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Aus Protest gegen die Gewalt in seiner Heimat
Schwimmer aus Myanmar verzichtet auf Olympia-Start

Seit sich in Myanmar das Militär an die Macht putschte, ist der Alltag von Protesten und Gewalt geprägt. Zu den vielen Menschen, die sich gegen das Militärregime stellen, gehören auch Sportlerinnen und Sportler. Einer von ihnen hat verkündet, Myanmar nicht bei Olympia repräsentieren zu wollen. An der Staatsflagge klebe zu viel Blut.

Von Felix Lill |
Win Htet Oo beim Training im Melbourne Aquatic Centre.
Der Schwimmer Win Htet Oo aus Myanmar beim Training im Melbourne Aquatic Centre. (AFP - Asanka Brendon Ratnayake)
Vor gut drei Monaten sah der größte Traum von Win Htet Oo noch so aus: In diesem Sommer würde er in Tokio die Schwimmbrille aufsetzen, seine Schultern lockern und mit den Händen fest unter den Startblock greifen. Beim Schusssignal würde er ins Olympiabecken springen und schwimmen, so schnell es geht. Für sein Land.
Den Traum hatte er sogar schon verwirklicht. Win Htet Oo hält drei nationale Rekorde; auf 50 Meter Freistil hat er die olympische Normzeit geschafft. Aber nach Tokio will er jetzt nicht mehr. Nicht wegen der Pandemie, sondern wegen Politik in seiner Heimat:

Schwimmer kann sich mit Myanmar nicht mehr identifizieren

"Jeder, der mit unserem Militär zusammenarbeitet, wendet sich gegen die Menschen. Der Vorsitzende unseres Nationalen Olympischen Komitees ist ein Verräter. Er ist Teil des Militärregimes. Ich habe in dieser Sache das IOC kontaktiert und die sagten mir, Myanmar habe den Plan, ein Team nach Tokio zu schicken. Also solle jede Kommunikation über Myanmars Olympisches Komitee führen. Ich glaube aber nicht, dass man mit denen zusammenarbeiten kann. Sie können die Olympischen Ideale nicht verkörpern."
Im April verkündete Win Htet Oo als erster Athlet Myanmars, dass er bei der größten Sportveranstaltung der Welt diesen Sommer nicht für sein Land antreten will. In einem auf Facebook veröffentlichten Brief erklärt er die Entscheidung unter anderem mit diesem Satz:
"In der Parade der Nationen werde ich nicht unter der Flagge eines Landes marschieren, die eingeweicht ist im Blut meines Volkes."
Seit sich Anfang Februar das Militär an die Macht putschte, herrscht in Myanmar Chaos. Immer wieder protestieren Menschen auf den Straßen für eine Rückkehr zur noch jungen Demokratie. Das Militär aber geht hart dagegen vor. Hunderte sind bis jetzt gestorben, Tausende in Haft. Dass eine klare Mehrheit im Land Demokratie fordert, scheint das nun herrschende Regime kaum zu interessieren. Aber auch die Demonstranten wollen nicht nachlassen.

Taekwondo-Kämpferin wurde vom Militär erschossen

"Über soziale Medien sah ich, wie die Sportlerin Ma Kyal Sin vom Militär getötet wurde. Sie hatte wie alle anderen auch auf der Straße protestiert. Sie war Taekwondo-Kämpferin. Und sie hatte den Mut, eine Märtyrerin für unsere Demokratie zu werden. Solche Menschen inspirieren andere Leute. Das half mir auch bei meiner Entscheidung. Und ich verstehe einfach nicht, wie das IOC auf der Seite des Militärregimes stehen kann",
sagt der 26-jährige Schwimmer. Er und die im März erschossene Kampfsportlerin Ma Kyal Sin sind nicht die einzigen Athleten des Landes, die sich gegen das Militärregime positioniert haben.
Menschen stehen in Mandalay in Myanmar neben dem Sarg von Ma Kyal Sin während ihrer Beerdigungszeremonie. Sie wurde am 3. März 2021 während der Proteste vom Militär erschossen.
Menschen stehen in Mandalay in Myanmar neben dem Sarg von Ma Kyal Sin während ihrer Beerdigungszeremonie. Sie wurde am 3. März 2021 während der Proteste vom Militär erschossen. (www.imago-images.de)
Da ist zum Beispiel Aung La Nsang, mehrfacher Weltmeister in Mixed Martial Arts. Anfang April postete er über soziale Medien mit dem Hashtag #SaveMyanmar die folgenden Zeilen einer politisch engagierten Sängerin:
"Wir werden nicht kapitulieren, nicht einmal am Ende der Welt; unsere Geschichte ist mit Blut geschrieben; für die Helden, die ihre Leben für uns gelassen haben; Revolution und Demokratie."
Hinzu kommt Hein Htet Aung, U23-Nationalspieler im Fußball. Anfang März, als er ein Tor für seinen malaysischen Arbeitgeber Selangor FC bejubelte, posierte der 19-Jährige mit drei ausgestreckten Fingern. Dieser Gruß lehnt sich an die Filmreihe "Tribute von Panem" an und ist typisch für die Demokratiebewegung. Hein Htet Aung wurde für diese politische Äußerung mit einer einwöchigen Spielsperre bestraft. Von seinem Sportkameraden Win Htet Oo erhält er dafür Lob:
"Ich begrüße seine Aktion. Aber ich finde auch, dass so etwas zu seiner Verantwortung gehört. Denn er lebt im Ausland."
Dies ist tatsächlich ein Muster der unerschrockenen Regierungskritiker aus der Sportöffentlichkeit: Sie leben nicht in Myanmar. Der MMA-Kämpfer Aung La Nsang wohnt in den USA, der Schwimmer Win Htet Oo in Australien. Wer in Myanmar selbst Stellung bezieht, läuft größere Gefahr. Dies musste offenbar die Badmintonspielerin Thet Htar Thuzar spüren.

Badmintonspielerin unter Druck gesetzt?

Sie gilt als bekannteste Sportlerin des Landes. Über Facebook solidarisierte sie sich bald nach dem Putsch mit den Demonstranten. Kurz darauf war ihr Profil nicht mehr verfügbar. Auf Facebook gibt es nur nun Fanpages mit Zehntausenden Mitgliedern. Hinter der plötzlichen Stille um die Badmintonspielerin vermuten Aktivisten, dass sie vom Militär unter Druck gesetzt worden ist.
Dennoch: Die Haltung vieler prominenter Sportler ist nun Allgemeinwissen. Und die Wichtigkeit dessen sei für die Demokratiebewegung gar nicht zu unterschätzen, sagt der im Land bekannte Journalist Soe Myint:
"Ein großer Unterschied zwischen den Demokratiebewegungen früherer Jahrzehnte und der von heute ist, dass die Leute sich jetzt trauen, laut ihre Meinung zu sagen. Man sieht das im Moment sehr viel. Ein Grund sind die sozialen Medien. Das Militär geht mittlerweile auch öffentlich gegen diese Prominenten vor. Aber die Leute geben nicht auf. Sie bekämpfen das Regime ganz offen."

Boykott als Kampf gegen das Regime

Für den Schwimmer Win Htet Oo ist der persönliche Olympiaboykott ein Kampf gegen das Regime. Dabei fühlt er sich auch vom IOC alleingelassen. Denn bei Olympia hätte er seine Opposition zum Militärputsch in seinem Land gar nicht zeigen dürfen. Das verhindert die Regel 50 der Olympischen Charta, bei einer aktuellen Befragung hatte sich gerade erst eine Mehrheit von Athletinnen und Athleten aus 185 Ländern und 41 Sportarten für das umstrittene Protestverbot auf dem Siegerpodium ausgesprochen. Anders Win Htet Oo:
"Auch ich habe an dieser Befragung teilgenommen, die das IOC gemacht hat. Ich habe fast überall angekreuzt, dass ich es in Ordnung finde, wenn Athleten sich ausdrücken, solange sie niemanden persönlich angreifen. Ich finde es ist eine Schande, dass das IOC zu diesem Entschluss gekommen ist. Die olympische Bewegung sollte eine der Freiheit sein. Und die einzige Weise, auf die Menschen Freude an Sport und Bewegung empfinden können, ist doch durch humanistische Werte. Das ist die Idee der Freiheit."