"Wir haben uns ja ne Weile nicht gesehen, was ist passiert in der Schule/ ja nicht so viel, eigentlich wie immer. Gabs was, worüber du dich gefreut hast? Ja, im Englischunterricht bin ich letztens zur Lehrerin gegangen und hab mich gefreut, das ist so Einser- Zweierbereich."
Seit Anfang des Jahres lässt sich Nadine regelmäßig im Zentrum für Hochbegabung beraten. Die 15Jährige hat einen IQ von 130. Das hat ihr in den vergangenen Jahren schulisch ziemlich viele Probleme gebracht. Zunächst war sie auf einer Gesamtschule, eckte überall an, galt als Streberin und wurde gemobbt. Aber auch im jetzigen Gymnasium läufts alles andere als rund.
"Was mir auffällt, ist, dass ich schneller gelangweilt bin als andere, dass ich mich schnell mit anderen Dingen ablenke und beschäftige und dadurch, dass es mich erst nicht interessiert hat und mich abgelenkt habe, später Probleme habe mitzukommen im Unterricht."
Das hatte spürbare Folgen: Vor Ostern trudelten in drei Hauptfächern blaue Briefe ins Haus. Ihre Versetzung in die Klasse 10 war gefährdet. Paradox eigentlich, aber kein Einzelfall, weiß Beraterin Anne Vohrmann. Sie kennt viele Hochbegabte, die schulisch absacken, eben, weil sie anders denken.
"Wenn jetzt zum Beispiel ein Schüler sagt, ich langweile mich in Physik, gebt mir mehr Aufgaben, dann ist das anstrengend für die Schule und den Lehrer und das ist etwas, was vielleicht aneckt an vielen Stellen, wo man die Begabung rauskitzeln kann."
Nur wer angepasst ist, kann erfolgreich sein
Nur, wer angepasst ist, so meint Vohrmann, kann in dem Schulsystem eigentlich erfolgreich sein, denn Hochbegabung sorgt für zusätzliche Arbeit. Hinzu kommt: Viele Lehrer wissen gar nicht, was sie mit diesen Schülern anfangen sollen. Im pädagogischen Ausbildungsplan an Universitäten werden Kurse zum Thema Hochbegabung zwar angeboten, sind aber keine Pflicht. So schleichen sich Schulen gern mal aus der Verantwortung. Bei Nadine war das nicht anders. Ihre Hochbegabung war bekannt, besonders Förderung? Fehlanzeige. Stattdessen hagelte es schlechte Noten.
"Das ist ein unangenehmes Gefühl. Man hat die ganze Zeit im Hinterkopf, wenn man im Unterricht aufpasst, dann ist es auch kein Problem mitzukommen und auch nicht besonders schwierig und es ist vielleicht noch ein Stück demotivierender."
Anne Vohrmann hat die Lehrer, Nadine und ihre Familie zu einem Gespräch eingeladen, um gemeinsam Strategien zu entwickeln, mit denen auch Nadine besser zurechtkommt. Eigentlich eine gute Idee. Leider war das Ergebnis mehr als ernüchternd.
"Das war leider ein sehr unerfreuliches Gespräch, weil das nicht stärkenorientiert war. Es wurde nicht geguckt, was kann die Schule tun, um Nadine zu unterstützen und ihre Stärken zu entfalten, sondern es wurde alles gedeckelt."
Schulen stoßen an ihre Grenzen
Das ist nicht immer so. Es hängt häufig von der Schulkultur ab, meint Vohrmann. Allerdings ist ein in Schulen verankertes Coaching von Hochbegabten zeit- und arbeitsintensiv. Da stoßen Schulen häufig an ihre Grenzen.
"Ich glaube nicht, dass Schulen das generell nicht wollen, aber die Ressourcen nicht haben 1,55 wenn ich 24 Stunden unterrichte in der Woche, dann schaffe ich nicht noch nebenher ne individuelle Lernberatung, wenn das System in diesem starren 45-Minutentakt bleibt."
Inklusion als Chance
Vor diesem Hintergrund hält Anne Vohrmann die Inklusion für eine echte Chance. Denn eigentlich ist das Ziel dabei, jeden Schüler individuell dort abzuholen, wo er steht. Das gilt für Schwache wie für besonders Starke gleichermaßen. Das funktioniert etwa durch individuelle Wochenpläne für jeden Schüler, durch zwei bis drei Pädagogen, die gleichzeitig die Klasse unterrichten. Doch das ist bislang noch eine große Ausnahme. Auch in Nadines Schule.
"Irgendwann haben wir uns gesagt, dann müssen wir es aus eigenem Antrieb schaffen und dann hat die echt reingehauen und jeden Tag die Hausaufgaben gemacht und Nachhilfe in Mathe bekommen, aber in den anderen Fächern war es nie einfachliches Problem, sondern wirklich das Üben und abliefern bei Klassenarbeiten 3,33."
Anne Vohrmann setzte dabei vor allem auf Motivation. Das hat funktioniert, denn mit den Noten ging es rapide bergauf. Zum Schuljahresende lag ihr Notendurchschnitt bei 2,9.