Lena Sterz: Von der Uni wechseln wir jetzt an die Grundschule: Hier soll es spätestens in sechs Jahren für alle Kinder die Möglichkeit geben, den ganzen Tag in der Schule zu bleiben und nicht nur bis mittags. Das wird eine Menge Geld kosten, so viel ist sicher, nur wie viel, das kann man aktuell nur schätzen. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung probiert das jetzt, und darüber habe ich mit Dirk Zorn von der Bertelsmann-Stiftung gesprochen. Herr Zorn, wie viel wird der Ausbau der Ganztagsschulen kosten?
Dirk Zorn: Nach unseren Berechnungen kommen auf Bund, Länder und Gemeinden hier Kosten für das Personal von 5,3 Milliarden Euro pro Jahr zu ab dem Jahr 2025, wenn der Rechtsanspruch dann greifen soll.
"Es geht um weit mehr als Betreuung"
Sterz: Sie haben ja in der Studie vor allem berechnet, wie viel es kosten wird, dass Kinder an fünf Tagen die Woche acht Stunden lang betreut sind, aber an vielen Schulen gleicht die Betreuung und auch die räumliche Ausstattung, die es dort gibt, immer noch eher einer Aufbewahrung als einem Bildungsangebot. Meinen Sie, dass es erst mal wünschenswert ist, dass Grundschulkinder nachmittags überhaupt betreut werden?
Zorn: Es geht tatsächlich um weit mehr als Betreuung, es geht vor allem um die Sicherung der künftigen Teilhabechancen für Kinder und Jugendliche. Wir alle stehen ja noch unter dem Eindruck der PISA-Ergebnisse, die letzte Woche veröffentlicht wurden, die einmal mehr gezeigt haben, dass wir drohen, ein gutes Fünftel aller Kinder dauerhaft zu verlieren, wenn es uns nicht gelingt, schon ganz früh – und das heißt insbesondere auch in der Grundschulzeit – hier wesentliche Grundlagen zu legen, etwa im Bereich der Lesekompetenz. Genau darauf kommt es an jetzt beim Ausbau guter ganztägiger Angebote in der Grundschule, dass hier auch Chancen genutzt werden für die individuelle Förderung von Kindern, für Maßnahmen zur systematischen Leseförderung etwa.
"Wir brauchen qualifizierte Pädagoginnen und Pädagogen"
Sterz: Ja, und meinen Sie, da reicht es, wenn man die Öffnungszeiten sozusagen möglichst an fünf Tagen die Woche acht Stunden hat und dann jemand dort ist?
Zorn: Nein, es geht natürlich um das pädagogische Konzept, mit dem das verbunden ist. Auch Ergebnisse aus der Begleitforschung zum Ausbau der Ganztagsschulen haben ja gerade noch mal gezeigt vor einigen Wochen, dass es durchaus wirksame Maßnahmen geben kann, die die Lernleistung von Schülerinnen und Schüler steigern. Es kommt darauf an, dass diese Angebote fachlich fundiert sind und von hoher Qualität. Das hängt vor allem daran, dass gutes Personal den ganzen Tag über eingesetzt ist. Wir brauchen hier qualifizierte Pädagoginnen und Pädagogen. Das sind natürlich neben Sozialpädagogen, Erzieherinnen vor allem auch Lehrkräfte, die sich über den Einsatz im Unterricht auch den ganzen Tag über engagieren müssen und auch über den eigentlichen Unterricht hinaus solche Lernangebote unterbreiten müssen.
"KMK geht von einem Überangebot an Grundschullehrkräften aus"
Sterz: Das heißt, Sie gehen davon aus, dass zusätzlich zu den aktuellen Berechnungen, wie viele Grundschullehrer fehlen werden, da eher noch potenziell welche dazukommen könnten und der Lehrermangel sich noch verschärfen könnte?
Zorn: Die KMK hat in der Tat letzte Woche ja eine aktualisierte Lehrerbedarfsprognose vorgelegt. Aus den dort vorgelegten Angaben kann man leider nicht entnehmen, inwieweit da schon Annahmen eingeflossen sind zum Ausbau ganztägiger Angebote in der Grundschule. Meine erste Einschätzung ist, dass da nicht sehr viel Ganztag drinstecken kann in diesen Zahlen. Die Zahlen der KMK gehen von einem Überangebot an Grundschullehrkräften von etwa 18.000 für die Jahre 2025 bis 2030 aus. Für einen qualitätsvollen Ausbau von Ganztagsangeboten in der zweiten Hälfte des nächsten Jahrzehnts ist das eine gute Nachricht, weil das bedeutet, dass hier tatsächlich Grundschullehrkräfte verfügbar wären, die man auch für Aktivitäten und Lernangebote außerhalb des eigentlichen Kernunterrichts einsetzen könnte.
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