Archiv

Ausblick auf 2018
"Wenn sich nichts ändert, wird die deutsche Medienindustrie vollkommen verschwinden"

Der Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister kritisiert die deutsche Medienpolitik wegen ihrer Kleinteiligkeit und konstatiert eine "Infantilisierung des Journalismus". Statt der Jugend hinterherzulaufen, sollten sich Journalisten besser auf ihr Kerngeschäft konzentrieren, sagte Hachmeister im Dlf.

Lutz Hachmeister im Gespräch mit Brigitte Baetz |
    Dr. Lutz Hachmeister
    Medienmacher und Medienkritiker: Lutz Hachmeister (Jim Rakete)
    Lutz Hachmeister beklagt, dass in Deutschland kaum noch Medienpolitik betrieben wird: "Rational gesehen ist es völlig unmöglich, dieses Politikfeld weiter auf der Ebene föderaler Staatskanzleien zu behandeln, wenn man auf der anderen Seite sieht, dass man es mit mächtigen US-Konzernen wie Facebook, Google, Apple, usw. zu tun hat". Das sei naiv. Medienpolitik beschränkt sich Hachmeisters Ansicht nach damit auf kleine Änderungen in Staatsverträgen. "Damit erhält man eine bestimmte Beschäftigungstherapie aufrecht, während sich natürlich die Welt draußen, von China bis zum kalifornischen Oligopol, einfach weiter dynamisiert."
    Einziger Gewinner: US-Unternehmen
    Das deutsche Mediensystem werde längst fremdbestimmt. Journalismus werde von jungen Menschen zunehmend nur noch über Plattformen wie Facebook wahrgenommen. Studenten, so eine Untersuchung, hätten nur noch "ein ganz schmales Interesse an einzelnen Marken", wie "Spiegel", "Frankfurter Rundschau", etc.. Bislang seien alle Versuche deutscher Medien, am digitalen Werbekuchen ausreichend teilzuhaben wie beispielsweise das Leistungsschutzrecht, aufgrund ihrer Komplexität gescheitert. Man müsse vielleicht wieder zurück zu Überlegungen wie einer Internet-Flatrate oder müsse die Verwertungsgesellschaften stärken, so Hachmeister. Aber auf solche Überlegungen sei die Medienpolitik, die sich in Netzpolitik und "alte" Medienpolitik aufgespalten hat, überhaupt nicht eingestellt. Hachmeister regt "einen anderen Zuschnitt eines Kultur- und Medienministeriums" an, "um diese Marktdynamik vernünftig analysieren und ihr begegnen zu können". "Meine These ist ja: wenn sich nichts ändert, wird die deutsche Medienindustrie vollkommen verschwinden." Unternehmen wie Bertelsmann, Springer, Burda könnten in 15 Jahren in ihrer jetzigen Form nicht mehr existieren.
    Vorsicht vor Systemänderungen
    Im Streit zwischen deutschen Verlagen und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nahm Hachmeister eine differenzierte Position ein. Im Hinblick auf die No-Billag-Initiave, die in der Schweiz die Gebühren für die SRG abschaffen möchte, erklärt er, er könne sich kein kultiviertes Land ohne stabilen öffentlichen Rundfunk vorstellen. Er sagte für Deutschland eine neue Konjunkturkrise voraus, in deren Folge sich mit dem Vertrauensverlust in die Eliten und dem fortschreitenden Wertewandel, mit dem viele Menschen Probleme hätten, größere gesellschaftliche Verwerfungen ergeben könnten. "Also ist jeder ganz gut beraten, sich das noch mal ganz genau zu überlegen, was er behalten und was er abschaffen will".
    Verständnis für Verleger
    Hachmeister glaubt nicht, dass die Online-Aktivitäten der öffentlich-rechtlichen Anstalten die Verleger im Internet behindern. Was jedoch die Kernaufgabe von ARD, ZDF und Deutschlandradio betreffe, sei er letztlich bei BDZV-Präsident Mathias Döpfner: "Das ist schon die Produktion von Film- und Hörfunkbeiträgen". Bei redaktionellen Beiträgen, wie beispielsweise auf Tageschau.de veröffentlicht, frage er sich: "Müssen die das jetzt schreiben?" Dass die Verlage umgekehrt auch z.B. Podcasts machen, könne man ihnen nicht verweigern, da in einem freien Markt das Recht bestehe, die jeweils neuen Technologien zu nutzen.
    Plädoyer für "erwachsenen Journalismus"
    Journalisten gibt Hachmeister den Rat, sich auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren und plädiert für eine Rückkehr zu "erwachsenem Journalismus". Was beispielsweise der Spiegel mit dem Jugendableger Bento mache, führe zu einer Infantilisierung, die zudem keinen Jugendlichen auf lange Sicht dazu brächte, den Spiegel zu lesen: "Mein Ratschlag: in Teilen ein Rückzug in Würde und Ehren."