Mario Dobovisek: Die Liberalen taumeln orientierungslos in das Wahljahr 2013. In Niedersachsen droht in zwei Wochen ein Debakel und im Bund geht selbst die Kanzlerin allmählich auf wahlkämpfende Distanz zum schwächelnden Koalitionspartner. Doch statt der versprochenen Themen, stand auf dem Dreikönigstreffen der FDP gestern vor allem die Mannschaftsaufstellung im Mittelpunkt. So jedenfalls formulierte es Entwicklungsminister Niebel. Parteichef Rösler sprach, um zu überzeugen, hat dabei aber offenbar seine Chance ungenutzt verstreichen lassen. Am Telefon begrüße ich Everhard Holtmann, Politikwissenschaftler an der Universität Halle-Wittenberg. Guten Tag, Herr Holtmann!
Everhard Holtmann: Schönen guten Tag, Herr Dobovisek!
Dobovisek: Personaldebatte und Personalentscheidung in der FDP ist also zunächst einmal vertagt – ein Fehler?
Holtmann: Ich denke, dass das Ausdruck des Schwebezustandes der derzeitigen FDP ist. Man hätte ja keinen Vorsitzendensturz jetzt beim Dreikönigstag inszenieren können, das wäre ein fatales Signal in Bezug auf den anstehenden Wahlgang bei der Niedersachsenwahl in 14 Tagen gewesen. Auf der anderen Seite: aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Viele gehen nicht ohne Grund davon aus, dass, sollte die FDP bei den Niedersachsen-Wahlen den Sprung in den Landtag nicht oder nur ganz knapp wieder schaffen, dass dann in der Tat die Tage des Bundesvorsitzenden gezählt sind.
Dobovisek: Schlägt denn damit Dirk Niebel mit seiner Partei- und Rösler-Kritik über die Strenge, oder ist er der einzige, der vor der Niedersachsen-Wahl ehrlich ist?
Holtmann: Ich denke, man muss auf der einen Seite oder man kann Stilfragen debattieren, und da hat Dirk Niebel ja auch entsprechend Kritik auch aus den eigenen Reihen einstecken müssen. Und auf der anderen Seite: Man muss die Sonde wohl etwas tiefer ansetzen und fragen, was sind eigentlich die Gründe für die latente fast Agonie der Freien Demokratischen Partei. Es ist ein gängiges Erklärungsmuster in der Wahlforschung, dass sich Wähler bei Wahlen von drei Motiven leiten lassen: Einmal, wer vertritt die Partei als Person, was kann die Partei an Kompetenzen, an Lösungsfähigkeit in wichtigen Politikfeldern vorweisen, und drittens, wie ist es um die längerfristige Parteibindung bestellt. Und wenn man alle drei erklärenden Faktoren nimmt, so schneidet die FDP derzeit bei allen diesen Faktoren schlecht ab. Philipp Rösler rangiert bei der Skala der Politikerzufriedenheit ganz weit unten. Schaut man sich die Parteikompetenzen an, so sieht man, dass die im Gleichklang mit den demoskopischen Daten unterhalb der Fünfprozentschwelle rangieren. Also etwa nur noch vier Prozent der Bundesbürger mögen der FDP die Kompetenz, für ein gerechtes Steuersystem einzutreten, zubilligen. Und was die Parteibindung betrifft, so wissen wir aus der Dezember-Umfrage von Infratest dimap, dass nur 25 Prozent der FDP-Wähler der Bundestagswahlen von 2009 mit der Arbeit der damals von ihnen gewählten Partei zufrieden sind. Und das sind die Rahmendaten, die den anhaltend schlechten Zustand der FDP erklären.
Dobovisek: Wenn denn die Themen einer dieser drei wichtigen Grundpfeiler – so nenne ich das jetzt einmal – sind, warum schafft es die FDP nicht, aus dieser Selbstbeschäftigung herauszubrechen und sich tatsächlich endlich vor der Bundestagswahl mit diesen Themen zu beschäftigen?
Holtmann: Das hängt auch damit zusammen, dass diese Themen ja nicht isoliert, dass die drei Faktoren nicht isoliert für sich nur betrachtet werden können, sondern Person heißt ja nicht nur, da ist jemand, den ich sympathisch finde, sondern der auch für bestimmte, mit der Partei identifizierbare Sachthemen dann entsprechend überzeugend stehen kann. Und wenn wir das gestrige Beispiel nehmen: Philipp Rösler hat sich bemüht, die Freiheit als das Leitthema der FDP erneut zu kommunizieren, aber er hat es im Grunde genommen, wenn ich es recht sehe, nicht mit bestimmten, für große Teile der Bevölkerung ja als bedeutsam anerkannten Problemlagen zu verbinden, überzeugend zu verbinden geschafft.
Dobovisek: Hat Rösler inzwischen aufgegeben?
Holtmann: Schwer zu sagen. Er machte jedenfalls gestern, soweit man ihn in öffentlichen Mediensituationen gesehen hat, doch einen fast resignierten Eindruck, und ich denke, er weiß auch genau, dass er eigentlich ein sehr überzeugendes Wahlergebnis am 20. Januar in Niedersachsen vorlegen muss, um das Amt des Bundesvorsitzenden der Partei weiter zu behaupten.
Dobovisek: Lange galt ja Christian Lindner als aussichtsreiches Zugpferd seiner Partei, bis er sich nach Nordrhein-Westfalen zurückzog. Wird es für ihn möglicherweise vor der Bundestagswahl ein Berliner Comeback geben?
Holtmann: Da bin ich sehr zurückhaltend. Ich glaube das eher nicht, denn Christian Lindner weiß ja sehr wohl, die Erinnerung an seinen eher überstürzten Rückzug aus den Ämtern in der Bundespartei, die ist ja noch nicht völlig verblasst. Und auf der anderen Seite: Der Erfolg der FDP in Nordrhein-Westfalen bei den vergangenen Landtagswahlen ist in einem nicht unwesentlichen Maße auch auf die Person Lindner zurückzuführen. Er hat damals sehr deutlich gesagt, mein Platz ist jetzt zuerst in Nordrhein-Westfalen. Da steht er auch in gewisser Weise im Wort. Und von daher denke ich, dass Lindner zunächst einmal eher in eine abwartende Position innerhalb der Bundespartei gehen wird.
Dobovisek: Der Politikwissenschaftler Everhard Holtmann über die FDP nach ihrem Dreikönigstreffen gestern. Ich danke Ihnen, Herr Holtmann.
Holtmann: Bitte sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Everhard Holtmann: Schönen guten Tag, Herr Dobovisek!
Dobovisek: Personaldebatte und Personalentscheidung in der FDP ist also zunächst einmal vertagt – ein Fehler?
Holtmann: Ich denke, dass das Ausdruck des Schwebezustandes der derzeitigen FDP ist. Man hätte ja keinen Vorsitzendensturz jetzt beim Dreikönigstag inszenieren können, das wäre ein fatales Signal in Bezug auf den anstehenden Wahlgang bei der Niedersachsenwahl in 14 Tagen gewesen. Auf der anderen Seite: aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Viele gehen nicht ohne Grund davon aus, dass, sollte die FDP bei den Niedersachsen-Wahlen den Sprung in den Landtag nicht oder nur ganz knapp wieder schaffen, dass dann in der Tat die Tage des Bundesvorsitzenden gezählt sind.
Dobovisek: Schlägt denn damit Dirk Niebel mit seiner Partei- und Rösler-Kritik über die Strenge, oder ist er der einzige, der vor der Niedersachsen-Wahl ehrlich ist?
Holtmann: Ich denke, man muss auf der einen Seite oder man kann Stilfragen debattieren, und da hat Dirk Niebel ja auch entsprechend Kritik auch aus den eigenen Reihen einstecken müssen. Und auf der anderen Seite: Man muss die Sonde wohl etwas tiefer ansetzen und fragen, was sind eigentlich die Gründe für die latente fast Agonie der Freien Demokratischen Partei. Es ist ein gängiges Erklärungsmuster in der Wahlforschung, dass sich Wähler bei Wahlen von drei Motiven leiten lassen: Einmal, wer vertritt die Partei als Person, was kann die Partei an Kompetenzen, an Lösungsfähigkeit in wichtigen Politikfeldern vorweisen, und drittens, wie ist es um die längerfristige Parteibindung bestellt. Und wenn man alle drei erklärenden Faktoren nimmt, so schneidet die FDP derzeit bei allen diesen Faktoren schlecht ab. Philipp Rösler rangiert bei der Skala der Politikerzufriedenheit ganz weit unten. Schaut man sich die Parteikompetenzen an, so sieht man, dass die im Gleichklang mit den demoskopischen Daten unterhalb der Fünfprozentschwelle rangieren. Also etwa nur noch vier Prozent der Bundesbürger mögen der FDP die Kompetenz, für ein gerechtes Steuersystem einzutreten, zubilligen. Und was die Parteibindung betrifft, so wissen wir aus der Dezember-Umfrage von Infratest dimap, dass nur 25 Prozent der FDP-Wähler der Bundestagswahlen von 2009 mit der Arbeit der damals von ihnen gewählten Partei zufrieden sind. Und das sind die Rahmendaten, die den anhaltend schlechten Zustand der FDP erklären.
Dobovisek: Wenn denn die Themen einer dieser drei wichtigen Grundpfeiler – so nenne ich das jetzt einmal – sind, warum schafft es die FDP nicht, aus dieser Selbstbeschäftigung herauszubrechen und sich tatsächlich endlich vor der Bundestagswahl mit diesen Themen zu beschäftigen?
Holtmann: Das hängt auch damit zusammen, dass diese Themen ja nicht isoliert, dass die drei Faktoren nicht isoliert für sich nur betrachtet werden können, sondern Person heißt ja nicht nur, da ist jemand, den ich sympathisch finde, sondern der auch für bestimmte, mit der Partei identifizierbare Sachthemen dann entsprechend überzeugend stehen kann. Und wenn wir das gestrige Beispiel nehmen: Philipp Rösler hat sich bemüht, die Freiheit als das Leitthema der FDP erneut zu kommunizieren, aber er hat es im Grunde genommen, wenn ich es recht sehe, nicht mit bestimmten, für große Teile der Bevölkerung ja als bedeutsam anerkannten Problemlagen zu verbinden, überzeugend zu verbinden geschafft.
Dobovisek: Hat Rösler inzwischen aufgegeben?
Holtmann: Schwer zu sagen. Er machte jedenfalls gestern, soweit man ihn in öffentlichen Mediensituationen gesehen hat, doch einen fast resignierten Eindruck, und ich denke, er weiß auch genau, dass er eigentlich ein sehr überzeugendes Wahlergebnis am 20. Januar in Niedersachsen vorlegen muss, um das Amt des Bundesvorsitzenden der Partei weiter zu behaupten.
Dobovisek: Lange galt ja Christian Lindner als aussichtsreiches Zugpferd seiner Partei, bis er sich nach Nordrhein-Westfalen zurückzog. Wird es für ihn möglicherweise vor der Bundestagswahl ein Berliner Comeback geben?
Holtmann: Da bin ich sehr zurückhaltend. Ich glaube das eher nicht, denn Christian Lindner weiß ja sehr wohl, die Erinnerung an seinen eher überstürzten Rückzug aus den Ämtern in der Bundespartei, die ist ja noch nicht völlig verblasst. Und auf der anderen Seite: Der Erfolg der FDP in Nordrhein-Westfalen bei den vergangenen Landtagswahlen ist in einem nicht unwesentlichen Maße auch auf die Person Lindner zurückzuführen. Er hat damals sehr deutlich gesagt, mein Platz ist jetzt zuerst in Nordrhein-Westfalen. Da steht er auch in gewisser Weise im Wort. Und von daher denke ich, dass Lindner zunächst einmal eher in eine abwartende Position innerhalb der Bundespartei gehen wird.
Dobovisek: Der Politikwissenschaftler Everhard Holtmann über die FDP nach ihrem Dreikönigstreffen gestern. Ich danke Ihnen, Herr Holtmann.
Holtmann: Bitte sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.