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Dante Alighieri
Politiker, Exilant, Ahnherr des christlichen Humanismus

In der "Göttlichen Komödie" führt Dante Alighieri seine Leser von den Niederungen der Hölle bis ins Paradies. Die versgewordenen Jensseitswelten der "Commedia" bieten aber auch Einblick in das Denken des Autors, seinen Glauben und seine Gesellschaftskritik - und begeistern bis heute.

Von Michael Reitz |
Ein zeitgenössischer Stich des italienischen Dichters Dante Alighieri.
Die "Commedia" hat Dante Alighieri unsterblich gemacht (picture-alliance / Diener)

Auf der Hälfte des Weges unseres Lebens fand ich mich in einem finsteren Wald wieder, denn der gerade Weg war verloren. Ach, es fällt so schwer zu sagen, wie er war, dieser Wald, so wild und garstig und dicht, der mir noch immer Angst macht, wenn ich daran denke.

Kaum ein Erzählungsanfang ist so berühmt wie dieser. Er stammt aus der „Göttlichen Komödie“ des italienischen Dichters Dante Alighieri, hier in der 2012 erschienenen Übertragung von Hartmut Köhler. Der Text entstand im frühen 14. Jahrhundert und hat über die Jahrhunderte hinweg die Menschen fasziniert. Schriftsteller aller nachfolgenden Epochen benutzten ihn als Vorlage für eigene Dichtungen. Mehr als 50 Mal wurde das Versepos seit seinem Erscheinen ins Deutsche übersetzt.

"Eine Kosmologie von traumhafter Bildkraft"

Das ist umso erstaunlicher, als Dantes „Commedia“ uns in eine Sphäre führt, die gleichzeitig ängstigt und neugierig macht. Denn der Ich-Erzähler Dante Alighieri begibt sich auf eine Reise in die Jenseitswelten.

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"Das Besondere dabei ist, dass er versucht, die ganze Welt und das ganze Leben und den Sinn des Lebens hineinzubringen", so der Philosoph und Theologe Jörg Splett. "Der Grundgedanke ist ja der, dass er sich in seinem Leben verloren hat, in der Mitte des Lebens - heute würde man von Midlife Crisis reden, dass er von dort her seinen Ort und seinen Platz findet. Und dass das eben aus Liebe zu ihm, die seine verehrte Freundin da eben durchgesetzt hat und gebeten hat bei Maria, dass das auf diesem Weg geht. Und dahinter ist eben eine ganze Kosmologie, die natürlich nicht mehr die unsere ist, aber die von, finde ich, nach wie vor von einer traumhaften Bildkraft ist."

Italien im Umbruch

Will man die „Commedia“ verstehen, so muss man sich die Lebenssituation ihres Schöpfers vergegenwärtigen: Denn er war nicht nur Dichter, sondern auch Politiker und Autor bedeutender staatsphilosophischer Werke.
Zum Schreibzeitpunkt – Dante Alighieri begann das Buch im Jahr 1307 und vollendete es nach 14 Jahren – befanden sich die norditalienischen Stadtstaaten in einem politischen Chaos. Zwei Parteien bekämpften sich in blutigen Auseinandersetzungen. Dante gehörte der Regierung seiner Heimatstadt Florenz an und stand in Opposition zum Papst. Als dieser sich durchsetzte, musste der Dichter und Politiker Dante aus Florenz fliehen und wurde später sogar in Abwesenheit zum Tode verurteilt.
Dante und die „Göttliche Komödie“ - Vom Inferno zum Paradies
Dante Alighieri schrieb seine „Divina commedia“ Anfang des 14. Jahrhunderts in der damaligen, „volgare“ genannten Volkssprache und machte diese damit salonfähig. Das 14.000 Verse umfassende Werk war damals auch als scharfe Kritik an den Zuständen zu lesen.
Die Münchener Romanistin Franziska Meier geht in ihrem 2021 unter dem Titel „Besuch in der Hölle“ veröffentlichten Buch den Wirkungen der „Göttlichen Komödie“ nach, die um die ganze Welt führen. Zur Dantes Schreibmotivation sagt sie:
"Es ist eine Zeit des enormen Umbruchs auch. Das ist in Italien das zu Ende gehende Mittelalter, und da versucht jemand, nochmal alles in eine Ordnung zu bringen, also verstehen zu wollen. Das Gebäude hat Risse, und in diesen Rissen deutet sich meines Erachtens dieser Druck – existenziell, geistig, philosophisch-theologischer Druck – an, mit dem Dante versucht hat, fertig zu werden."
Rainer Stillers, ehemaliger Präsident der Dante-Gesellschaft (*), ergänzt:
"Dante hat trotz der Schwierigkeiten, die er gehabt hat, ja zeit seines Lebens an der Überzeugung festgehalten, dass ein universaler Frieden möglich ist, dass es eine Gesellschaft geben kann, die in Frieden lebt."
Als Dante 1321 im Alter von 56 Jahren starb, hatte er ein Drittel seines Lebens auf der Flucht und im Exil verbracht. Die „Göttliche Komödie“ ist also das Werk eines Emigranten, betont Rainer Stillers.
"Aber er hat seinen Glauben daran, dass es ein friedliches Zusammenleben unter den Menschen geben kann, nicht aufgegeben. Und sein politisches Engagement, das nicht mehr möglich war, hat er ins schriftstellerische Engagement verlagert."

Das Inferno als Racheakt

Und das wirkt bis heute. Ein Beispiel ist die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff. In ihrem 2016 erschienenen Roman „Das Pfingstwunder“ hat sie Dante ein Denkmal gesetzt.
"Der war natürlich hoch aggressiv gegenüber vielen Zeitgenossen. Der hatte eine schwere Bürde zu tragen und war auf die Gönnerschaft von Adeligen in der Umgebung angewiesen, die ihn beherbergt haben."
Sibylle Lewitscharoff über Dante - „Zum Niederknien gut“
Zum 700. Todestag von Dante hat die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff ein Buch über Italiens Nationaldichter geschrieben. Er habe erst das moderne Italienisch erschaffen und helfe in allen Lebenslagen, auch in allergrößter Not, sagt sie.
Die Münchener Romanistin Franziska Meier sagt dazu:
"Das Inferno ist sicher auch ein kleiner Racheakt gewesen, wo er sozusagen offene Rechnungen beglichen hat und entsprechend die Leute, vor allen Dingen diesen Papst Bonifaz, der für ihn sozusagen der Urheber seines eigenen politischen und existenziellen Unglücks war, in die Hölle verbannt hat. Also wobei ... die Jenseitsreise findet 1300 statt und der Bonifaz war noch nicht tot. Also, das wird angedeutet, dass der dort einmal hingerät."

Das Leben als Qual

In seiner Angst - immerhin hat er sich im Wald verirrt - will Dante Alighieri auf einen Hügel flüchten. Er wird aber nacheinander von einer Pantherin, einem Löwen und einer Wölfin bedroht – Symbole der Todsünden Hochmut, Wollust und Habsucht. Dante will umkehren.
Dantes Aufstieg wird von einem Löwen behindert - Illustration von Gustave Doré, ca. 1890
Dante ist vom rechten Weg abgekommen (imago/Leemage)
Doch plötzlich hört er eine Stimme. Es ist die des antiken römischen Dichters Vergil. Der fragt ihn:

Warum willst du zurück zu solcher Qual? Warum steigst du nicht den sanften Berg hinauf, der doch Anfang und Grund aller Freude ist?

„Zurück zu solcher Qual“ – damit ist das irdische Leben gemeint. Als Dante Vergil trifft, wird ihm schlagartig klar, wo er sich befindet: im Limbus, der Vorhölle. Nach mittelalterlicher Auffassung ist es der Ort, an dem die schuldlos unwissenden Heiden auf das Jüngste Gericht warten. Vergil, der zwar Hölle und Fegefeuer, nicht aber das Paradies betreten darf, ist der literarische Lehrmeister Dantes. Er bietet ihm eine Alternative. Sie besteht in nichts Geringerem als dem Weg der Erlösung von weltlichen Schmerzen und Leiden.

Ich werde dein Führer sein und werde dich von hier fortbringen, durch ewige Gefilde, wo du die verzweifelten Schreie hören, die endlos leidenden Geister sehen sollst, bejammert doch jeder den zweiten Tod, und du sollst die sehen, die zuversichtlich sind im Feuer, weil sie hoffen, irgendeinmal zu den glückseligen Menschen zu kommen. Wenn du selbst einst zu denen emporsteigen willst, so wird es dafür eine Seele geben, würdiger als ich: Ihr werde ich dich überlassen bei meinem Abschied.

Die Hölle muss erfahren werden

Damit ist der Fahrplan und auch die Struktur des Buches klar. Es ist in drei lange Kapitel unterteilt: zunächst die Hölle, dann das Purgatorium, was man mit „Läuterungsberg“ oder „Fegefeuer“ übersetzen kann, und schließlich das Paradies. Wie wahrscheinlich die meisten Menschen, so ist auch Dante zunächst wenig begeistert von dieser Reiseroute, vor allem von dem höllischen Umweg. Was es damit auf sich hat, beschreibt Rainer Stillers.
„Er muss durch die Hölle laufen und erst dann kann er zur Erkenntnis auch der lichteren Seiten kommen, die ja mit dem Läuterungsberg beginnen. Man kann das einfach nicht trennen. Die oberen Ringe des Läuterungsbergs und das Paradies, die setzen die Erfahrung der Hölle voraus.“
Um die Rettung einer Seele geht es also, um den Seelenfrieden eines Menschen, der jede Hoffnung auf Glück verloren hat. Und dessen Herz voller Hass und Feindseligkeit ist.

Geschichte einer Bekehrung

Die Besonderheit an Dante Alighieris Erzählung liegt darin, dass er in einer faszinierenden poetischen Sprache theologische und lebensphilosophische Fragen erörtert. Der Jesuit Ansgar Wucherpfennig, bis 2020 Rektor der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt, sagt:
„Ich finde es halt schon spannend, es zu lesen, Menschen wirklich noch mal mitten in ihrem Leben in eine Bekehrung hineinzuführen. Das würde ich schon so sehen. Dann gibt es dem auch eine existenzielle Note, auf die ich ungern verzichten würde. Und das ist halt die Stärke von Poesie, dass sie Theologie so formulieren kann, dass sie existenziell ansprechbar wird.“
Die Botschaft des Heiligen Geistes an Dante lautet: Du bist mehr als deine Verzagtheit, verschwende deine Gaben nicht. Doch wer steckt hinter diesem Plan? Wer ist so daran interessiert, dass Dante seinen Frieden mit sich und der Welt findet – und seine Lebensenergie auf Projekte richtet, die auch anderen Menschen zugute kommen?

"Liebe hat mich dazu bewogen"

Es ist eine Frau mit Namen Beatrice, die tote Geliebte Dantes. Sie hat ihren Platz im Paradies gefunden und beobachtet von dort aus voller Sorge das verzweifelte Leben ihres ebenso traurigen wie zornigen Gefährten. Von Mutter Maria erhält sie die Erlaubnis, sich um ihn zu kümmern. Beatrice geht in den Wartesaal der Hölle und bittet dort Vergil um seine Hilfe:

Mach du dich daher auf und hilf ihm mit deinem kunstvollen Wort und mit dem, was es zu seiner Rettung braucht, damit ich beruhigt sein kann. Liebe hat mich dazu bewogen und lässt mich sprechen.

Die Liebe – sie ist das zentrale Motiv, um das sich die gesamte „Göttliche Komödie“ dreht. Sowohl die Liebe zu sich selbst als auch die Mitmenschlichkeit, die „caritas“, die den Einzelnen aus dem Gefängnis seines Egoismus befreit. Warum jedoch eine Erzählung, die ausgerechnet in der Hölle beginnt, den Titel „Komödie“ trägt, erläutert Rainer Stillers.
„Dante selbst sagt, Komödie ist ein literarischer Text, der unglücklich beginnt, aber glücklich endet. Und das andere ist, dass die Komödie einen niedrigen Stil hat im Unterschied zur Tragödie, die immer einen hohen Stil hat. Man würde natürlich, sobald man in die ‚Göttliche Komödie’ hineingeschaut hat, sagen: Das ist doch kein niedriger Stil. Das ist kein einfacher Stil. Damit hat er gemeint, dass er in der Volkssprache schreibt."

Höllenfantasien

Dantes Werk ist geradezu mathematisch aufgebaut. Die drei Bücher – Symbol der Trinität – sind in 33 Abschnitte, sogenannte Gesänge unterteilt – ein Hinweis auf das Lebensalter Jesu Christi.
Die Hölle besteht aus neun Kreisen oder Bezirken und sieht aus wie ein Kegel, dessen Spitze nach unten zeigt. Als Dante nun voller Angst vom oberen Rand her in diesen Trichter steigt, begegnet er nach und nach den unterschiedlichsten Sündern, die für ihre Taten büßen. Jeder Delinquent bekommt eine Strafe, die direkt mit seinem Vergehen zu tun hat. Mörder schwimmen in kochendem Blut. Habgierige kleben an einem Felsbrocken, den sie ständig bewegen müssen.
Dante und Virgil blicken auf die Bestrafung der Simonisten, Illustration von Gustave Doré, ca. 1890
Die Strafen der Hölle sind drastisch (picture alliance / The Print Collector / Heritage Image)
In Sibylle Lewitscharoffs Roman „Das Pfingstwunder“ kommen in Rom 33 Dante-Forscher aus aller Welt zu einem mehrtägigen Kongress zusammen. Im Verlauf der Tagung, die kurz vor Pfingsten beginnt, werden die verkopften Wissenschaftler immer gelöster, geradezu albern. Hinzu kommt, dass sie sich auch rein sprachlich immer besser verstehen. Ihre Vorträge werden lockerer, es wird oft gelacht. Und die Gelehrten fragen sich, ob das Leben nur darin besteht, sich gegenseitig zu beweisen, wie klug man ist.
Einer der Tagungsteilnehmer in Sibylle Lewitscharoffs Roman gibt seiner Fantasie die Sporen und stellt sich vor, wie Verbrecher der Neuzeit in Dantes Hölle bestraft werden sollten:

Den fetten Göring seh ich in eine Wurstmaschine gestopft. Goebbels wird die nachwachsende Zunge immerfort herausgeschnitten, an Hitlers Kopf nagt unaufhörlich sein Lieblingsschäferhund. Himmler muss Leichenasche fressen. Die ganze Bande fährt vollgestopft mit ihren Speichelleckern unablässig im Viehwaggon rundum, am tiefsten Punkt der Hölle.

Und auch der Dichter der „Göttlichen Komödie“, der Exilant Dante, dessen Ruf und Vermögen durch eine Diktatur ruiniert wurde, tobt sich gründlich aus. Seine Kritik richtet sich auch gegen die sture Theologie seiner Zeit, die Dogmen aufstellt, die mit dem Leben reichlich wenig zu tun haben. Franziska Meier nennt ein Beispiel:
"Der hat irgendwie aufgrund der Beobachtung dessen, was in der Welt so passiert, gemerkt, dass man mit den Todsünden nicht mehr so richtig weiterkommt, dass das nicht mehr alles abdeckt. Und dann muss man immer präziser und differenzierter werden. Und das, was ihn am meisten beschäftigt hat, ist der Betrug.“

Der Weg der Läuterung

Während in der Hölle, dem Inferno, die Uneinsichtigen für ihre Sünden leiden müssen, geht es für die Insassen der zweiten Station von Dantes Jenseitsreise, dem „Purgatorio“, darum, sich die Eintrittskarte ins Paradies zu verdienen. Es ist der Läuterungsberg. Während in der Hölle jede Stufe nach unten und damit zu immer härteren Strafen führte, geht es hier nach oben. Und je weiter der Aufstieg voranschreitet, desto beschwingter und gelöster sind die Sünder.
Dante trinkt vom Wasser der Eunoe - Illustration von Gustave Doré, ca. 1890
Dante trinkt vom Wasser der Eunoe (imago/Leemage)
Das gilt auch für Dante selbst. Seine Verbitterung nimmt ab, der Ton der Komödie wird nach und nach heiterer. Schließlich wird er seiner Freundin und Fürsprecherin Beatrice übergeben. Sie lässt ihn in den Flüssen Lethe und Eunoë baden. Das erste Wasser löscht die Erinnerung an seine bösen Taten, das zweite erneuert die Erinnerung an seine guten. Am Ende des zweiten Buches heißt es deshalb:

Neugeboren kehrte ich von dem allerheiligsten Wasser zurück, wie junge Pflanzen sich mit jungem Laub verjüngen, rein und bereit emporsteigen zu den Sternen.

Eine Offenbarung der Liebe

Die tote Beatrice im Paradies wird zu Dantes spiritueller Lehrerin und Lebensführerin. Aus dem oftmals grantigen Vertriebenen wird ein zärtlicher und mitfühlender Mensch, so Sibylle Lewitscharoff:
„Das ist eigentlich eine menschliche Sensation, die wir in kleinen Dosen auch können. Wenn wir glücklich sind, zufrieden sind, auch mit uns selbst übrigens zufrieden sind, wenn wir befreit sind von dem Zeugs, was wir ständig auch Dummes anstellen und den Aggressionen, die wir ständig auch haben, in dem Moment fühlen wir uns ja in aller Regel auch körperlich sehr viel beschwingter.“
Auf dem Himmelsflug zum Bereich des Lichtes und zur Sphäre der Seligen, erläutert Beatrice ihrem Geliebten den göttlichen Bauplan des Universums. Immer wieder ist Dante völlig entrückt, hält den Anblick Beatrices nicht aus, denn in den Augen seiner Geliebten spiegelt sich die Schönheit der Schöpfung. Beatrice sagt:

Wenn ich dir mit der Wärme der Liebe so flammend hell erscheine, weit über das hinaus, was man auf Erden sieht, und dies die Kraft deiner Augen übersteigt, so wundere dich nicht, denn dies kommt her vom vollkommenen Schauen, das, je mehr es das Gute aufnimmt, desto mehr sich daran ergeht. Ich sehe wohl, wie in deinem Verstand schon das ewige Licht aufscheint, das, einmal erblickt, einzig und immer Liebe erweckt.

"Dante wird erzogen"

Bevor Dante – und das gilt für die literarische Figur wie auch für den realen Dante Alighieri – sich mit der Welt versöhnen und ihr wieder nützlich werden kann, muss er sich selber finden, so Rainer Stillers, ehemaliger Präsident der Dante-Gesellschaft.
„Was allerdings wichtig ist, ist, dass Dante damit ja auch die Verantwortung des Einzelnen für die Gesellschaft betont. Das ist immer wichtig. Der Einzelne hat bei ihm immer eine große Verantwortung fürs Ganze, für die Gesellschaft, fürs Staatswesen, überhaupt für jede Gemeinschaft. Das ist, denke ich, eine der wichtigsten Botschaften der Commedia, die man eben auch heute noch sich zu Gemüte führen kann.“
Im Kern ist das der sogenannte christliche Humanismus, den Dante Alighieri mitprägte. Die Basistexte des Christentums sollen einem breiteren Publikum zur Verfügung stehen, Bildung nicht mehr länger das Privileg der Reichen und Mächtigen sein. Der Glaube soll nicht verordnet werden, sondern sich entfalten.
Dante kritisiert darüber hinaus, dass das Christentum eine Religion für Richtigmacher ist, die sich permanent fragen, ob sie sich gottesfürchtig und nicht danebenbenehmen. Und sich gleichzeitig das Recht zusprechen, mit dem Finger auf andere Leute zu zeigen und gegen Andersdenkende Gewalt anzuwenden.
Für Sibylle Lewitscharoff liegt hier eine Verbindung zum Pfingstfest. Denn genauso wie die Apostel aus ihrer trauernden Lethargie gerissen werden mussten, lernt auch Dante: Das erste Projekt einer umfassenden Aufgabe ist die Arbeit an der eigenen Seele.
„Erlösung, aber auch hin zum Guten seiner selbst. Das heißt, es ist eine Erziehung. Dante wird erzogen, von seinen Rachegelüsten Abstand zu nehmen. Es geht darum, immer mehr in sich selbst hineinzuhorchen, das eigene Sündengepäck auch stärker zu beleuchten, aber es auch gleichzeitig loszuwerden. Und dadurch ist der Blick auf den anderen ja auch milder.“

"Wie einem, der träumend etwas sieht..."

Im 31. Gesang des Paradies-Buches der „Göttlichen Komödie“ beginnt der Abschied Dantes von Beatrice. Doch es ist keine schmerzhafte Trennung. Die Geliebte hat ihm die Augen geöffnet für die Harmonie des Universums. Sie hat ihn wieder befähigt zu tätiger Nächstenliebe und dazu, seine dunklen Seiten anzunehmen und sich dadurch von ihnen verabschieden zu können.
Dante und Beatrice im Paradies - Illustration von Gustave Doré, ca. 1890
Dante und Beatrice im Paradies (imago/Leemage)
Beatrice nimmt ihren Platz im Paradies wieder ein. Was nun folgt, ist eine der schönsten Passagen der „Commedia“. Denn dem Jenseitsreisenden wird erlaubt, die Herrlichkeit des dreieinigen Gottes zu sehen. Und in der Weitergabe dessen, was er dort sieht, besteht sein Auftrag – nämlich durch das Schreiben der „Göttlichen Komödie“. Dabei sind die Eindrücke so überwältigend, dass er sie nur schwer in Worte fassen kann:

Wie einem, der träumend etwas sieht, wovon ihm beim Erwachen nurmehr die Erregung bleibt, das übrige aber nicht mehr wiederkehrt, so geht es mir, denn meine Vision hat sich nahezu aufgelöst. O höchstes Licht, du erhöhst dich so weit über menschliches Begreifen.

Dante Alighieris „Göttliche Komödie“ zu lesen, ist auch heute noch ein großes Erlebnis. Der Mensch ist zur Liebe geboren – wenn auch dummerweise zum Hass befähigt.
(*) Funktion korrigiert