ein Mann hält zwei exemplare der letzten Ausgabe der Hongkonger Tageszeitung "Apple Daily" in die Höhe.
In einer Rekordauflage wurde die letzte Ausgabe der Tageszeitung "Apple Daily" in Hongkong verkauft (imago/ Penta Press/ Kevin On Man Lee)
Klatsch, Prominews und reichlich Kritik an der chinesischen Staatsführung und der repressiven Politik in Hongkong – so hat die Tageszeitung "Apple Daily" ein großes Publikum erreicht. Entsprechend viel Aufmerksamkeit hat die Nachricht erzeugt, dass "Apple Daily" nach massivem Druck der Behörden eingestellt wird. Reaktionen kamen nicht nur aus der früheren britischen Kolonie und heutigen Sonderverwaltungszone Hongkong, sondern von Staaten und Organisationen weltweit.
Die für China-Angelegenheiten zuständigen Politiker Taiwans bedauerten in einer Erklärung, dass die Medien in Hongkong wegen "politischer Unterdrückung" durch das nationale Sicherheitsgesetz nicht in der Lage seien, zu arbeiten. Ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Borrell sagte, das Ende von "Apple Daily" zeige deutlich, wie das von Peking erlassene Sicherheitsgesetz dazu genutzt werde, die Presse- und Meinungsfreiheit einzuschränken.

Regierungskritisch gegenüber Peking und Hongkong

Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" richtete sich mit einem dringenden Appell an die Vereinten Nationen und forderte, dass "alle notwendigen Maßnahmen" ergriffen werden sollten, um die Pressefreiheit in Hongkong zu schützen.
In der letzten Ausgabe sei vor allem zurückgeblickt worden auf die 26-jährige Geschichte der Zeitung, erklärte Korrespondent Steffen Wurzel, der unter anderem für die Berichterstattung aus Hongkong zuständig ist: "Da war natürlich auch viel Stolz dabei", so Wurzel im Deutschlandfunk.
Die Zeitung habe zum pro-demokratischen Lager in der Stadt gehört und sei somit immer auch regierungskritisch gewesen, "nicht nur regierungskritisch gegenüber der Staats- und Parteiführung in Peking, der chinesischen Zentralregierung, sondern natürlich auch regierungskritisch gegenüber der Hongkonger Verwaltung, die ja eingesetzt wird von der chinesischen Zentralregierung".

Dank der Redaktion "für Liebe und Unterstützung"

Die Redaktion wandte sich nun an ihre Leserinnen und Leser mit den Worten: "Hier verabschieden wir uns, passt auf euch auf." In einem Online-Artikel bedankten sich die Zeitungsmacher außerdem "für 26 Jahre immenser Liebe und Unterstützung".
Beim Verkauf der letzten Ausgabe der Hongkonger Tageszeitung "Apple Daily" bildet sich eine lange Menschenschlange
Verkauf der letzten Ausgabe der Hongkonger Tageszeitung "Apple Daily" (imago/ Ivan Abreu)
Schon am frühen Morgen standen hunderte Menschen vor den Kiosken an, um ein Exemplar der letzten Ausgabe zu bekommen, die eigens mit einer erhöhten Auflage von einer Million Stück gedruckt worden war. Bis 8.30 Uhr war die "Apple Daily" fast überall ausverkauft. Viele Passanten äußerten sich emotional und resigniert gegenüber Reportern.
Nach Einschätzung von Steffen Wurzel passt das Aus von "Apple Daily" zum Trend in Hongkong: "Seit die chinesische Staatsführung dieses sogenannte Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit vor ziemlich genau einem Jahr in Kraft gesetzt hat in Hongkong, ist es so, dass es die Medienvielfalt hart getroffen hat – übrigens auch das, was die bestehenden Medien sich noch trauen, zu schreiben. Die Selbstzensur in Hongkong hat deutlich zugenommen."
Ein Mann mit einem Mund-Nase-Schutz liest eine Ausgabe der "Apple Daily".
Hongkong-Zeitung "Apple Daily" - Die Stimme des Protests
Die "Apple Daily" gehört zu den meistgelesenen Zeitungen in Hongkong. Sie hat sich als Stimme der Demokratiebewegung etabliert. Doch der wirtschaftliche und politische Druck würden zum großen Problem, so SZ-Korrespondentin Lea Deuber im Dlf.
Nach Jahren der Schikanen gegen "Apple Daily" sende die erzwungene Schließung eine erschreckende Botschaft aus, hieß es von Reporter ohne Grenzen: "Wenn die internationale Gemeinschaft nicht mit größter Entschlossenheit reagiert, wird Präsident Xi Jinping wissen, dass er die Pressefreiheit in Hongkong völlig ungestraft auslöschen kann, wie er es bereits im Rest Chinas getan hat", sagte der Leiter des Asienbüros, Cédric Alviani.

Hongkongs Regierungschefin weist Kritik zurück

Der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen in Deutschland, Christian Mihr, sieht im Ende von "Apple Daily" die Zerschlagung eines Symbols der Pressefreiheit. Die Zeitung sei 1995 aus einem Geist der Skepsis und Sorge gegründet worden, als Hongkongs Zugehörigkeit zum Commonwealth zu Ende ging und die Metropole in den Status einer chinesischen Sonderverwaltungszone versetzt wurde.
Die Hongkonger Tageszeitung Apple Daily wird an einem Kiosk von Verkäuferin zu Kundin gereicht.
"Apple Daily" in Hongkong wird eingestellt - Schwerer Schlag gegen die Pressefreiheit
Die prodemokratische Zeitung "Apple Daily" erscheint zum letzten Mal, der Druck der chinesischen Behörden war zu groß. Die Organisation Reporter ohne Grenzen fordert eindringlich, die kritischen Journalisten in Hongkong nicht allein zu lassen.
Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam wies die ausländische Kritik am Vorgehen gegen "Apple Daily" zurück und erklärte, die Zeitung habe gegen das nationale Sicherheitsgesetz verstoßen. Das dürfe man weder herunterspielen noch schönreden.
Der Vorstand der Next Digital Media Group, bei der "Apple Daily" erscheint, hatte am Mittwoch (23.06.) erklärt, dass die Zeitung alle ihre Aktivitäten einstellen wird. Zuvor waren Büros und Redaktionsräume durchsucht, Konten des Unternehmens mit umgerechnet rund 1,9 Millionen Euro eingefroren und fünf leitende Mitarbeiter wegen des Verdachts der "Verschwörung zur Kollaboration mit ausländischen Streitkräften" festgenommen worden.

Deutliche Verschlechterung der Pressefreiheit in Hongkong

Der Gründer von "Apple Daily", Jimmy Lai, sitzt bereits seit Dezember 2020 im Gefängnis. Er wurde kürzlich zu insgesamt 20 Monaten Haft verurteilt, weil er zu nicht autorisierten Protesten für Demokratie in Hongkong aufgerufen habe. Weitere Verfahren gegen ihn laufen noch.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen ist Hongkong von Platz 18 im Jahr 2002 auf Platz 80 im Jahr 2021 gefallen. Die Volksrepublik China liegt auf Platz 177 von 180.