Dirk Müller: Immerhin die Österreicher freuen sich, die Niederländer freuen sich auch, und die deutschen Grünen und Liberalen ebenfalls, sogar auch die SPD, weil die Maut gescheitert ist vor dem Europäischen Gerichtshof, das umstrittene deutsche Mautmodell, eine Vignette für alle Autobahnnutzer, ganz gleich woher diese kommen. Doch die deutschen Autofahrer sollen unter dem Strich billiger davon kommen, indem sie durch die Kfz-Steuer entlastet werden, in Höhe der Vignette. Das ist diskriminierend, das verstößt gegen den Binnenmarkt und damit gegen europäisches Recht. Das haben gestern jedenfalls die Richter in Luxemburg so festgestellt. Das Prestige-Projekt der CSU ist damit begraben, vorerst zumindest. Die Reaktionen sind zum Teil verheerend.
Die Maut verstößt also gegen europäisches Recht - eine schallende Ohrfeige für die Große Koalition, vor allem aber für die CSU, die das Projekt forciert und durchgesetzt hat in der Großen Koalition. Am Telefon ist nun die CSU-Politikerin Daniela Ludwig, Obfrau der Unions-Fraktion im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages. Guten Morgen!
Daniela Ludwig: Schönen guten Morgen.
"Entscheidung des EuGH kam überraschend"
Müller: Wie weh hat das Ihnen getan gestern?
Ludwig: Ja, das hat natürlich weh getan, vor allem, weil es für uns alle sehr überraschend kam. Wir hatten ja ein durchaus überzeugendes Plädoyer des Generalanwalts Richtung EuGH für unsere PKW-Maut. Dass das Gericht jetzt komplett anders entscheidet, kam überraschend. Es tut auch weh. Ich würde auch mal behaupten, es tut vielen deutschen Autofahrern weh, die sich durchaus gewünscht hätten, dass auch diejenigen, die unser Land "nur" als Transitland nutzen, auch sich an den Kosten unserer Infrastruktur beteiligen.
Müller: Wie kann es denn sein, dass Sie als Expertin auch dann ernsthaft gedacht haben, dass das Ganze durchgeht?
Ludwig: Ich war ja nicht ganz alleine. Ich habe es gerade erwähnt: Der Generalanwalt, der ja immer plädiert und, ich glaube, sogar in diesem Fall das erste Mal entschieden hat, die PKW-Maut sei zulässig - und der EuGH hat dagegen entschieden, sie ist nicht zulässig - war für unsere PKW-Maut. Das ist durch den Bundestag, durch den Bundesrat, es hat die Unterschrift des Bundespräsidenten gefunden. Und es hat, was mir sehr wichtig ist, auch die Notifizierung der EU-Kommission bekommen. Wir haben ja auf die Freigabe gewartet, die Freigabe wurde erteilt. Nur so wurden wir ja auch in die Situation versetzt, ausschreiben zu können, Verträge zu schließen. Ich glaube, da muss man jetzt kein allzu großer Nichtexperte sein, um ehrlich zu sein. Man konnte nicht erwarten, dass gestern der EuGH hergeht und sagt, das geht so nicht.
Müller: Aber es hat ja viele Gutachten gegeben, man kann die ja kaum zählen und aufführen, die gesagt haben, das Ganze muss schiefgehen.
Ludwig: Ich muss Ihnen mal sagen: Wenn das gestern anders ausgegangen wäre, wären genau die anderen Gutachten zitiert worden, die nicht gesagt haben, es wird schiefgehen. Man kann es drehen und wenden, wie man es will: Es war nicht vorhersehbar, es war nicht erwartbar für uns. Deswegen hat es natürlich gestern weh getan. Es ist ein Rückschlag für die Nutzerfinanzierung generell. Denn wir haben als CSU immer vertreten, wir wollen eigentlich weg von der konjunkturabhängigen Finanzierung der Infrastruktur, hin zur Nutzerfinanzierung, die wir bei der LKW-Maut ja schon seit Jahren sehr, sehr gut praktizieren. Das ist jetzt in der Tat ein Rückschritt und wir werden in den nächsten Wochen und Monaten sehen, ob noch mal ein Weg dahin führt.
"Was die Österreicher machen, stößt an meine Toleranzgrenzen"
Müller: Ist das Ganze, Frau Ludwig, nicht deshalb so problematisch, weil Sie sich nicht getraut haben, die deutschen Autofahrer zu belasten?
Ludwig: Wir haben uns deswegen nicht getraut - und ich finde, das ist ein durchaus guter Grund -, weil der deutsche Autofahrer über mehrere Steuern ja die deutsche Infrastruktur bereits mitfinanziert. Und ehrlicherweise muss man auch sagen: Selbst die Österreicher entlasten österreichische Autofahrer von der Vignette, indem sie Pendlerboni auszahlen zum Beispiel.
Müller: Aber dagegen können Sie doch klagen.
Ludwig: Das könnten wir tatsächlich machen. Ich sage Ihnen jetzt ganz ehrlich: Als Nachbarin zu Österreich überlege ich mir das ernsthafterweise, ob man das nicht mal in die Diskussion bringt. Denn was die Österreicher machen im Transitverkehr, stößt mittlerweile auch an meine Toleranzgrenzen. Das Urteil gestern hat nicht unbedingt dazu beigetragen, mehr Verständnis für die Österreicher zu wecken.
Müller: Aber kommen wir dahin noch mal zurück. Das heißt, jetzt könnten Sie durchaus sich damit anfreunden zu sagen: Wir machen eine Vignette und jeder muss das bezahlen, was er dann auf der Scheibe kleben hat, und bekommt nichts kompensiert?
Ludwig: Noch mal: Wir werden jetzt in den nächsten Tagen und Wochen die Diskussion zu führen haben der Rückabwicklung dessen, was wir an Prozessen eingeleitet haben für die PKW-Maut, die gestern nicht durchgegangen ist. Das werden wir tun müssen. Und dann werden wir sicherlich in der Fraktion zunächst mal die Debatte zu führen haben, wollen wir einen weiteren Schritt Richtung Nutzerfinanzierung wie bei der LKW-Maut gehen? Welche Faktoren sind uns dabei wichtig und finden wir dafür eine Mehrheit? Das kann ich zum heutigen Tage nicht vorhersagen. Da will ich auch keinem Kollegen vorgreifen.
Es gibt viele Kollegen, die sehr an unserer Seite waren, die sehr dafür gekämpft haben, dass diese PKW-Maut kommt. Es gibt aber auch Kollegen, die immer skeptisch waren, und das muss ich akzeptieren und da werden wir jetzt Debatten zu führen haben, auch im Zuge der Frage, wie ist die Ökobilanz unseres Verkehrs, bekommen wir eine intelligente Steuerung unserer Verkehre denn hin? Das wird sowieso ein großes Thema sein im Herbst und im Winter diesen Jahres, und ob dann die Nutzerfinanzierung hier wieder eine herausragende Rolle spielt oder nicht, vermag ich zum heutigen Tage nicht zu beurteilen.
Kosten sollen transparent gemacht werden
Müller: Das werden wir jetzt auch wieder in den Sommerferien erleben, auch Sie gerade in Bayern. Im Grunde geht das ja jetzt schon los und bald kommt Nordrhein-Westfalen dazu. Da werden sich viele fragen, warum können Tausende, Zehntausende von Niederländern, Schweden, Dänen, wie auch immer kostenfrei durch Deutschland fahren? – Meine Frage ist jetzt: Sie kennen sich so gut aus mit dem Zahlenwerk, mit der ganzen Genese des Projektes. Wie teuer ist das bislang gewesen?
Ludwig: Dafür haben wir jetzt gestern die Task Force eingerichtet, der ich nicht vorgreifen möchte. Die wird in den nächsten Tagen sehr konkrete Zahlen vorlegen. Ich begrüße das auch, dass wir das so transparent wie möglich machen. Der Minister hat da gestern sehr schnell entschieden.
Müller: 140 Millionen haben wir gestern gelesen. Kann das sein?
Ludwig: Ich beteilige mich heute nicht an Spekulationen. Ich werde heute nach Berlin fliegen, wir werden weitere Gespräche dazu führen. Und Sie dürfen versichert sein, dass wir das alles offen auf den Tisch legen. Dazu sind wir auch verpflichtet und das wollen wir auch. Ich sage es aber noch mal: Es war nicht vorhersehbar nach der Notifizierung durch die Kommission und nach all den Gesetzeswegen, die wir hier in Deutschland gegangen sind, dass das gestern so passiert. Das ist für uns nicht schön, aber wir werden uns natürlich auch den Folgen stellen und die dann auch transparent der Öffentlichkeit mitteilen.
Müller: Wer bezahlt das denn jetzt, Frau Ludwig? Steuerzahler oder CSU?
Ludwig: Na gut, auch die CSU zahlt Steuern, unter uns gesagt, falls Sie das noch nicht wussten. Auch jedes einzelne CSU-Mitglied zahlt Steuern.
Schadensersatzforderungen noch offen
Müller: Also einen Teil davon?
Ludwig: Deswegen tragen wir natürlich alle an diesem Verlust mit. Darum sage ich, es ist umso bitterer, weil wir alle Signale bekommen haben, dass die Ampel auf Grün steht für dieses Projekt, und der EuGH hat nun leider gestern anders entschieden.
Müller: Entschädigungen, Schadenersatz, das ist auch in der Diskussion. Ist das realistisch? Muss der Staat Schadenersatz zahlen an die beteiligten Unternehmen?
Ludwig: Die Verträge sind ja relativ wasserdicht auch geschlossen worden mit den beteiligten Unternehmen. Eines davon hat sich gestern ja auch schon sehr deutlich geäußert und hat sich zuversichtlich gezeigt, dass man hier einen guten Weg miteinander finden würde. Es sei auch alles vertraglich geregelt. Wie gesagt: Die Task Force sitzt seit gestern dran, schaut sich das alles intensiv an, und ich werde mich jetzt nicht mal 24 Stunden nach dem Urteil noch nicht an solchen Spekulationen beteiligen. Wir werden uns das in den nächsten Tagen und Wochen anschauen müssen.
Müller: "Auf einem guten Weg" heißt, es muss was bezahlt werden?
Ludwig: Das kann ich noch nicht sagen. Da müssten Sie beim Unternehmen nachfragen, wie die Formulierung gemeint war. Wir haben gute Verträge mit den beiden Unternehmen geschlossen, um die es jetzt im Moment geht, die auch von vielen Juristen begutachtet worden sind. Und das werden wir uns jetzt in den nächsten Tagen und Wochen anschauen, wie ein solches Gerichtsurteil sich darauf auswirkt.
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