Erinnerungskultur im Fußball
Warum Profiteure des NS-Systems noch immer anerkannt sind

Zum 80. Mal jährt sich die Befreiung von Auschwitz. Im Fußball erhält die Erinnerung an die Opfer immer mehr Raum. Doch auch manche Profiteure des NS-Systems sind noch anerkannt. Die Grenze zwischen Mitläufer und Täter ist nicht immer eindeutig.

Von Ronny Blaschke |
Der Fußballer Matthias Sindelar steht in seinem Kaffeehaus.
Fußballer Matthias Sindelar gilt in Österreich als Oppositioneller des NS-Regimes. Hier steht er in seinem Kaffeehaus, das früher einem jüdischen Besitzer gehörte. Sindelar hat es als Ausgleich für fehlende Einnahmen aus dem Fußball zugeschanzt bekommen. (IMAGO / piemags / IMAGO)
Der Sportpark Müngersdorf in Köln. Thorben Müller, Mitarbeiter des lokalen NS-Dokumentationszentrums, gibt eine Führung. Der angehende Historiker stoppt mit der Gruppe auch am westlichen Rand der Anlage, an der Peco-Bauwens-Allee.
Der gebürtige Kölner Bauwens ist in den 1920er- und 30er Jahren ein erfolgreicher Schiedsrichter. Nach dem Krieg, ab 1950, ist er für zwölf Jahre Präsident des DFB. Und dass trotz seiner geschäftlichen Rolle im Nationalsozialismus, sagt Thorben Müller:
„Aber gleichzeitig als Bauunternehmer definitiv ein Profiteur ist vom System. Weil seine Firma Zwangsarbeiter eingesetzt hat. Und auch da wieder das Örtliche interessant: Es lassen sich sogar Fälle feststellen, wo Lagerinsassen, die später für seine Aufträge arbeiten werden, zwischenzeitlich im Lager bei ihm in der Nähe vom Stadion saßen.“

Bauwens spricht von "Deutschtum" und "Führerprinzip"

Die Biografie von Peco Bauwens ist komplex. Seine erste Ehefrau ist jüdischen Glaubens. Wegen der zunehmenden Repression der Nazis nimmt sie sich das Leben. Diese jüdische Frau wird später von Unterstützern von Pauwens als Argument herangezogen, warum er kein gefestigter Nationalsozialist gewesen sein soll.
1954 gewinnen die deutschen Fußballer die WM. DFB-Präsident Bauwens hält in München eine Jubelrede, spricht von „Deutschtum“ und „Führerprinzip“. Ein Redakteur des Bayerischen Rundfunks fühlt sich an die Sprache aus dem „Tausendjährigen Reich“ erinnert und bricht die Radioübertragung ab. Bauwens gilt auf Jahre hinaus als anerkannter Funktionär, wird Ehrenpräsident des DFB.
Doch im neuen Jahrtausend wächst die Kritik an ihm auch in seiner Heimatstadt Köln, sagt Thorben Müller: „Die Straße wurde nach ihm nach seinem Tod entsprechend benannt, in den Sechzigern. Und wird heute natürlich anders betrachtet. Ob man den Namen einfach ändert. Ob man ihn ändert und eine Informationstafel dranhängt. Das steht noch aus.“

Keine tiefgreifende "Entnazifizierung"

Wie steht es um die Profiteure des NS-Systems? Wer war Täter und wer war Mitläufer? Eine tiefgreifende „Entnazifizierung“ hat es im Fußball nicht gegeben. Und so waren etliche Trainer und Funktionäre vor 1945 erfolgreich – und auch danach.
Sepp Herberger, der Weltmeister-Trainer von 1954, tritt bereits 1933 in die NSDAP ein. Als „Reichstrainer“ bemüht er sich darum, dass seine Nationalspieler nicht an die Front müssen. Aussagen von Herberger legen nahe, dass er dem Krieg eher kritisch gegenübersteht. Auf der anderen Seite unterstützt er als Berater „Das große Spiel“, einen Spielfilm mit Propagandaelementen von 1942.
Der Historiker Julian Rieck hat sich mit Herberger beschäftigt: „Er hat aber auch natürlich aktiv dadurch, dass er Nationaltrainer war, an den Länderspielen teilgenommen, die natürlich die Funktion hatten, das Regime im nicht Krieg führenden Ausland oder im besetzten teilweise oder im verbündeten Ausland zu repräsentieren.“

Herbergers politische Biografie bleibt im Hintergrund

Der DFB präsentiert Sepp Herberger heute als Jahrhundertfigur, hat eine Stiftung nach ihm benannt. In Deutschland tragen Straßen, Plätze und Sportanlagen seinen Namen. Seine politische Biografie bleibt im Hintergrund.
Nach dem Krieg geht Herberger auf Distanz zum NS-Regime. Zeugen bestätigen, dass er in den Dreißiger Jahren weiterhin zu einem jüdischen Arzt gegangen sei. Und dass er bei den Novemberpogromen 1938 einem jüdischen Mann geholfen habe. 1972 dann, vor der Eröffnung des Münchener Olympiastadions, nimmt Herberger Kontakt zu Gottfried Fuchs auf. Der ehemalige jüdische Nationalspieler war 1940 nach Kanada geflohen.
Julian Rieck: „Da hat Herberger dann ans DFB-Präsidium geschrieben: Es gibt doch noch diesen Gottfried Fuchs, den können wir doch einladen, da können wir doch so eine Art Wiedergutmachung ihm entgegenbringen. Und der DFB hat dann entschieden: das können wir nicht machen, da wird ein Präzedenzfall geschaffen. Da könnten dann Kosten auf uns zukommen, die wir nicht tragen können.“
Der Fußball stützt mitunter historische Mythen. Doch von Jahrzehnt zu Jahrzehnt kann sich die Wahrnehmung von diesen Erzählungen verändern.

Historiker sehen Sindelar nicht als Oppositionellen

In Wien gilt Matthias Sindelar als einer der wichtigsten Spieler im frühen 20. Jahrhundert. Nach der Eingliederung Österreichs ins Deutsche Reich 1938 spielt Sindelar mit einer Wiener Auswahl gegen das deutsche Nationalteam. Er schießt ein Tor und jubelt angeblich provokant vor den NS-Funktionären. An der WM 1938 will er mit dem deutschen Team nicht teilnehmen.
Und nur ein halbes Jahr später, im Januar 1939, stirbt Sindelar an einer Gasvergiftung, erinnert der Historiker Georg Spitaler: „Und es gab halt alle möglichen Mythen, also von Selbstmord über Mord. Und es wurde mehr oder weniger impliziert, dass er sozusagen nicht mehr Teil dieses neuen Fußballs sein wollte.“
Nach dem Krieg bemühen sich Politik und Fußball in Österreich um eine neue Identität, in Abgrenzung zu Deutschland. In diesem Zusammenhang gilt Sindelar als Oppositioneller. In Österreich wird ihm eine Straße, eine Tribüne und eine Briefmarke gewidmet.
Doch Historiker wie Georg Spitaler dekonstruieren diesen Mythos. Bei seinem Verein Austria Wien, der früh jüdische Vorstandsmitglieder ausgeschlossen hatte, arrangierte sich Sindelar mit den NS-Funktionären: „Und diese ganz prominenten Spieler haben sozusagen jüdisches Eigentum zugeschanzt bekommen. Und Sindelar hat ein Kaffeehaus übernommen, das früher einem jüdischen Besitzer gehört hat. Und war in dem Fall der Profiteur einer ,Arisierung‘.“
Täter oder Profiteur, Mitläufer oder Oppositioneller. Achtzig Jahre nach der Befreiung von Auschwitz lassen sich die Grenzen auch im Fußball nicht immer eindeutig ziehen. Es ist gut möglich, dass sich mit weiteren Forschungen ein deutlicheres Bild ergibt.