Auschwitz, an diesem Mittwoch.
Zum 71. Jahrestag der Befreiung des einstigen Konzentrationslagers sind wieder Überlebende des KZs, Staatsgäste und auch der polnische Staatspräsident zu einer feierlichen Gedenkstunde zusammengekommen. Doch nicht nur Überlebende, deren Nachkommen, Staatsoberhäupter, Botschafter und weitere offizielle Personen sind an diesem Tag in Auschwitz. Draußen, nahe dem Mahnmal, steht auch eine Schülergruppe des Essener Gymnasiums am Stoppenberg – und verfolgt die Zeremonie auf einer großen Leinwand.
Bereits am Vortag hatte die Gruppe ebenfalls der Opfer gedacht, legte an der Mauer im Stammlager von Auschwitz, an der einst Menschen erschossen wurden, einen Kranz nieder:
"Speziell an dem Ort, also speziell an der Mauer auch, ist das, glaub ich, was sehr persönliches gewesen, wenn man dort selbst abgelegt hat."
Sagt Mara Kaasch, die den Kranz mit einem Mitschüler sowie Nordrhein-Westfalens Schulministerin Sylvia Löhrmann, niederlegte. Sehr persönlich, sehr ergreifend. Bei der vorangegangenen Führung durch das KZ kamen den Jugendlichen immer wieder die Tränen, sie umarmten sich, es gab nachdenkliche Gesichter.
"In einem der Häuser stand auch so ein Satz von wegen: Wer vergisst, der ist selbst daran schuld, wenn es noch mal passiert und ich finde, das stimmt auch total wie es da steht. Und zum Beispiel in der Schule wird auch noch relativ viel darüber geredet und ich finde es auch sehr wichtig, das weiterzugeben."
Stiftung "Erinnern ermöglichen"
Mara Kaasch und ihre Mitschüler erlebten nicht nur die offizielle Zeremonie, hatten eine Führung durch die Lageranlagen, sondern auch ein Gespräch mit einem Überlebenden von einst. Vor der fünftägigen Reise hatte die Gruppe darüber gesprochen, den Film "Schindlers Liste" geschaut und mit einer Enkelin eines Überlebenden diskutiert. Eine solche Vorbereitung unterstützt auch das Land Nordrhein-Westfalen, mit Sonderheften und Info-Material, aber auch personell:
"Ich bin also in gewisser Weise sozusagen das Bindungsglied zwischen den Lehrern, den Schülern, den Schulklassen."
Eigentlich ist Jörg Volger Lehrer in Viersen, doch das Schulministerium NRW hat ihn freigestellt, um als Pädagogischer Leiter der Stiftung "Erinnern ermöglichen" Reisen nach Auschwitz zu organisieren.
"Ich helfe ihnen beim Vorbereiten, beim Planen, ich besuche aber auch später, wenn die zurück sind aus Auschwitz. Dass ist dann in der Regel so, dass die gerne darüber berichten, dass an ihren Schulen auch tun. Vor den Eltern, den Mitschülern. Da gehe ich dann auch hin, auch als Ausdruck der Wertschätzung und schau mir das an und spreche mit denen."
Vor- und Nachbereitung. Für Volger ist das essenziell. Aus Nordrhein-Westfalen reisen regelmäßig Klassen nach Auschwitz, auch aus anderen Bundesländern. In diesen Tagen unterzeichneten acht Länder eine Vereinbarung mit der Bethe-Stiftung, die solche Fahrten organisiert. Mit sechs weiteren laufen Gespräche. Die inhaltliche Vorbereitung dieser Reisen liegt beim Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk und Burkhard Grahn. Für ihn hat das Ganze auch etwas von einem Selbstversuch:
"Wie wird man der Sache gewachsen sein? Und ich erlebe die aber dann letztendlich auf diesen Fahrten als sehr neugierig, tapfer, also keineswegs so wie wir das vor vielen Jahren noch beobachtet haben, das eine Gruppe in eine Beklommenheit gerät und gar nicht weiß, wie sie sich verhalten sollte."
Auch mit dem Vorwurf, Reisen nach Auschwitz oder anderswo hin, seien mitunter sinnfreies "Gedenkstätten-Hopping" können Grahn, aber auch Verbindungslehrer Volger, nichts anfangen.
"Wir wissen, dass wenn die zurückkommen, dass die zum Beispiel ihr eigenes Leben in einer anderen Art und Weise wertschätzen als vorher."
Für Geschichte sensibilisieren
Stattdessen gebe es aktuelle Herausforderungen: Viele Schüler hätten keinen persönlichen Bezug mehr zu der Nazi-Zeit, Eltern, aber auch Großeltern sei weit nach dem Zweiten Weltkrieg geboren. Auch Jugendliche mit einer Zuwanderungsgeschichte müssten für die Geschichte sensibilisiert werden. Und: Die letzten Zeitzeugen werden nicht mehr lange leben. Allerdings gibt es unter den beiden Pädagogen durchaus auch unterschiedliche Ansätze in der Ausgestaltung der Reise. Während Grahn dafür plädiert, sich bei den Reisen voll auf Auschwitz zu konzentrieren und sich nur mit dem sprichwörtlichen Tatort zu beschäftigen...
"Diese Wirkung des Ortes ist dann besonders gut, wenn es ein Lernprozess ist, der durchaus über Tage durch Anwesenheit an diesem Tatort anhält."
Findet Verbindungslehrer Volger einen anderen Ansatz besser: Er hält es für gut, wenn die Klassen woanders untergebracht sind:
"Dann kann man zum Beispiel nach Krakau fahren. Was ich ganz wichtig finde, weil man erlebt, dass da noch blühendes jüdisches Leben ist. Es gibt eine jüdische Gemeinde, man erlebt auf dem Weg auch, dass die Nazis nicht gewonnen haben, nicht das letzte Wort haben. Und die Schüler können mit diesen Abschluss gut in ihr Leben zurückgehen. Und in ihren Alltag."
Ein Alltag, der sich nach einem Besuch in Auschwitz allerdings verändert hat.