Rühmkorf: Ja, das literarische Kolloquium hatte zwei Gründerväter. Das waren der Walter Höllerer und Walter Hasenclever, nicht zu verwechseln mit dem Dichter. Diese beiden hatten sich als Duo dieses Kolloquium ausgedacht, das zunächst mit einer Schreibklause, mit einer Studierstube, mit einem Debattierzimmer zu tun hatte. Das wuchs sich erst später zu ganz anderen Formen an.
Koldehoff: 1963/64 entstand dann aber bereits ein Kollektivroman, 'Das Gästehaus'. Da saßen vierzehn Schriftsteller beisammen und haben versucht, gemeinsam zu schreiben. Ist diese Idee eines literarische Kollektivs heute noch ein Modell? Ist das noch aktuell?
Rühmkorf: Das kann ich nicht sagen. Ich war ja noch nicht dabei. Ich habe vergeblich nach dem Buch gesucht. Ich habe es irgendwo. Es war eine typische Experimentalidee von Walter Höllerer, der überhaupt eine experimentelle Natur war und versucht hat, auf allen möglichen Bühnen etwas für das literarische und kulturell daniederliegende Berlin zu tun.
Koldehoff: Wie kam es denn, dass Sie irgendwann dazu stießen und diese Dachkammerexistenz begonnen haben?
Rühmkorf: Er hatte sich gedacht, es sollte etwas anders aussehen, als die Gruppe 47. Es sollten sich Schriftsteller treffen. Da waren nun junge Schriftsteller. Da hatte Höllerer eine fantastische Nase gehabt. Als ich das rückblickend noch mal gesehen habe, habe ich mich furchtbar darüber gewundert, wen er da an potentiellen Talenten herausgepickt hat.
Koldehoff: Nennen Sie doch mal ein paar Namen.
Rühmkorf: Peter Bichsel war dabei. Dazu gehörten auch Nicolas Born, Hans Christoph Buch, Hubert Fichte. Aus Österreich kamen Elfriede Gerstl und Hermann Peter Piwitt, Klaus Stiller und Ror Wolf. Das sind ja alles Namen, die nicht untergegangen sind und die er damals schon als Talente erkannt hatte, als sie so um die 25 bis 28 Jahre alt waren.
Koldehoff: War dieses literarische Kolloquium so eine Art Elfenbeinturm oder war das ein Literaturhaus in der Stadt, in der res publica?
Rühmkorf: Es ist einfach als Literaturwerkstatt zu betrachten. Auf allen anderen Gebieten gibt es ja Ausbildungsinstitute. Jeder angehende Maler besucht zunächst einmal eine Kunsthochschule oder eine Malerakademie. Jeder, der Komponist, Dirigent oder Musiker werden will, besucht ein Konservatorium. Etwas Vergleichbares gibt es für unsere Gattung nicht. Da hatte sich Höllerer ausgedacht, eine Art Kolloquium zu gründen, in dem jüngere Schriftsteller mit etwas älteren zusammengeführt würden. Die älteren waren da so eine Art Quizmaster oder Tutoren. Diese stellte auch die Aufgaben. Dann wurden nach vorgegebenen Themen Texte verfertigt. Das war ein wettbewerbliches Unternehmen, an dem sich die unterschiedlichen Alumnen dann abreiben konnten. Das nahm manchmal sogar sehr heftige Züge an, so dass wir Kursleiter schon mal moderierend, glättend und besänftigend eingreifen mussten, weil die sich derart an die Pelle gingen, dass man dachte, dass jede Freundschaft und Geselligkeit darunter kaputtgehen könnte.
Koldehoff: Sind Freundschaften zerbrochen?
Rühmkorf: Nein, ich glaube nicht. Ich habe mir so ein paar Diskussionen jetzt noch einmal durchgelesen und habe mich sehr gewundert, mit welcher Sachkenntnis, aber auch mit welcher Leidenschaft da um diese Texte gerungen wurde.
Koldehoff: Würden Sie denn rückblickend heute sagen, dass man schreiben lernen und lehren kann? Könnten Sie mir schreiben beibringen?
Rühmkorf: Nein, also es ist so. Die Anlage muss natürlich vorhanden sein. Man könnte mir zum Beispiel niemals das Geigenspielen oder das Klavierspielen beibringen. Das Schreiben kann man nicht beibringen. Ich glaube auch an diese Schools of Creative Writing nicht.
Koldehoff: Mit Günter Grass und Peter Bichsel werden Sie heute Abend debattieren. '40 Jahre LCB - Schreibwerkstatt Prosaschreiben' heißt die Veranstaltung. Worüber werden Sie reden?
Rühmkorf: Wir werden darüber reden, wie es anfing und welche Aufgaben wir gestellt haben und welche Resultat daraus gekommen sind. Wir werden erzählen, wie sich dieses LCB aus ganz kleinen Anfängen zu einem ganz großen Unternehmen entwickelt hat. Das ist schon alles sehr interessant zu betrachten.
Koldehoff: Wo steht das LCB denn heute, 40 Jahre später? Hat sich etwas an der Berufssituation, an der Ausbildungssituation von Schriftstellern geändert?
Rühmkorf: Ich weiß nicht, ob es im Augenblick ähnliche Schreibkolloquien gibt. Ich glaube kaum. Aber an der Lage der Schriftsteller hat sich im Grunde nichts geändert. Als ich ein Thema vorgeben musste, hatte ich die Schüler, die Alumnen eigentlich fragen wollen, ob sie ein Berufsziel damit verbänden. Da war ich auf die Idee gekommen, aus Kellers 'Grünem Heinrich' als Aufgabe zu geben. Darin entschließt sich auch ein junger Mensch für die Kunst, weil er glaubt, dass er dort frei wird und dort seine Identität entfalten kann. Und sofort fragt die ganze Mitwelt, wozu das gut sein kann. Dann haben die diesen Text für sich entsprechend variiert. Leider haben sie ihn auch oft parodiert, weil sie mit ihren eigenen Sachen oft nicht so ganz ehrlich herausrücken wollten.
Koldehoff: Vielen Dank, Herr Rühmkorf
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Koldehoff: 1963/64 entstand dann aber bereits ein Kollektivroman, 'Das Gästehaus'. Da saßen vierzehn Schriftsteller beisammen und haben versucht, gemeinsam zu schreiben. Ist diese Idee eines literarische Kollektivs heute noch ein Modell? Ist das noch aktuell?
Rühmkorf: Das kann ich nicht sagen. Ich war ja noch nicht dabei. Ich habe vergeblich nach dem Buch gesucht. Ich habe es irgendwo. Es war eine typische Experimentalidee von Walter Höllerer, der überhaupt eine experimentelle Natur war und versucht hat, auf allen möglichen Bühnen etwas für das literarische und kulturell daniederliegende Berlin zu tun.
Koldehoff: Wie kam es denn, dass Sie irgendwann dazu stießen und diese Dachkammerexistenz begonnen haben?
Rühmkorf: Er hatte sich gedacht, es sollte etwas anders aussehen, als die Gruppe 47. Es sollten sich Schriftsteller treffen. Da waren nun junge Schriftsteller. Da hatte Höllerer eine fantastische Nase gehabt. Als ich das rückblickend noch mal gesehen habe, habe ich mich furchtbar darüber gewundert, wen er da an potentiellen Talenten herausgepickt hat.
Koldehoff: Nennen Sie doch mal ein paar Namen.
Rühmkorf: Peter Bichsel war dabei. Dazu gehörten auch Nicolas Born, Hans Christoph Buch, Hubert Fichte. Aus Österreich kamen Elfriede Gerstl und Hermann Peter Piwitt, Klaus Stiller und Ror Wolf. Das sind ja alles Namen, die nicht untergegangen sind und die er damals schon als Talente erkannt hatte, als sie so um die 25 bis 28 Jahre alt waren.
Koldehoff: War dieses literarische Kolloquium so eine Art Elfenbeinturm oder war das ein Literaturhaus in der Stadt, in der res publica?
Rühmkorf: Es ist einfach als Literaturwerkstatt zu betrachten. Auf allen anderen Gebieten gibt es ja Ausbildungsinstitute. Jeder angehende Maler besucht zunächst einmal eine Kunsthochschule oder eine Malerakademie. Jeder, der Komponist, Dirigent oder Musiker werden will, besucht ein Konservatorium. Etwas Vergleichbares gibt es für unsere Gattung nicht. Da hatte sich Höllerer ausgedacht, eine Art Kolloquium zu gründen, in dem jüngere Schriftsteller mit etwas älteren zusammengeführt würden. Die älteren waren da so eine Art Quizmaster oder Tutoren. Diese stellte auch die Aufgaben. Dann wurden nach vorgegebenen Themen Texte verfertigt. Das war ein wettbewerbliches Unternehmen, an dem sich die unterschiedlichen Alumnen dann abreiben konnten. Das nahm manchmal sogar sehr heftige Züge an, so dass wir Kursleiter schon mal moderierend, glättend und besänftigend eingreifen mussten, weil die sich derart an die Pelle gingen, dass man dachte, dass jede Freundschaft und Geselligkeit darunter kaputtgehen könnte.
Koldehoff: Sind Freundschaften zerbrochen?
Rühmkorf: Nein, ich glaube nicht. Ich habe mir so ein paar Diskussionen jetzt noch einmal durchgelesen und habe mich sehr gewundert, mit welcher Sachkenntnis, aber auch mit welcher Leidenschaft da um diese Texte gerungen wurde.
Koldehoff: Würden Sie denn rückblickend heute sagen, dass man schreiben lernen und lehren kann? Könnten Sie mir schreiben beibringen?
Rühmkorf: Nein, also es ist so. Die Anlage muss natürlich vorhanden sein. Man könnte mir zum Beispiel niemals das Geigenspielen oder das Klavierspielen beibringen. Das Schreiben kann man nicht beibringen. Ich glaube auch an diese Schools of Creative Writing nicht.
Koldehoff: Mit Günter Grass und Peter Bichsel werden Sie heute Abend debattieren. '40 Jahre LCB - Schreibwerkstatt Prosaschreiben' heißt die Veranstaltung. Worüber werden Sie reden?
Rühmkorf: Wir werden darüber reden, wie es anfing und welche Aufgaben wir gestellt haben und welche Resultat daraus gekommen sind. Wir werden erzählen, wie sich dieses LCB aus ganz kleinen Anfängen zu einem ganz großen Unternehmen entwickelt hat. Das ist schon alles sehr interessant zu betrachten.
Koldehoff: Wo steht das LCB denn heute, 40 Jahre später? Hat sich etwas an der Berufssituation, an der Ausbildungssituation von Schriftstellern geändert?
Rühmkorf: Ich weiß nicht, ob es im Augenblick ähnliche Schreibkolloquien gibt. Ich glaube kaum. Aber an der Lage der Schriftsteller hat sich im Grunde nichts geändert. Als ich ein Thema vorgeben musste, hatte ich die Schüler, die Alumnen eigentlich fragen wollen, ob sie ein Berufsziel damit verbänden. Da war ich auf die Idee gekommen, aus Kellers 'Grünem Heinrich' als Aufgabe zu geben. Darin entschließt sich auch ein junger Mensch für die Kunst, weil er glaubt, dass er dort frei wird und dort seine Identität entfalten kann. Und sofort fragt die ganze Mitwelt, wozu das gut sein kann. Dann haben die diesen Text für sich entsprechend variiert. Leider haben sie ihn auch oft parodiert, weil sie mit ihren eigenen Sachen oft nicht so ganz ehrlich herausrücken wollten.
Koldehoff: Vielen Dank, Herr Rühmkorf
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