Höhere Beitragssätze und niedrigere Einkommensgrenzen für die Eltern: Die BAföG-Reform zum Wintersemester sollte nach Jahren die Antragszahlen endlich wieder nach oben bringen. Um wieder mehr junge Menschen dazu zu animieren, die staatliche Ausbildungsförderung zu beantragen, griff Bundesbildungsministerin Anja Karliczek sogar zur Sprühflasche. In einem Werbefilm der BAföG-Kampagne sprühte sie das rote BAföG-Herz an eine Häuserwand:
"Wir möchten allen jungen Menschen einen guten Start in ihre berufliche Zukunft ermöglichen. Seit fast 50 Jahren unterstützen wir sie deshalb finanziell. Direkt und unmittelbar. Das ist uns eine Herzensangelegenheit!"
Nur zwei Drittel der Haushaltsmittel abgerufen
Doch den großen Run auf das Geld vom Staat, das zur Hälfte als zinsfreies Darlehen vergeben wird, brachte die Reform offenbar nicht. Im Gegenteil: Im Haushaltsjahr 2019 wurden rund 900 Millionen Euro weniger an BAföG-Empfänger ausgezahlt als vom Ministerium veranschlagt. Dies ging aus einer Aufstellung hervor, die Bundesbildungsministerin Anja Karliczek an die Haushaltspolitiker der Bundestagsfraktionen schickte. An Studierende überwies die Bundesregierung demnach 2019 nur 989 Millionen statt der eingeplanten 1,5 Milliarden. Für Schüler-BAföG wurden rund 708 Millionen Euro ausgezahlt, vorgesehen war etwas mehr als eine Milliarde. Damit wurden gerade mal zwei Drittel der Haushaltsmittel abgerufen. Für die Opposition der Beleg dafür, dass die Reform nicht gegriffen hat:
"Das war ja nur eine Mini-Novelle der Ministerin, ein reiner Inflationsausgleich. Es wurde damals die große Trendumkehr versprochen, und die ist jetzt völlig ausgeblieben. Das überrascht auch nicht, denn die eigentlich notwendige Strukturreform, also eine Vereinfachung des BAföG, sodass man auch systematisch mehr Zielgruppen erreichen kann, die ist leider völlig ausgeblieben", kritisiert der FDP-Bildungspolitiker Jens Brandenburg. Auch für die Linkspartei und die Grünen ist klar: Karliczek und GroKo haben das BAföG abstürzen lassen. Die Novelle sei zu spät gekommen und erreiche noch immer zu wenige. Rund eine Viertelmillion junger Menschen seien in den letzten fünf Jahren aus dem BAföG-Berechtigtenkreis herausgerutscht, erklärte der grüne hochschulpolitische Sprecher Kai Gehring. Und Achim Meyer auf der Heyde, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks stellte fest, "dass scheinbar die BAföG-Erhöhung nicht wirkt, dass sie den Rückgang zwar weiter abschwächt, aber das Ziel, mehr Studierende ins BAföG zu bringen, scheint sich da nicht abzubilden."
Zahl der BAföG-Bezieher seit Jahren rückläufig
Die Erhöhung der Freibeträge hätte statt in drei kleinen Schritten bis 2021 sofort erfolgen müssen, monierte Meyer auf der Heyde, dann wären viel mehr Studierende erreicht worden. Gleiches gelte für die Beitragssätze. Die Zahl der BAföG-Bezieher ist seit Jahren rückläufig, allein seit 2013 haben laut amtlicher Statistik über 230.000 Menschen weniger die Ausbildungsbeihilfe beantragt. Das Bundesbildungsministerium teilt in einer Stellungnahme mit, dass die dem Haushalt zugrundegelegten Zahlen nur auf einer Prognose beruhten. "Aufgrund der anhaltenden guten Konjunktur und Wirtschaftslage haben sich die BAföG-Ausgaben nicht wie geschätzt entwickelt", heißt es in einer Erklärung. Außerdem sei die Novelle ja erst im Oktober in Kraft getreten. "Diese wird sich daher erst im ersten Vollwirkungsjahr 2020 haushalterisch auswirken und endgültig validieren lassen", so das Ministerium. Darauf verweist auch Oliver Kaczmarek, bildungspolitischer Sprecher der SPD im Bundestag. Dennoch räumt er ein:
"Erstmal ist das ein besorgniserregender Befund. Wenn man ein Gesetz macht und die Mittel nicht abgerufen werden, dann scheint da beim Gesetz was nicht zu funktionieren."
Im Herbst soll die Bundesregierung im Bildungsausschuss des Bundestages über die weitere BAföG-Entwicklung Rechenschaft ablegen. Bis zum Ende der Wahlperiode müsse die Trendwende beim BAföG stehen, stellt Kaczmarek klar. Höchste Zeit: Im nächsten Jahr wird das BAföG 50 Jahre alt. Da will man ja schließlich etwas zu feiern haben.