Enttäuscht haben Ökonomen und Wirtschaftsvertreter auf das Aus der Sondierungsgespräche in Berlin reagiert. In den Wirtschaftsverbänden zeigte man sich überrascht, so beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau VDMA - dessen Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann sagt: "Jetzt muss es darum gehen, wie wir möglichst schnell zu stabilen politischen Verhältnissen kommen. Eine Hängepartie kann sich Deutschland in keiner Weise leisten."
Investitionen und Standortentscheidungen
Die Chemie zwischen den Partnern habe offenbar zu wenig gestimmt, um eine gemeinsame politische Vision für Deutschland zu finden, bedauerte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie, Utz Tilmann: "Ob das nun Digitalisierung ist, Energiewende, Innovation oder Bildung, auch Infrastruktur sind ganz, ganz wichtige Themen, an denen politische Entscheidungen erforderlich sind."
An der Digitalisierung seien die Gespräche zwar nicht gescheitert, heißt es aus dem Bundesverband Digitale Wirtschaft. Aber um wichtige Entscheidungen zu treffen, benötige man eine stabile Regierung. Die Unsicherheit sei tatsächlich jetzt ein großer Hemmschuh, warnt Gertrud Traud, Chefvolkswirtin der Helaba:
"Es ist unklar, in welche Zukunft Deutschland jetzt gehen wird. Das könnte gerade die Investitionen belasten, die Unternehmer werden mit neuen Investitionen warten, vielleicht auch die Ausländer, die sich erst einmal zurückhalten bei Standortentscheidungen. Und Deutschland macht jetzt den Eindruck eines politisch unsicheren Kandidaten, und das ist natürlich sehr bedauerlich."
Nachdenken über Minderheitsregierung
Eine handlungsfähige Regierung braucht das Land, mahnt auch Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung: "Die Parteien, die die Sondierungsgespräche geführt haben, haben sich immer nur über rote Linien geeinigt, aber nicht über Ziele und Visionen. Und Deutschland hat riesige Herausforderungen. Zum Beispiel muss Europa reformiert werden. Europa ist nach wie vor eine große Gefahr auch für den Wohlstand in Deutschland. Die Frage, wie Deutschland in 10,15, 20 Jahren wettbewerbsfähig bleiben kann, ist offen."
Doch es sei Deutschland und der deutschen Wirtschaft auch nicht geholfen, wenn eine mögliche Koalitionsregierung nach einem Jahr auseinanderbrechen würde, sagt Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts. Er regt an, über eine Minderheitsregierung nachzudenken:
"Das hätte den Vorteil, dass das Parlament gestärkt wird, dass die Diskussion im Parlament sich stärker auf Inhalte wirklich konzentrieren würde, sie offener wäre. Die Entscheidungen würden nicht in irgendwelchen Koalitionszirkeln im stillen Kämmerlein fallen. Ich denke, man sollte sich ernsthaft mit der Frage beschäftigen, ob eine Minderheitsregierung nicht auch ganz gut funktionieren könnte."