Am Ufer des Viktoria-Sees in Uganda, an der Grenze zu Tansania, leben die Menschen in kleinen Dörfern. In den Fischerdörfern, so Oliver Ratmann vom Imperial College in London, herrscht so etwas wie Goldgräberstimmung.
"Die Leute wohnen in Wellblech- und Holzhütten. Die sind einfach da ganz kurzfristig hingezogen, weil die einfach ökonomische Möglichkeiten sehen, die sie dann weiter im Inland nicht haben."
Am Ufer des Viktoria-Sees häufen sich Aids-Fälle
Es gibt Arbeit und Nahrung. Aber viele Menschen dort sind infiziert mit dem Aids-Erreger. In manchen Dörfern sind von zehn Erwachsenen vier HIV-positiv.
Es ist ein HIV-Hochrisiko-Gebiet in Uganda. Seit zehn Jahren bekommen die See-Anrainer daher regelmäßig Besuch von Wissenschaftlern des Rakai Health Sciences Program.
"Jedes Haus ist mit GPS-Koordinaten erfasst, es wird alles digital gespeichert, wenn dann diese Kohorten-Studie alle zwei Jahre durchgeführt wird. Die Leute werden befragt, das wird alles sofort digitalisiert. Das wird dann im Datenzentrum gespeichert. Die HIV-Blutproben, die genommen werden, die werden sofort eingefroren…"
Die Daten und Proben aus den Fischerdörfern und 36 Gemeinden im dichter besiedelten Inland hat Oliver Ratmann für seine Studie nutzen können.
Eine Datenbasis aus zehn Jahren Monitoring
Er wollte wissen: Breitet sich das HI-Virus wirklich so aus, wie wir glauben? Eine gängige Theorie lautet: Das Virus wandert mit den Menschen von Hoch-Risiko-Gebieten in Gebiete mit niedrigerem Risiko. Wer also die Ausbreitung in einem HIV-Hot-Spot stoppt, der schützt auch das Umland.
Um diese Hypothese zu prüfen, schaute sich Ratmann erst einmal die kursierenden Viren genauer an. Er sequenzierte das Erbgut der HI-Viren von über 2.500 Infizierten. Eine gewaltige Datenmenge
"Wenn dann diese Viren miteinander ähnlich sind, dann bekommt man dann eine Idee, wer vielleicht wen angesteckt haben könnte."
Und unsere hochmodernen Rechner in London, die haben monatelang gerechnet, bis wir dann wirklich zu Ergebnissen gekommen sind.
Zwei Epidemien: eine am Ufer des Sees, eine zweite im Hinterland
Diese genetischen Informationen hat der Wissenschaftler dann mit denen zur Mobilität der Menschen kombiniert: Wer lebt seit wann wo, wo kommt er her?
Das überraschende Ergebnis: Die Ausbreitung des HI-Virus in den Fischerdörfern und im Umland läuft fast vollständig unabhängig voneinander ab.
"Die beiden Epidemien haben sehr wenig miteinander zu tun."
Wenn es Wanderungsbewegungen gab, dann von den Gemeinden im Land in die Fischerdörfer. Infizierte aus dem Inland tragen also zu einem noch höheren Infektionsrisiko in den Fischerdörfern bei.
Was heißt das – ganz praktisch - für HIV-Vorbeugungsprogramme in den Fischerdörfern?
"Lokal hat es die Bedeutung, dass man in diesen Hoch-Risiko-Gebieten dann wirklich nach neuen Diagnosen noch intensiver suchen muss. Dass man die Leute besser aufklärt über das Sexualverhalten, über das Risiko, sich anzustecken."
… und, dass man sich besonders um neu Zugezogene kümmert und mit ihnen ins Gespräch kommt.
Vorbeugungsprogramme helfen nicht automatisch im Umland
Vorbeugungsprogramme helfen vor Ort – aber sie schützen nicht automatisch das Umland. Lassen sich die Ergebnisse dieser Studie auf andere Hochrisiko-Gebiete übertragen? In Kenia etwa, in Südafrika oder Botswana? Das ist unklar.
Wenn aber auch dort ähnliche Studien durchgeführt würden, hofft Oliver Ratmann, könnten vielleicht allgemein gültige Variablen gefunden werden, die helfen, die drohende Ausbreitung des HI-Virus in einer Region vorauszuberechnen, um dann gezielter gegensteuern zu können.