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Ausbau statt Ausstieg

Die deutsche Entscheidung zum Atomausstieg hat in Tschechien Unmut ausgelöst. Tschechien ist traditionell auf Stromimporte angewiesen. Die Angst vor höheren Strompreisen dient als Argument, den Ausbau der eigenen Kernkraftwerke voranzutreiben.

Von Kilian Kirchgeßner |
    Am deutlichsten hat sich Staatspräsident Vaclav Klaus zu den deutschen Plänen geäußert:

    "Ich halte das für einen wirklich unvernünftigen, populistischen Schritt auf der deutschen Seite; das ist eine gewisse politische Ratlosigkeit. Mich ärgert das fürchterlich."

    Der deutsche Atomausstieg lässt die Tschechen nicht kalt. Politiker und Zeitungskommentatoren äußern sich verwundert, Verständnis hat so gut wie niemand. Dahinter stehen nicht nur andere politische Ansichten, sondern vor allem wirtschaftliche Bedenken. In Tschechen fürchtet man eine Verknappung des Stromangebots - mit allen Konsequenzen für die Verbraucher. Der Prager Premierminister Petr Necas hat unlängst das Extremszenario für die Zeit nach dem deutschen Atomausstieg gezeichnet:

    "Das führt in Tschechien zu einem Anstieg der Energiepreise um 30 Prozent."

    Petr Necas räumte zwar ein, dass es sich nur um vorläufige Berechnungen handele, aber die Tendenz sei eindeutig. So ähnlich hat sich der tschechische Regierungschef schon einmal geäußert - kurz nach der Katastrophe von Fukushima war das, als er nach möglichen tschechischen Lehren gefragt wurde.

    "Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir die Kernkraftwerke abschalten. Das würde bei uns zu wirtschaftlichen Problemen an der Grenze zu einer ökonomischen Katastrophe führen."

    In Tschechien gibt es kaum Stimmen, die einen Atomausstieg fordern. Alle im Parlament vertretenen Parteien befürworten den genau entgegengesetzten Weg: Sie wollen die Kernkraftwerke im Land weiter ausbauen. Zwei Reaktoren gibt es derzeit; einen in Dukovany und einen im südböhmischen Temelin, nur 60 Kilometer von der bayerischen Grenze entfernt. Temelin soll um einen oder gar zwei Blöcke erweitert werden - ein Plan, der lange vor Fukushima beschlossen war. Die befürchtete Energieknappheit nach dem deutschen Atomausstieg wird in Prag als weiteres Argument für einen raschen Ausbau gesehen. Betreiber der Kraftwerke ist der halbstaatliche Energiekonzern CEZ. Vorstandschef Martin Roman sagte in einer Fernseh-Diskussion nach dem Unglück von Fukushima:

    "Wir rechnen damit, dass die Temelin-Erweiterung irgendwann zwischen 2020 und 2025 ans Netz gehen kann. Das hängt von den Anbietern an, die sich um den Ausbau bewerben - welchen Zeitrahmen sie schaffen, können wir jetzt noch nicht sagen."

    Fest steht: Mit der Entscheidung für einen Ausbau würde sich Tschechien für lange Zeit binden. Auch in dieser Hinsicht setzt man in Prag auf wirtschaftliche Argumente, denn der Energiekonzern überweist Jahr für Jahr eine Milliardensumme als Dividende ans Finanzministerium. CEZ-Chef Martin Roman spielt diesen Trumpf offen aus:

    "Wenn das Kraftwerk ausgebaut wird, geht es um eine Laufzeit von 60 Jahren. Es wird eine der wichtigsten Säulen der Beiträge in die staatliche Rentenkasse. Temelin trägt zur Rente von mehreren Generationen bei - deshalb ist es wichtig, dass es ausgebaut wird."

    Tatsächlich könnte der Konzern CEZ - und damit letztlich der tschechische Staat als Mehrheitseigner - zu den großen Profiteuren eines höheren Strompreises gehören. Der Energieversorger exportiert schon heute einen beachtlichen Teil seiner Kapazität ins Ausland, vor allem nach Deutschland. Den Atomausstieg sieht Konzernchef Martin Roman deshalb mit gemischten Gefühlen:

    "Vor allem wird es keine gute Nachricht für die deutschen Verbraucher und Unternehmen. Kernenergie ist nicht nur am ökologischsten mit Blick auf den CO2-Ausstoß, sondern auch ökonomischsten. Wenn Sie die billigste Energiequelle aus dem System entfernen, steigen logischerweise die Preise."

    Die 30 Prozent, die Regierungschef Petr Necas ins Spiel gebracht hat, hat der Energiekonzern CEZ allerdings noch nicht kommentiert.