Eben noch hat er der Hauswartsfrau freundlich lächelnd die Post abgenommen, oben, an seiner Wohnungstür. Nur Minuten später, es ist der Vormittag des 11. April 1987, stürzt Primo Levi - stürzt er sich? - drei Stockwerke tief über das Geländer ins Treppenhaus. Polizei und Öffentlichkeit glauben nicht, dass es ein Unfall war. Eilfertig ordnet man Levi jenen traumatisierten Intellektuellen zu, die Selbstmord begingen, weil sie nach der Shoah in der Welt nicht mehr heimisch wurden: die Dichter Paul Celan und Tadeusz Borowski etwa, der Psychoanalytiker Bruno Bettelheim, der Philosoph Jean Amery, Levis Barackengenosse in Auschwitz.
Primo Levi starb in Auschwitz, aber 40 Jahre später,
befand Elie Wiesel. Dabei hatte Levi den Freitod von Holocaust-Überlebenden stets als Kapitulation vor dem Bösen verworfen. Und betont:
Auschwitz hat in mir Spuren hinterlassen, meinen Lebenswillen jedoch nicht gebrochen, sondern eher gesteigert - was ich erlebt habe, gab meinem Leben einen Sinn, nämlich Zeugnis abzulegen.
Primo Levi wird 1919 geboren, im Gründungsjahr der italienischen Faschisten. Bereits als Kind begeistert er sich für Naturwissenschaften - und für Bücher. So wie später die Klarheit und die Präzision seiner literarischen Texte vom analytischen Scharfsinn des Forschers zeugen, als der er 30 Jahre lang tätig ist, so sehr ist das Erkenntnisinteresse schon des Chemiestudenten an seinem Fach immer auch ästhetischer und philosophischer Art:
Ich war zutiefst romantisch, und selbst in der Chemie interessierte mich im Wesentlichen der romantische Aspekt: die Hoffnung, den Schlüssel der Welt zu entdecken.
Auch als Jude kann Levi 1941 noch promovieren, trotz der Rassengesetze Mussolinis. Nach der Besetzung Norditaliens durch die Deutschen im Herbst 1943 schließt er sich Partisanen an, wird jedoch bald verraten und nach Auschwitz transportiert. Levi in einem Interview:
"Bei der Ankunft in Auschwitz fragten die Deutschen einen immer nach dem Beruf. Als Chemiker musste ich dann nicht bei minus 20 Grad draußen arbeiten, sondern stand drinnen im Labor. Möglicherweise hat mir das das Leben gerettet."
Nach Auschwitz beginnt der nun 26-Jährige fast unmittelbar mit der Niederschrift seiner qualvollen Lagererfahrung. 1947 erscheint 'Ist das ein Mensch?' - die unpathetische, schonungslos-nüchterne Darstellung einer vollständigen Entmenschlichung der Häftlinge im KZ.
Mensch ist, wer tötet. Mensch ist, wer Unrecht zufügt oder leidet; kein Mensch ist, wer jede Zurückhaltung verloren hat und sein Bett mit einem Leichnam geteilt hat. Und wer darauf gewartet hat, bis sein Nachbar mit Sterben zu Ende ist, damit er ihm ein Viertel Brot abnehmen kann.
Trost spenden Levis Texte nicht, niemandem. So fühlen sich viele seiner überlebenden Leidensgenossen vor den Kopf gestoßen, als er 1986 Die Untergegangenen und die Geretteten veröffentlicht, sein letztes Buch. Darin vertritt er die unbequeme, aber heute weitgehend akzeptierte These, dass die Lager der Nazis auch deshalb grausam funktionierten, weil es eine komplizierte Hierarchie unter den Häftlingen gab - und eine "Grauzone", wie er es nennt, in der Opfer zu Mittätern wurden, um ihr Leben zu retten.
Und die Täter? Levi war überzeugt von der Kollektivschuld der Deutschen, die für ihn nicht in dem bestand, was sie taten, sondern darin, dass sie nichts taten gegen den Terror der Nazis. Trotzdem hat er immer wieder den Dialog mit Deutschen gesucht, wenn auch mit oft enttäuschendem Resultat.
Manchmal sagt mir mein Gesprächspartner vorsichtig, oh ja, das sind traurige Dinge, unglücklicherweise haben sie sich hier bei uns zugetragen, aber das Deutschland von heute ist anders - sagt er und geht weg ... Es ist mir nie ein Deutscher begegnet, der sagte, ja, in der Tat, ich war ein Nazi. Nie, das ist mir nie begegnet.
Levis tragischer Tod gibt Rätsel auf, bis heute. Er, der sich immer und überall Notizen machte, hinterließ keinerlei Abschiedsbrief. Was geblieben ist, sind seine eindringlichen und klaren Worte.
Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen. Darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.
Primo Levi starb in Auschwitz, aber 40 Jahre später,
befand Elie Wiesel. Dabei hatte Levi den Freitod von Holocaust-Überlebenden stets als Kapitulation vor dem Bösen verworfen. Und betont:
Auschwitz hat in mir Spuren hinterlassen, meinen Lebenswillen jedoch nicht gebrochen, sondern eher gesteigert - was ich erlebt habe, gab meinem Leben einen Sinn, nämlich Zeugnis abzulegen.
Primo Levi wird 1919 geboren, im Gründungsjahr der italienischen Faschisten. Bereits als Kind begeistert er sich für Naturwissenschaften - und für Bücher. So wie später die Klarheit und die Präzision seiner literarischen Texte vom analytischen Scharfsinn des Forschers zeugen, als der er 30 Jahre lang tätig ist, so sehr ist das Erkenntnisinteresse schon des Chemiestudenten an seinem Fach immer auch ästhetischer und philosophischer Art:
Ich war zutiefst romantisch, und selbst in der Chemie interessierte mich im Wesentlichen der romantische Aspekt: die Hoffnung, den Schlüssel der Welt zu entdecken.
Auch als Jude kann Levi 1941 noch promovieren, trotz der Rassengesetze Mussolinis. Nach der Besetzung Norditaliens durch die Deutschen im Herbst 1943 schließt er sich Partisanen an, wird jedoch bald verraten und nach Auschwitz transportiert. Levi in einem Interview:
"Bei der Ankunft in Auschwitz fragten die Deutschen einen immer nach dem Beruf. Als Chemiker musste ich dann nicht bei minus 20 Grad draußen arbeiten, sondern stand drinnen im Labor. Möglicherweise hat mir das das Leben gerettet."
Nach Auschwitz beginnt der nun 26-Jährige fast unmittelbar mit der Niederschrift seiner qualvollen Lagererfahrung. 1947 erscheint 'Ist das ein Mensch?' - die unpathetische, schonungslos-nüchterne Darstellung einer vollständigen Entmenschlichung der Häftlinge im KZ.
Mensch ist, wer tötet. Mensch ist, wer Unrecht zufügt oder leidet; kein Mensch ist, wer jede Zurückhaltung verloren hat und sein Bett mit einem Leichnam geteilt hat. Und wer darauf gewartet hat, bis sein Nachbar mit Sterben zu Ende ist, damit er ihm ein Viertel Brot abnehmen kann.
Trost spenden Levis Texte nicht, niemandem. So fühlen sich viele seiner überlebenden Leidensgenossen vor den Kopf gestoßen, als er 1986 Die Untergegangenen und die Geretteten veröffentlicht, sein letztes Buch. Darin vertritt er die unbequeme, aber heute weitgehend akzeptierte These, dass die Lager der Nazis auch deshalb grausam funktionierten, weil es eine komplizierte Hierarchie unter den Häftlingen gab - und eine "Grauzone", wie er es nennt, in der Opfer zu Mittätern wurden, um ihr Leben zu retten.
Und die Täter? Levi war überzeugt von der Kollektivschuld der Deutschen, die für ihn nicht in dem bestand, was sie taten, sondern darin, dass sie nichts taten gegen den Terror der Nazis. Trotzdem hat er immer wieder den Dialog mit Deutschen gesucht, wenn auch mit oft enttäuschendem Resultat.
Manchmal sagt mir mein Gesprächspartner vorsichtig, oh ja, das sind traurige Dinge, unglücklicherweise haben sie sich hier bei uns zugetragen, aber das Deutschland von heute ist anders - sagt er und geht weg ... Es ist mir nie ein Deutscher begegnet, der sagte, ja, in der Tat, ich war ein Nazi. Nie, das ist mir nie begegnet.
Levis tragischer Tod gibt Rätsel auf, bis heute. Er, der sich immer und überall Notizen machte, hinterließ keinerlei Abschiedsbrief. Was geblieben ist, sind seine eindringlichen und klaren Worte.
Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen. Darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.