Freunde treffen, zur Arbeit fahren oder rausgehen – das ist zurzeit nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich. Seit dem 22. März 2020 gilt in Deutschland ein umfassendes Kontaktverbot, auch Ausgangsbeschränkungen gelten. Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Regierungschefs der Bundesländer hatten die Maßnahme beschlossen - dazu geraten hatten vor allem Virologen.
In den meisten Bundesländern dürfen nur noch maximal zwei Personen gemeinsam in der Öffentlichkeit unterwegs sein. Zudem müssen die Menschen, die nicht gemeinsam unterwegs sind, einen Mindestabstand von mindestens 1,5 Metern einhalten. Die "soziale Distanzierung" soll dazu beitragen, die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen.
Wissenschaft
"Abwarten und lernen" sei derzeit in der Wissenschaft die Devise, so Dlf-Wissenschaftsredakteur Volkart Wildermuth. Es gehe darum, das Infektionsgeschehen so zu steuern, dass es immer nur so viel Schwerkranke gibt, wie das Gesundheitssystem bewältigen kann.
Der Ausbruch des Coronavirus sei nicht mehr einzudämmen, sondern nur noch zu verlangsamen, sagte der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit im Dlf. Es handele sich um eine "stille Pandemie": Das Virus breitet sich weltweit aus, wird aber erst bemerkt, wenn schwere Erkrankungsfälle auftreten.
Der Virologe Alexander Kekulé kritisierte im Dlf die aus seiner Sicht zu gemächliche Reaktion der Politik. Gesundheitsminister Jens Spahn habe den Ernst der Lage nicht früh genug erkannt.
Man stünde noch am Anfang der Pandemie und dürfe das Coronavirus nicht unterschätzen, sagte Lothar Wieler, der Präsident des Robert Koch-Instituts, im Dlf.
Politik
Die Frage ist nun, wie lange die Politik die aktuellen Ausgangsbeschränkungen aufrechterhalten soll. Seit dem 20. April sind in Deutschland die ersten Lockerungen der Anti-Corona-Maßnahmen in Kraft, unter anderem dürfen bestimmte Geschäfte wieder öffnen. Die Diskussionen um weitere Lockerungen werden bereits lauter. Kein Verständnis dafür hat SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach.
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet plädierte dagegen im Deutschlandfunk für eine gesunde Abwägung zwischen des Risikos einer Infektion und der gesellschaftlichen Schäden, die angerichtet werden, wenn man alles geschlossen halte.
Auswirkungen auf die Grundrechte
Mit den Kontaktverboten - aber auch mit anderen Maßnahmen gegen das Coronavirus wie Versammlungsverboten - begrenzt der Staat Grundrechte. So massive Einschränkungen wie derzeit seien etwas komplett Neues, sagte die Staatsrechtlerin Sophie Schönberger im Dlf. Auch die Auswertung von Smartphonedaten, um das Einhalten der Kontaktverbote zu überprüfen, wird im Hinblick auf die Grundrechte kritisch diskutiert.
Stephan Mayer (CSU), Staatssekretär im Bundesinnenministerium, sagte im Dlf: Es sei sinnvoll, wenn die Bewegungsprofile von Kontaktpersonen von Infizierten besser nachverfolgt werden könnten. Dies könne mit Apps auf freiwilliger Basis geschehen. Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber (SPD) plädierte für eine ausschließlich freiwillige Lösung - sonst würden Grundrechte über den Haufen geworfen werden, so Kelber gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Verfassungsrechtler Hans Michael Heinig forderte im Dlf, bei der Lockerung der Coronavirus-Einschränkungen grundrechtliche Vorgaben zu berücksichtigen. In dem Moment, wo eine Herrenboutique wieder öffnen dürfe, sei es schwer darstellbar, dass keine Gottesdienste stattfinden könnten.
Auswirkungen auf den Alltag
Kaum noch Freunde treffen, viel Zeit alleine, mit Partner, Mitbewohnern oder Familie verbringen - die Einschnitte in den Alltag der Bürgerinnen und Bürger durch die Kontaktverbote sind gravierend.
Die große Mehrheit der Bevölkerung vermeide unnötigen Kontakt, so das Resümee der Bundeskanzlerin rund einer Woche nach Einführung der Maßnahmen in einem auf der Internetseite der Bundesregierung veröffentlichten Podcast.
Doch die Situation ist dennoch angespannt. Holger Lengfeld, Soziologe an der Universität Leipzig, sagte im Dlf, dass sich die Menschen in einer absolut paradoxen Situation befinden: Sie sollen zusammenstehen, ohne zusammenzustehen, also ohne sich nahezukommen. Das sei gegen jede Intuition.
Die Ausnahmesituation in der Coronakrise ist auch für Familien eine besondere Herausforderung. Keine Schule, keine Kita, und dann noch von Zuhause arbeiten – der Lockdown in der Coronakrise stellt das Leben von Familien auf den Kopf. Viele Eltern müssen ihre Kinder zu Hause betreuen, sie unterrichten und gleichzeitig im Homeoffice arbeiten.
Insgesamt sinke die Zustimmung für die Corona-Maßnahmen, zu diesem Zwischenergebnis kommen mehrere sozialwissenschaftliche Studien. Der Soziologe Armin Nassehi erklärte allerdings im Dlf, warum eine zu frühe Rückkehr zur Normalität dennoch schwierig werden könnte.
Die Beschränkungen wegen des Coronavirus verstärken zudem gravierende Probleme. So sei die Zahl der Fälle häuslicher Gewalt europaweit gestiegen, so Europarats-Generalsekretärin Marija Pejčinović Burić gegenüber der dpa. Die eigenen vier Wände: sie können Traum sein - oder Albtraum.
Während die physischen Kontakte begrenzt sind, werden immer mehr Aktivitäten ins Internet verlagert. Doch können Skype-Konferenzen, WhatsApp-Chats und Streamings von Konzerten oder Lesungen ersetzen, was uns allen jetzt fehlt – nämlich wirklicher Kontakt? Dlf-Redakteurin Felicitas Boeselager hat sich mit dieser Frage befasst.
Nicht nur in Deutschland, auch in vielen anderen Ländern gelten zur Zeit Ausgangsbeschränkungen mit teils strengeren Maßnahmen.
In Italien etwa, wo das Virus sich besonders schnell ausbreitete, gelten strikte Ausgangssperren. Diese seien der einzige Weg, dessen Ausbreitung zu bekämpfen, sagte die italienische Politikerin Laura Garavini im Dlf.
Auch in Spanien hat die Regierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez aufgrund der hohen Infektionsrate eine landesweite Ausgangssperre verhängt. Das öffentliche Leben steht still, die Wirtschaft ist erneut stark unter Druck. Das Land im Süden Europas hofft in der Coronakrise auf die Unterstützung der EU-Länder.
Die konservative Regierung Großbritanniens hat nur zögerlich auf das Coronavirus reagiert. Inzwischen steht das öffentliche Leben im Land weitgehend still, aber die Fallzahlen steigen weiter. Und das nationale Gesundheitssystem steht kurz vor dem Zusammenbruch.
(Redaktion: Isabelle Klein, Olivia Gerstenberger)