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Aus für INF-Vertrag
Gefahr für die europäische Sicherheitsarchitektur

Mit Ende des INF-Abrüstungsvertrags dürfen Russland und die USA wieder Mittelstreckenraketen bauen. Russland tue das ohnehin schon, meinen die Nato-Staaten. Mancher Experte glaubt, wenn das Bündnis keine angemessene Antwort finde, drohe "die nukleare Erpressbarkeit Europas".

Von Bettina Klein | 02.08.2019
Test einer russischen Burevestnik-Mittelstrecken-Atomrakete
Die Nato-Staaten werfen Russland vor, schon länger Mittelstreckenraketen mit unerlaubter Reichweite zu bauen (picture alliance / Russisches Verteidigungsministerium)
Bis zuletzt lag bei der Nato der Fokus darauf, den Vertrag zu erhalten, in dem man Russland zu dessen Einhaltung bewegt. Die Hoffnung darauf war am Ende auf wenig bis nichts zusammengeschrumpft. Die Sprachregelung bei Nato-Generalsekretär Stoltenberg über Monate die Gleiche:
"In klarer Verletzung des Vertrages hat Russland sein neues SSC-8-Raketen-System entwickelt, getestet und stationiert. Eine Rakete die atomwaffenfähig ist und europäische Städte innerhalb von Minuten erreichen kann. Wir rufen Russland dazu auf, sich wieder vertragstreu zu verhalten."
Nachdem Russland die Existenz des Waffensystems schließlich eingeräumt hatte, beharrt es bis heute darauf, dass die Reichweite unter 500 Kilometern liegt und damit vertragskonform ist. Nach Informationen von Nato-Staaten beträgt die Reichweite allerdings mehr als 2.500 Kilometer. Die Nato war und ist niemals Vertragspartner gewesen, das Bündnis aber sehr wohl seinerzeit eingebunden beim Zustandekommen des INF-Vertrages.
"Als politisches Symbol ist es eine Katastrophe"
Alle heutigen 29 Mitgliedsländer, von denen 23 auch der EU angehören, teilen die Auffassung, dass es Russland ist, das den Vertrag seit Jahren verletzt und nicht die USA. Nato-Generalsekretär Stoltenberg nach dem jüngsten Nato-Russland-Rat Anfang Juli.
"Es gibt keine neuen US-Waffen in Europa, aber es gibt neue russische. Das ist der einzige Grund weshalb der Vertrag in Gefahr ist."
Der INF-Vertrag war über Jahrzehnte ein Eckpfeiler der europäischen Sicherheit. Viele Waffensysteme und Staaten, die heute sicherheitsrelevant sind, waren allerdings vom Vertrag niemals erfasst. Der Politikwissenschaftler Johannes Varwick lehrt an der Universität Halle Wittenberg und ist Präsident der deutschen Gesellschaft für Sicherheitspolitik.
"Insofern ist jetzt das Wegbrechen des INF-Vertrages für sich genommen keine Katastrophe, aber als politisches Symbol ist es schon eine Katastrophe. Weil eben die Entfremdung zwischen dem Westen und Russland in den vergangenen Jahren ein neues Symbol hat. Wenn das damals Motor und Symbol war, ist es heute auch wieder Motor und Symbol - leider nur in die komplett andere Richtung"
Nato will keine neuen landgestützten Atomraketen in Europa
Russland wird sich diese Gelegenheit wohl nun nicht entgehen lassen, glaubt Jan Techau, Europa-Experte beim German Marshall Fund. Die nukleare Balance könnte seiner Meinung nach aus dem Gleichgewicht geraten.
"Falls Russland die Gunst der Stunde nach Ende dieses Vertrages nutzen sollte, um solche Waffen wieder aufzustellen in Europa, die auch Westeuropa bedrohen, und dann die Nato keine Antwort findet, wie ein Gleichgewicht wiederhergestellt werden kann, dann droht die nukleare Erpressbarkeit Europas. Und dann ist eine Situation gegeben, die im Grunde das Ende der Sicherheitsarchitektur ist, wie wir sie seit 70 Jahren kennen."
Die Nato wird reagieren - auf eine Welt ohne INF-Vertrag. Koordiniert, abgewogen und rein defensiv, so beschlossen es die Verteidigungsminister Ende Juni. Die nukleare Abschreckung und Verteidigung müsse aufrecht erhalten bleiben. Allerdings soll es keine neuen landgestützten Atomwaffen in Europa geben.
"Ministers confirmed today that we have no intention to deploy new landbased nuclear missiles in Europe"
Bei aller Sorge und Betroffenheit gilt für die Nato: Ein Vertrag der nur von einer Seite eingehalten wird, ist nicht tragbar und dient nicht der Sicherheit. Wie genau das Bündnis reagieren wird, dazu dürfte es heute weitere Anhaltspunkte geben.