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Aus Tucholskys spitzer Feder

"Soldaten sind Mörder", schrieb Kurt Tucholsky in einer Glosse für die Zeitschrift "Weltbühne" vom 4. August 1931. Mehrfach wurde das Zitieren dieses Ausspruchs wegen Beleidigung der Bundeswehr bestraft. 1995 urteilte das Bundesverfassungsgericht: Der Satz stellt eine vom Grundgesetz geschützte Meinungsäußerung dar.

Von Claus Menzel |
    Auf der Anklagebank saß der Publizist Carl von Ossietzky, geklagt hatte der amtierende Reichswehrminister General Wilhelm Groener. Mit der Veröffentlichung einer Glosse unter der Überschrift "Der bewachte Kriegsschauplatz" in der von ihm verantwortlich redigierten Zeitschrift "Weltbühne" vom 4. August 1931 habe Ossietzky, so erst der Minister und dann so prompt wie ergeben die Staatsanwaltschaft, die Reichswehr verunglimpft und beleidigt:

    "Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich : Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder."

    Verfasser der Glosse war der Schriftsteller und Doktor der Jurisprudenz, Kurt Tucholsky. Zwar hatte er, einst Feldpolizeikommissar im Heer des deutschen Kaisers, Soldaten auch zuvor gelegentlich als Mörder bezeichnet, strafrechtliche Folgen aber waren ausgeblieben. Jetzt allerdings, in der Endzeit der ungeliebten Republik von Weimar, sah die Führung der Reichswehr offenbar eine Chance, sich an einem ihrer wort- und wirkungsmächtigsten Kritiker zu rächen. Sie irrte. Das zuständige Berliner Schöffengericht sprach Carl von Ossietzky frei, der Revisionsantrag der Staatsanwaltschaft wurde vom Kammergericht verworfen. Mit dem sehr allgemein gehaltenen Satz "Soldaten sind Mörder" seien, erklärten die Richter, bestimmte Personen nicht gemeint und folglich auch nicht beleidigt worden.

    Eine eindeutige, juristisch kaum anfechtbare Entscheidung. Als freilich Mitglieder der Friedensbewegung in der Mitte der 80er Jahre Tucholskys Satz auf T-Shirts druckten und in Leserbriefen oder öffentlichen Diskussionen zitierten, wurde abermals angeklagt und gestraft, ganz so, als habe es das Urteil im Berliner Ossietzky-Prozess nie gegeben. Und nachdem das Frankfurter Landgericht es im Oktober 1989 wagte, einen Arzt freizusprechen, der Soldaten potenzielle Mörder genannt hatte, kannte die offizielle Empörung keine Grenzen mehr. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl auf einer Veranstaltung des Bundeswehr-Verbands :

    "Es steht auch dem Regierungschef der Bundesrepublik Deutschland nicht an, im Normalfall Richterschelte zu üben. Aber als Bürger dieses Landes möchte ich deutlich sagen: Was in diesem Urteil zum Ausdruck gekommen ist, ist eine Gesinnung, die für mich völlig inakzeptabel ist."

    Und der damalige Chef der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Alfred Dregger:

    "Ich hoffe, dass gegen das schlimme Fehlurteil von Frankfurt Revision eingelegt wird und dass diese Revision Erfolg hat. Solche Fehlurteile erinnern mich an Urteile, die zum Untergang der Weimarer Republik beigetragen haben. Das darf sich nicht wiederholen, meine Damen und Herren."

    Gründlich gelesen hatten die Kritiker freilich weder das Urteil der Frankfurter Richter noch den Tucholsky-Text vom 4. August 1931. Wie ihre Berliner Kollegen im Ossietzky-Prozess waren nämlich auch die Frankfurter Juristen zu der Erkenntnis gekommen, dass es Kurt Tucholsky keineswegs um eine Kränkung der Soldaten ging, gewiss aber um eine von der Meinungsfreiheit gedeckte Ächtung des Kriegs. Und begriffen hatten den Original-Text aus der Weltbühne offenbar auch jene Richter nicht, die nun ganz im Sinne des amtierenden Kanzlers folgsam Strafurteile fällten, bis sie im Herbst 1995 vom Bundesverfassungsgericht zum Respekt vor der Meinungsfreiheit ermahnt wurden. Der Äußerung "Soldaten sind Mörder", so der Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm, sei gar nicht zu entnehmen, auf wen sie sich überhaupt bezieht.

    "Es ging um einen Aufkleber, auf dem steht generell 'Soldaten sind Mörder' und darunter faksimiliert die Unterschrift Kurt Tucholskys. Die Strafrichter hatten angenommen, es handele sich um eine Beleidigung der Bundeswehrsoldaten, weil ihnen vorgeworfen wird, sie begingen Mordtaten. Die Frage ist: Enthält dieser Aufkleber eigentlich diese Aussagen? Und das Bundesverfassungsgericht ist zu der Auffassung gekommen: Mit den Gründen, die die Strafgerichte angegeben haben, kann man das dem Täter nicht vorwerfen."

    Juristisch war der Streit damit beendet. Politisch und moralisch aber geht er weiter. Unmittelbar nachdem Carl von Ossietzky in Berlin freigesprochen worden war, hatte der Publizist Kurt Hiller in einem Offenen Brief an Kurt Tucholsky dessen Formulierung deutlich kritisiert:

    "Wem die Staatsgewalt bei Kerkerstrafe, ja bei Todesstrafe befiehlt, zu töten und sich töten zu lassen, den kann man nicht Mörder nennen, wenn er dem Drucke nachgibt."

    Und bei einer Berliner Diskussion stellte einer der Teilnehmer die Frage, ob Mörder denn auch jene Soldaten der Roten Armee gewesen seien, die im Januar 1945 das Vernichtungslager Auschwitz befreiten.