Autobahnausbau vs. Klimaschutz
Die Autoindustrie und ihre Macht

Die FDP möchte, dass der Ausbau von Autobahnen erhöhte Priorität erhält, die Grünen lehnen das ab. Welche Auswirkungen hätten neue Fernstraßen auf das Erreichen der Klimaziele und warum hat die Autoindustrie einen so großen Einfluss auf die Politik?

30.01.2023
    Eine Luftaufnahme von Bauarbeiten an der Autobahn A72 zwischen Chemnitz und Leipzig
    Erhöhter Autoverkehr, Flächenversiegelung, energieintensive Bauarbeiten – die Errichtung neuer Autobahnen hat diverse negative Folgen für das Klima. (dpa / picture alliance / Jan Woitas)
    Der Streit unter den Regierungsparteien um einen schnelleren Ausbau von Fernstraßen geht weiter. Ein Treffen der Koalitionsspitzen am 26. Januar brachte keine Einigung in der Frage, ob und wie beschleunigte Planungsverfahren im Verkehrssektor mit den dortigen Klimazielen zu vereinbaren sind.

    Was sind die Positionen im Verkehrs-Streit der Ampelkoalition?

    Hier prallen Grundüberzeugungen von zwei der drei Ampel-Koalitionspartner aufeinander: FDP und Grüne. Bundesverkehrsminister Volker Wissing und seine Partei, die FDP, halten den Ausbau von Autobahnen für dringend notwendig, um Deutschland als Wirtschaftsstandort attraktiv zu halten. Auch mit Blick auf den Gütertransport spielen Autobahnen laut Wissing eine größere Rolle als der Schienenverkehr. Ein ausbleibender Ausbau könne Wirtschaft und Arbeitsplätze gefährden.
    Der FDP-Politiker möchte, dass – wie bei erneuerbaren Energien – auch der Ausbau von Autobahnen künftig als von „überragendem öffentlichen Interesse“ eingestuft und behandelt wird. Dadurch könnten Planungsvorhaben stark beschleunigt und vereinfacht werden. Die Grünen lehnen das ab. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) betrachtet einen schnellen Ausbau deutscher Autobahnen als hinderlich, um die Klimaziele zu erreichen. Verschiedene Umweltverbände argumentieren ähnlich.
    Das Kriterium „Von überragendem öffentlichen Interesse“:

    Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zu Sofortmaßnahmen für einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien („Osterpaket“ von 2022) klassifiziert die Errichtung und den Betrieb von Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energiequellen als „im überragenden öffentlichen Interesse“ liegend. „Bis die Stromerzeugung im Bundesgebiet nahezu treibhausgasneutral ist, sollen die erneuerbaren Energien als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführenden Schutzgüterabwägungen eingebracht werden“, heißt es in Artikel 1.
    Stattdessen möchten die Grünen, dass der Ausbau jener Infrastruktur priorisiert wird, die deutlich mehr zum Klimaschutz beiträgt – zum Beispiel das Schienennetz. Mit Blick auf Autobahnen plädiert die Partei für die Sanierung bereits bestehender Abschnitte, inklusive Brücken. Lemkes Sorge: Bei einem schnellen Bau neuer, zusätzlicher Autobahnen könnte eine Prüfung von Auswirkungen auf Klima und Umwelt zu kurz kommen.

    Wie steht es um die Klimaziele im Verkehrssektor?

    Im Verkehrssektor ist die Lücke zu den Klimaschutzzielen der Bundesregierung besonders groß. Zwar hat Deutschland seine Treibhausgasemissionen in den Jahren 2000 bis 2021 um 27 Prozent reduziert – dem Verkehrsbereich gelang jedoch nur eine Minderung um 18 Prozent, wie ein Bericht des Expertenrats für Klimafragen zeigt.
    Das Bundesklimaschutzgesetz (Seite 10) gibt vor, dass der Ausstoß an Treibhausgasen im Verkehrsbereich bis zum Jahr 2030 auf 85 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente fallen soll. Zum Vergleich: Im Jahr 2021 hat der Verkehrssektor rund 148 Millionen Tonnen CO2 emittiert. Tatsächlich müssten in dem Bereich die Emissionen 14-mal schneller sinken als bisher, damit die Klimaschutzziele für das Jahr 2030 erreicht werden können.  
    Laut Analyse des Expertenrates für Klimafragen ist der Straßenverkehr für 97 Prozent der Gesamtemissionen des Verkehrssektors verantwortlich. Zu bedenken ist dabei, dass nur der nationale Luftverkehr in die Bilanz eingeht. Fernreisen per Flugzeug sind nicht berücksichtigt. 

    Welche Auswirkungen haben neue Autobahnen auf das Klima?

    Einfach gesagt: Je stärker das Autobahnnetz ausgebaut ist, umso mehr steigt der Komfort, um mit dem Auto bestimmte Orte ohne größer Umwege erreichen zu können. Die Folge: Tendenziell mehr Menschen wählen das Auto zur Fortbewegung, das - zumindest bei Verbrennermotoren - eine deutlich schlechtere Pro-Kopf-Klimabilanz aufweist als beispielsweise der Zugverkehr.  
    Die Grafik zeigt Treibhausgasemissionen unterteilt nach Verkehrsmitteln
    Die Grafik zeigt Treibhausgasemissionen in Gramm pro Personenkilometer für unterschiedliche Verkehrsmittel (Umweltbundesamt/Statista (Matthias Janson))
    Die Verkehrswissenschaft bezeichnet diesen Zusammenhang als induzierten Verkehr – also das Phänomen, dass durch ein verbessertes Straßenangebot mehr Menschen das Auto nutzen. Auch die Grünen verweisen auf diese Korrelation. Bundesverkehrsminister Wissing (FDP) sieht das anders: Verkehr werde nicht etwa durch Straßen angereizt, sondern durch Bedarfe der Gesellschaft. Menschen führen nicht mit dem Auto, weil es Straßen gibt, sondern weil sie mobil sein wollten.
    Nicht nur die zunehmende Pkw-Nutzung aufgrund von mehr existierenden Autobahnkilometern dürfte sich jedoch negativ auf die CO2-Emission auswirken – auch der Bau selbst hinterlässt seine Spuren: So enthält etwa Asphalt das Bindemittel Bitumen, das ein Nebenprodukt aus der klimaintensiven Erdölverarbeitung ist. Auch die Herstellung und der Transport von Kiessanden, die für das Fundament von Autobahnen benötigt werden, schlagen in der Klimabilanz zu Buche. Zudem wird die Gesteinskörnung vor Ort erhitzt - auch das verbraucht Energie und setzt CO2 frei.
    Darüber hinaus tragen Autobahnen, wie alle Asphaltflächen, zur Bodenversiegelung bei. Die Folgen sind vielfältig: Regenwasser kann schlecht abfließen und gelangt in die Flüsse statt in den Boden. Wie auch das Umweltbundesamt betont, können versiegelte Böden kein Wasser verdunsten und deshalb im Sommer nicht zur Luftkühlung beitragen. Über kurz oder lang wird der Boden unfruchtbar. Pflanzen, die als Schattenspender und Wasserverdunster dienen könnten, wachsen dort nicht mehr. Zusätzlich steigt die Gefahr von Überschwemmungen und der Grundwasserpegel sinkt.
    Führt eine Autobahn gar durch Moorgebiete, würde der negative Aspekt potenziert. Denn die Fähigkeit von Mooren, große Mengen klimaschädlicher Gase zu binden, würde zumindest an diesen Stellen wegfallen.

    Welchen Einfluss hat die Automobilindustrie auf die Politik?

    Vorweg: einen großen. Seit ihren Anfängen am Ende des 19. Jahrhunderts hat sich die Automobilindustrie zu einem der wichtigsten Industriezweige der Weltwirtschaft entwickelt, auch - oder vor allem - in Deutschland.
    Wie eine Studie des Verkehrsforschers Guilio Mattioli erläutert, hat die Automobilherstellung historisch gesehen eine wichtige Rolle in der wirtschaftlichen Entwicklung der frühen Industrieländer gespielt: Indem sie produktivitätssteigernde Innnovationen in Technologie und Arbeitsorganisation einführte, konnte sie ihren Einfluss auch auf andere Sektoren ausdehnen.
    Auch heute noch hat die Autoindustrie starke Verflechtungen mit anderen Wirtschaftszweigen - zu den zahlreichen Zulieferern zählen u.a. Sparten wie die Stahl-, Glas- oder Gummi-Industrie. Zudem profitiert die Versichungsbranche von Autoproduktion und - verkehr. Der Staat wiederum profitiert auf nationaler wie auf lokaler Ebene von der Autoindustrie und ihren Zulieferern, z.B. durch Unternehmenssteuern.

    Warum produziert die Industrie zu viele Autos?

    Das etablierte System der industriellen Autoherstellung ermöglicht die Produktion hoher Stückzahlen in schneller Zeit. Damit die heutzutage stark automatisierte Fertigungsstraße aber rentabel bleibt, sind Hersteller gezwungen, so viele Fahrzeuge wie möglich zu produzieren – fast unabhängig von der Nachfrage, so die Erkenntnisse des Verkehrsforschers Guilio Mattioli. Die Folge der Überproduktion sei ein Rentabilitätsproblem der Branche sowie eine „fire and forget“-Haltung gegenüber dem Autoverkauf, schreibt der Wissenschaftler. Die Branche habe es versäumt, auf ein nachhaltigeres und rentableres Geschäftsmodell zu setzen.
    Quellen: Bundesverkehrswegeplan 2030 (Bundesverkehrsministerium), Umweltbundesamt, Umtec (Institut für Umwelt- und Verfahrenstechnik, Studie „The political economy of car dependence: A systems of provision approach“ (Guilio Mattioli et al.), Dlf-Hintergrund vom 11.11.2022, Tagesspiegel, Dlf-Kollegengespräch mit Ann-Kathrin Büüsker vom 26.01.2023, pto, jma