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Ausbildungsabrecher
"Wir brauchen mehr Berufsorientierung"

Der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks fordert angesichts hoher Abbrecherquoten bei Auszubildenden bessere Programme zur Berufsorientierung. Nicht jeder, der ein Studium beginne, sei auch dafür geeignet, sagte Hans-Peter Wollseifer im Dlf.

Hans-Peter Wollseifer im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Mehrere Kochlehrlinge mit hohen weißen Kochmützen stehen bei einem Wettbewerb in einer Großküche.
    Jugendliche könnten sich heute angesichts 15.000 offener Stellen aussuchen, für welchen Betrieb sie sich entschieden, sagte Hans-Peter Wollseifer im Dlf (Jens Büttner / dpa)
    Christiane Kaess: Die neue Regierung will Schwung in den Bereich Bildung bringen. Union und SPD hatten sich in den Koalitionsverhandlungen auf Milliardeninvestitionen geeinigt, und zwar in die gesamte Bildungskette, wie Manuela Schwesig von der SPD es formulierte – von den Kitas über Ganztagsschulen und berufliche Bildung bis zu den Hochschulen.
    Wie es um die Bildung in Deutschland aktuell steht, das wird der neue Berufsbildungsbericht deutlich machen, der soll aller Voraussicht nach nächste Woche im Kabinett beraten werden. Schon diese Woche kam heraus, dass die Zahl der Auszubildenden, die ihre Ausbildung abbrechen, hoch ist, manche sagen: alarmierend hoch.
    Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Hans-Peter Wollseifer, er ist Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks und jetzt am Telefon. Guten Morgen!
    Hans-Peter Wollseifer: Guten Morgen, Frau Kaess!
    Kaess: Herr Wollseifer, jeder vierte Auszubildende bricht seine berufliche Ausbildung ab. Wie bewerten Sie diese Zahl?
    Wollseifer: Ja, diese Zahl ist natürlich hoch, und wir möchten Jugendliche qualifizieren und auch an das Handwerk an die Betriebe binden, und da ist jeder, der abbricht, einer zu viel. Das ist ganz klar. Aber man muss auch wissen, dass die Einflüsse auf die jungen Leute durch soziale Medien und vieles mehr heute doch sehr stark zugenommen hat, und da kommt es halt dazu, dass man sich auch manchmal umorientiert, und im Handwerk ist es so, dass die jungen Leute nicht immer für das Handwerk dann verloren sind, sondern dass sie ganz einfach in andere Betriebe wechseln, die vielleicht günstiger zu erreichen sind oder in ein anderes Gewerk. Die Situation, der Ausbildungsmarkt hat sich für die Auszubildenden verbessert, und sie können das heute.
    Kaess: Was haben die sozialen Medien mit dem Abbruch einer Lehrstelle zu tun?
    Wollseifer: Ja, die sozialen Medien, die wirken natürlich auf die Jugendlichen ein. Die Jugendlichen haben viele Einflüsse, und vielleicht ist das auch so, dass also der Leistungs- und Erfolgsgedanke nicht mehr ganz so ausgeprägt ist in einer Zeit, in der wir heute leben, in der es uns heute gut geht, und diese Einflüsse - die jungen Leute, die müssen sich ordnen, die müssen sich orientieren, die brauchen eine Berufsorientierung oder Studienorientierung, die sollten sich einfach mal ausprobieren, ganz ohne Druck, und wir müssen die Talente fördern und sollten ihnen auch die Zeit dafür lassen.
    "Es liegt mit Sicherheit an mehreren Faktoren"
    Kaess: Das heißt, die Schuld, dass so viele abbrechen, liegt bei den Azubis selbst?
    Wollseifer: Ach nein. Die Schuld, die liegt mit Sicherheit an mehreren Faktoren. Mit Sicherheit gibt es auch Betriebe, die nicht so ausbilden, wie wir uns das vorstellen. Es gibt aber auch viele junge Leute, die den Anspruch der Ausbildung nicht gerecht werden, die einfach vom Bildungsstand her nicht das mitbringen, was heute eine Ausbildung erfordert. Es gibt viele Faktoren, genau wie beim Studienabbruch, die dazu führen, dass man überfordert ist oder dass man nicht mehr weitermachen möchte oder dass man einfach in ein anderes Gewerk wechseln möchte, zum Beispiel vom Tischler zum Maler, vom Elektriker zum Tischler oder was auch immer.
    "Wir haben mittlerweile schon einen Azubimarkt und nicht mehr einen Markt der anbietenden Betriebe"
    Kaess: Jetzt haben Sie selber schon gesagt, die Bewerber können sich wegen der guten Konjunktur und auch eines Bewerbermangels es leisten zu wechseln. Haben wir eine Luxussituation für Azubis?
    Wollseifer: Ich würde nicht sagen eine Luxussituation, aber wir haben also mittlerweile schon einen Azubimarkt und nicht mehr einen Markt der anbietenden Betriebe. Wir haben im letzten Jahr 15.000 Ausbildungsplätze nicht besetzen können, und davor in den Jahren war es noch mehr. Von daher kann man natürlich ermessen, dass die Jugendlichen gute Möglichkeiten haben, sich den Betrieb auszusuchen, in dem sie ihre Ausbildung machen wollen.
    Kaess: Und wie wird das dann weitergehen, wenn wir an den demografischen Wandel denken? Bleibt das in der Richtung der Trend?
    Wollseifer: Wir werben um Jugendliche, und wir sagen, wir brauchen mehr Berufsorientierung, weil 60 Prozent aller Jugendlichen gehen heute ins Studium, und da passt irgendetwas nicht mehr im Verhältnis. Die Bildungsstarken sollen natürlich ins Studium gehen, aber wir brauchen auch eine Studienberatung am Anfang des Studiums, und da muss man auch so ehrlich sein und den jungen Leuten sagen, also pass mal auf, dem einen oder anderen, das Studium, was du dir ausgesucht hast, ist vielleicht nichts für dich, und mach doch vielleicht einen Beruf, und da können wir vielleicht das eine oder andere anbieten, oder vielleicht ein Praxissemester am Anfang eines Studiums dient auch zur besseren Orientierung der Jugendlichen, und in der beruflichen Orientierung ist es das Praktikum, was Jugendliche wahrscheinlich dann dazu bringt, dass sie sich besser entscheiden können, ob sie den einen oder anderen Beruf wählen wollen.
    Kaess: Was können denn auf der anderen Seite die Betriebe machen, um attraktiver zu werden?
    Wollseifer: Die Betriebe, die sollten natürlich nach dem neusten Ausbildungsbild auch ausbilden. Das ist ganz klar.
    Kaess: Das heißt?
    Wollseifer: Das heißt, die aktuellen Anforderungen an die Ausbildung sollten erfüllt werden. Die Betriebe und das Handwerk verändern sich stetig durch digitalen Einfluss, durch Innovation. Das alles fließt in die Ausbildung ein, und da wird natürlich der Anspruch an den Betrieb durch die Einrichtung in den Betrieben, aber auch natürlich an den Auszubildenden immer höher.
    "Industrie- und Handelskammern bemühen sich sehr um die Jugendlichen"
    Kaess: Wenn es so viele unbesetzte Lehrstellen gibt, steigt auch nicht enorm der Druck auf die Betriebe, den Azubis immer mehr anzubieten?
    Wollseifer: Mit Sicherheit, ja. Man kümmert sich immer mehr um die Jugendlichen. Die Betreuung wird wieder intensiver, und auch die Handwerkskammern bei uns im Handwerk, aber natürlich auch die Industrie- und Handelskammern bemühen sich sehr um die Jugendlichen. Wir haben also in den Handwerkskammern viele Ausbildungsberater, die den Jugendlichen auch moderierend zur Seite stehen, natürlich auch den Betrieben, und auch, wenn es mal Probleme gibt, dann kann man die ansprechen.
    Kaess: Aber es gibt natürlich auch die Negativbeispiele, und wir wissen, dass es besonders viele Abbrecher in bestimmten Bereichen gibt, zum Beispiel in der Gastronomie oder bei den Friseuren. Was läuft da falsch?
    Wollseifer: Ja, was läuft da falsch. Das sind natürlich Berufe, wo sehr viele junge Leute sich ausprobieren, und bei dem einen klappt es, bei dem anderen nicht. Auch der Anspruch in diesen Berufen wird immer höher, und da kommt es eben dann manchmal zu den Abbrüchen. Und ich sagte ja eingangs schon, im Handwerk ist es so, dass also ein Abbruch nicht bedeutet, dass die ganz aus dem Handwerk rausgehen, sondern vielleicht wechseln sie den anderen Betrieb, wo sie besser klarkommen oder eben in eine andere Branche gehen.
    Kaess: Aber lassen Sie uns noch mal bei den Negativbeispielen kurz bleiben: Sollte man gegen Betriebe, die schlecht ausbilden, auf irgendeine Art und Weise vorgehen?
    Wollseifer: Wir haben heute die Möglichkeit, vorzugehen würde ich nicht sagen, aber miteinander zu sprechen, und das sollte man eigentlich immer in der Ausbildung, und da sind natürlich unsere Ausbildungsberater genau die richtige Adresse. Die Betriebe und auch die jungen Leute sollten den Mut haben, wenn es Probleme gibt, sich an die Ausbildungsberater der Kammern zu wenden. Die kommen raus, die schauen sich das an vor Ort, die sprechen dann miteinander, und ich glaube, da wird also manches Problem, mancher Konflikt dann schon in der Anfangsphase gelöst.
    "Eine Ausbildungsvergütung ist kein Lohn"
    Kaess: Jetzt verlangt der Deutsche Gewerkschaftsbund, dass Lehrlinge einen Mindestlohn bekommen und sagt, der Grund, warum eben so viele aussteigen, ist, weil sie zu wenig verdienen. Unterstützen Sie diese Forderung, und soll dieser Mindestlohn vor allem schneller vorkommen als der Koalitionsvertrag das vorsieht, denn da wird von einer Mindestvergütung gesprochen, die aber erst 2020 in Kraft treten soll?
    Wollseifer: Also wir sind eigentlich nicht für eine gesetzliche Regelung. Eine Mindestvergütung ist ja eine gesetzliche Regelung und das präferieren wir nicht. Wir präferieren die Sozialpartnerschaft, das heißt also, dass die Sozialpartner Arbeitgeber, Arbeitnehmer miteinander Tarife vereinbaren und dann auch die Ausbildungsvergütungen festlegen. Nun muss man wissen, dass also eine Ausbildungsvergütung kein Lohn ist, sondern ein Zuschuss zum Lebensunterhalt. Da kommt ja noch Kindergeld dazu, da kommen andere Förderungsmöglichkeiten dazu, und diese Ausbildungsvergütungen sind in den einzelnen Branchen sehr unterschiedlich. Es gibt sehr hohe, zum Beispiel im Hochbau bekommen junge Leute 1.400 Euro im dritten Jahr. In anderen Berufen sind sie eben nicht so hoch, weil eben die Wertschöpfung nicht da ist, aber diese einseitige Argumentation, dass also eine zu niedrige Ausbildungsvergütung dazu führt, dass es zu Ausbildungsabbrüchen kommt, also die ist für mich nicht ganz seriös.
    Kaess: Aber wenn es einen Grund dafür ist, dass so viele abbrechen, warum sollte man das nicht gesetzlich dann regeln?
    Wollseifer: Weil die Sozialpartnerschaft und die Tarifautonomie ein sehr hohes Gut ist in Deutschland. Das sollte man erhalten. Die Tarifpartner können das wesentlich besser. Die Lebensunterhaltskosten in Frankfurt an der Oder sind anders als in Frankfurt am Main. Das berücksichtigen die Tarifpartner, die berücksichtigen auch, dass also in den einzelnen Branchen es unterschiedliche Wertschöpfungsmöglichkeiten gibt, und das machen die also bei Facharbeitern, das machen die bei Meistern im Handwerk und bei den Azubis auch, und das soll auch so bleiben. Das ist unsere Ansicht.
    Kaess: Herr Wollseifer, gestern kam die Meldung, dass immer mehr Studierende es an den Hochschulen gibt, die kein Abitur haben, sondern über den sogenannten dritten Bildungsweg gekommen sind, also über eine Ausbildung. Laufen dem Handwerk jetzt noch mehr Leute weg, als das ohnehin schon der Fall ist?
    Wollseifer: Ach nein, wir haben also selber sehr gut Bildungsangebote auf den Weg gebracht mit dem Bundesbildungsministerium zusammen, noch mit Frau Wanka. Zum Beispiel die höhere Berufsbildung, dort bilden wir die dualen Ausbildungsgänge an, sogar triale Studiengänge an für die Bildungsstarken im Handwerk. Das Berufsabitur ist ein Kriterium, wo junge Leute in vier Jahren die Lehre machen können und dann auch das Abitur. Wir brauchen auch bildungsstarke junge Leute, –
    Kaess: Um dann auf die Hochschule zu gehen und dann eben …
    Wollseifer: – die die Betriebe übernehmen können.
    "Wir brauchen in den nächsten fünf bis sechs Jahren fast 200.000 Betriebsübernehmer"
    Kaess: Aber um dann eventuell auf die Hochschulen zu gehen und dann eben nicht dem Handwerk zur Verfügung zu stehen. Ist das eine Konsequenz daraus?
    Wollseifer: Wir machen die Erfahrung in Österreich und in der Schweiz, und wir wollen das auf Deutschland übertragen, dass 50 Prozent dieser jungen Leute dann auch ins Handwerk zurückkommen, wenn sie zum Beispiel ein Berufsabitur gemacht haben, und das sind die, die die Betriebe übernehmen, und wir brauchen in den nächsten fünf bis sechs Jahren fast 200.000 Betriebsübernehmer, sonst schließen die Betriebe, sonst sind die Arbeitsplätze weg dort.
    Kaess: Sagt Hans-Peter Wollseifer, er ist Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks. Danke für das Interview heute Morgen!
    Wollseifer: Ja, vielen Dank auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.