Archiv

Ausbildung in der Pandemie
"Die Coronakrise hat den Ausbildungsmarkt voll erwischt"

Der Einbruch des Ausbildungsmarkts in der Corona-Pandemie sei fatal, weil dadurch bald mehr Fachkräfte fehlen könnten, warnte der DGB-Bildungsexperte Matthias Anbuhl im Dlf. Das Förderprogramm der Bundesregierung setze zwar an der richtigen Stelle an, sei aber viel zu bürokratisch.

Matthias Anbuhl im Gespräch mit Stephanie Gebert |
Eine Auszubildende zur Frisörin mit Nase-Mund-Schutz übt das Haareschneiden an einem Übungskopf mit Perücke
Ausbildung in der Corona-Pandemie - Bildungsexperte Matthias Anbuhl befürchtet auch Probleme bei den Abschlussprüfungen (imago/Sven Simon)
Geschlossene Betriebe, Homeoffice, Kurzarbeit - die Corona-Pandemie hat auch die Auszubildenden hart getroffen. Ihre Lehrzeit verläuft ganz anders als eigentlich geplant – wie so vieles in diesen Monaten. Verbände und Gewerkschaften machen sich große Sorgen um die Azubis, aber auch um die Betriebe. Um denen zu helfen, die wirtschaftliche Probleme haben, und um Anreize zu schaffen, trotzdem in Ausbildung zu investieren, hatte die Bundesregierung die Ausbildungsprämie ausgelobt. Die will Arbeitsminister Hubertus Heil nun von 2.000 auf 4.000 Euro verdoppeln.
Matthias Anbuhl, Bildungsexperte beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), begrüßte im Gespräch mit dem Deutschlandfunk, dass die Bundesregierung Ausbildungsbetriebe fördere, wenn sie Ausbildungsplätze in der Coronakrise erhalte. Bislang seien die Hilfen allerdings zu bürokratisch. Zudem seien weitere Förderungen notwendig – für diejenigen, die mitten in der Pandemie einen Ausbildungsplatz suchten und für diejenigen, die einen Großteil ihrer Ausbildung im aktuellen Ausnahmezustand absolvieren müssten.

2021 droht ein weiterer Einbruch

Stephanie Gebert: Minister Heil wird mit den Worten zitiert, "wir müssten eine Azubikrise verhindern". Müssen wir wirklich den Krisenmodus bemühen, wenn wir die Lage beschreiben?
Matthias Anbuhl: Ich glaube, der Minister hat in diesem Punkt recht, denn die Corona-Krise hat wirklich den Ausbildungsmarkt voll erwischt. Im ersten Corona-Jahr 2020 haben wir im Vergleich zum Vorjahr ungefähr 60.000 Ausbildungsverträge, Neuverträge, verloren. Die Zahl der neuen Azubis ist mit 467.000 erstmals seit der deutschen Einheit deutlich unter die 500.000er-Marke gerutscht.
Hendrik Dünnebacke (l) und Finn Jäckel, Auszubildende im Orgelbau, setzen einzelne Flöten nach der Reinigung in die Orgel in der Elbphilharmonie. Die Hamburger Elbphilharmonie nutzt den coronabedingten Lockdown für eine Generalreinigung ihrer imposanten Orgel
Arbeitsmarktexperte: Wer einen Ausbildungsplatz sucht, sollte nicht abwartenDie Corona-Pandemie habe auch negative Auswirkungen auf das Angebot an Ausbildungsplätzen, sagte Bernd Fitzenberger vom Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung im Dlf. Jugendliche sollten aber nicht abwarten, denn nach der Pandemie werde sich die Situation eher nicht verbessern.
Insofern müssen wir von einem Krisenmodus ausgehen, zumal – und das ist die schlechte Nachricht – alle Prognosen sagen, dass im kommenden Jahr, also jetzt 2021, ein weiterer Einbruch droht. Die Prognosen der Bundesagentur für Arbeit, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gehen von einem erneuten Minus von 10 Prozent aus, und das ist fatal, weil die Jugendlichen, die wir jetzt nicht ausbilden, fehlen in drei Jahren als Fachkräfte.

Bundesprogramm hat Einbruch gedämpft

Gebert: Wir hatten im Juni vergangenen Jahres hier im Deutschlandfunk diese erste Ausbildungsprämie, die ja dagegen arbeiten wollte, als einen starken Impuls für Betriebe gewertet. War denn die bisherige Zahlung von 2.000 Euro nicht ausreichend, oder warum braucht es jetzt offensichtlich diese Verdoppelung auf 4.000?
Anbuhl: Ich denke, dass das Bundesprogramm "Ausbildungsplätze sichern" – dahinter verbirgt sich ja die Ausbildungsprämie –, den Absprung auf dem Ausbildungsmarkt vielleicht gedämpft hat. Denn wir hatten im Sommer auch ein Minus von 18 Prozent teilweise verzeichnet bei den Kammern. Aber es hat letzten Endes den Absprung nicht stoppen können. Ich denke, in der Zusammenfassung oder im Rückblick muss man sagen, das Programm setzt eigentlich an den richtigen Stellen an, ist aber viel zu bürokratisch gestrickt. Da sind natürlich die Ausbildungsprämien ein Punkt dieses Programms, und ich finde, es ist auch richtig, Ausbildungsbetriebe zu fördern, wenn sie Ausbildungsplätze erhalten in der Krise.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Das ist aber bisher auf Unternehmen bis zu 249 Beschäftigte begrenzt gewesen. Das Virus fragt aber nicht nach Betriebsgrößenklassen und die Corona-Krise und die Wirtschaftskrise auch nicht – insofern ist es richtig, wenn man jetzt sagt: Wir öffnen auch diesen Deckel, auch größere Betriebe können die Ausbildungsprämie bekommen. Das ist wohl auch einer der Pläne von Hubertus Heil, und das ist aus meiner Sicht erst mal auch in Ordnung, wenn man sagt, wir heben auch die Prämie an.

Kurzarbeit - kein gutes Instrument für Azubis

Gebert: Ist das denn nicht aber der viel zitierte Gießkanneneffekt, das heißt, wir verteilen überall so ein bisschen, aber so richtig was davon haben, tun wenige.
Anbuhl: Ich glaube nicht, dass es eine Förderung mit der Gießkanne ist, weil in den Förderkonditionen schon darauf geachtet wird, dass es Ausbildungsbetriebe sind, die Ausbildungsplatzzahlen erhalten oder ausbauen, das heißt, nicht jeder Betrieb bekommt eine Förderung. Diese Betriebe müssen schon nachweisen, dass sie Corona-bedingt Umsatzeinbrüche hatten, und sie müssen auch schon nachweisen, dass sie Kurzarbeit hatten - das ist ein anderes Förderkriterium in dem Corona-Jahr.
Insofern glaube ich nicht, dass man es ganz mit der Gießkanne macht, am Ende ist es immer ein Balanceakt. Man muss aufpassen, dass man zielgenau fördert, man darf die Förderkonditionen aber nicht zu restriktiv haben, weil sonst kommt das bei den Betrieben und bei den Jugendlichen nicht an. Diesen Balanceakt versucht gerade die Bundesregierung neu auszujustieren.
Gebert: Ist denn Förderung an dieser Stelle das richtige Wort, weil es kann ja mit 2.000 oder 4.000 Euro nur ein Anreiz sein, Betriebe tatsächlich dazu zu bewegen, in Lehrstellen zu investieren.
Anbuhl: Ich glaube, es ist in der Tat ein Anreiz, aber auch eine finanzielle Unterstützung, aber es sind ja noch weitere Punkte in dem Programm eigentlich vorgesehen. Zum Beispiel sollen Betriebe, die stark von Kurzarbeit betroffen sind, gefördert werden, wenn sie die Auszubildenden, aber auch das Ausbildungspersonal im Betrieb halten und nicht in Kurzarbeit schicken. Da gibt es bis zu 75 Prozent der Ausbildungsvergütung als Zuschuss. Das ist schon ein starker Impuls, zu sagen, Kurzarbeit ist vielleicht ein Instrument für Beschäftigte, damit sie nicht arbeitslos werden, aber es ist kein gutes Instrument für Azubis, denn die müssen im Betrieb sein und lernen, damit sie gut durch die Prüfung kommen.

"Wir brauchen dringend eine Förderung für Azubis"

Gebert: Jetzt sehen wir die ganze Zeit oder reden auch die ganze Zeit von der Förderung für die Betriebe, wir sehen aber auch einen deutlichen Rückgang, was das Interesse der Jugendlichen oder der Schulabgänger auf der anderen Seite angeht. Die Nachfrage ist laut Bundesinstitut für Berufsbildung um zehn Prozent zurückgegangen. Müsste es nicht also auch verstärkt Bemühungen geben in Richtung zukünftiger Azubis, also die Jugendlichen irgendwo abzuholen?
Anbuhl: Ja, wir brauchen dringend eine Förderung für Azubis. Das Problem ist, dass wir jetzt in einem Lockdown sind, in einer Phase, wo eigentlich Berufsorientierung stattfindet, wo Ausbildungsmessen stattfinden, wo Betriebspraktika stattfinden und Jugendliche und Ausbildungsbetriebe zusammenkommen sollten. Und dass die eben wegen des Lockdowns, wegen der Infektionsschutzmaßnahmen vielfach nicht in Präsenz erfolgen. Deswegen ist man jetzt dabei zu sagen, wir brauchen mehr digitale Formate, digitale Ausbildungsmessen, um Jugendliche und Ausbildungsbetriebe besser zusammenzubringen.
Und ich glaube, was man auch braucht, ist eine Förderung von Jugendlichen, die bereits in Ausbildung sind und die auch in Richtung Prüfung gehen. Eine gute Ausbildung dauert in der Regel drei Jahre, die Corona-Krise geht jetzt ins zweite Jahr. Das heißt, wir haben viele Jugendliche, die gut die Hälfte ihrer Ausbildung im Ausnahmezustand gelernt haben und jetzt im Sommer oder im Herbst in die Prüfung gehen. Da müssen wir auch aufpassen, dass es nicht zu einer Erhöhung der Misserfolgsquote bei den Prüfungen kommt, dass nicht mehr Jugendliche durchfallen oder auch die Noten schlechter werden, sondern dass sie eine gute Unterstützung bekommen. Deswegen schlagen die Gewerkschaften auch vor, dass es hier eine kostenlose Prüfungsvorbereitung für diese Jugendlichen geben soll.
Gebert: Das heißt, wieder die Politik ist dran und muss reinbuttern.
Anbuhl: In dem Fall ja.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.