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Ausgangssperre in Frankreich
Flüchtlinge und Obdachlose von Versorgung abgeschnitten

In Frankreich schlagen Hilfsorganisationen Alarm: Asylbewerber und Migranten in Notlagern sowie Obdachlose sind besonders von der Corona-Pandemie bedroht. Versorgung und Hygienebedingungen werden wegen der Ausgangssperre noch schlechter. Ein Lager in Paris wird jetzt aufgelöst.

Von Bettina Kaps |
Agathe Nadimi kümmert sich um unbegleitete minderjährige Ausländer, die in Paris auf der Straße leben müssen. Sie unterstützt auch den 15-jährigen Thierno aus Guinea.
Agathe Nadimi kümmert sich um unbegleitete minderjährige Ausländer, die in Paris auf der Straße leben müssen. Sie unterstützt auch den 15-jährigen Thierno aus Guinea. (Deutschlandradio / Bettina Kaps)
Agathe Nadimi kümmert sich ehrenamtlich um unbegleitete minderjährige Ausländer, die in Paris auf der Straße leben. Die 41-Jährige ist Dozentin für Betriebswirtschaft. Sooft sie ihre Arbeit im Homeoffice unterbrechen kann, guckt sie in ihre private Mailbox. Aber die Antwort, die sie verzweifelt erwartet, bleibt aus.
"Ich fühle mich total allein gelassen. Seit Sonntagabend schicke ich nun schon E-Mails an das Pariser Rathaus und frage: Was sollen wir den Jugendlichen sagen? Wo können wir sie hinschicken?"
Etwa 150 ausländische Jungen und einige Mädchen sind derzeit in Paris auf sich allein gestellt. Alle wollen als Minderjährige anerkannt werden. Diese Prozedur kann Monate, manchmal sogar ein Jahr lang dauern. In der Wartezeit fühlt sich von offizieller Seite niemand für sie zuständig.
Jugendliche werden ehrenamtlich versorgt
Vor vier Jahren hat Agathe Nadimi daher ein Kollektiv ins Leben gerufen, das hilft. Mehrmals pro Woche bauen sie und ihre Mitstreiterinnen – es sind vor allem Frauen - eine Suppenküche im Freien auf.
"Letztes Wochenende habe ich in einem Park Seife und Essen ausgeteilt. Das werden wir auch an diesem Wochenende tun, trotz der Ausgangssperre. Die Jugendlichen müssen doch essen."
Mit großem Einsatz bemühen sich Agathe Nadimi und ihre Freunde auch, die Jugendlichen zu beherbergen. Kürzlich haben sie eine Gruppenunterkunft für zehn Jungen aufgetrieben. Nadimi und weitere Helfer mussten dort reihum mit ihren Schützlingen übernachten. Das enge Zusammenleben ist ihnen jetzt aber zu riskant.
"Am Montag habe ich beschlossen, das zu beenden. Gemeinsam mit anderen Kollektiven haben wir diese und weitere Jungen anschließend in Hotels untergebracht. Wir haben für insgesamt 30 Jugendliche Zimmer gesucht und gemietet - das zahlen wir alles aus eigener Tasche. Deshalb appelliere ich ans Rathaus: Es ist Ausgangssperre - helft uns bitte. Aber niemand antwortet."
Eine Zeltstadt am Ufer der Seine in Paris. Asylbewerber und Migranten in Paris sind oft gezwungen, in Zelten zu leben, weil der Staat zu wenige Heimplätze bereit stellt.
Asylbewerber und Migranten in Paris sind oft gezwungen, in Zelten zu leben, weil der Staat zu wenige Heimplätze bereit stellt. (Deutschlandradio / Bettina Kaps)
Erstes Zeltlager wird aufgelöst
Mehr Gehört als die kleine Bürgerinitiative findet die Ärztehilfsorganisation "Médecins du Monde". Der Verein kümmert sich um Menschen in Elendsquartieren. Am Rand von Paris leben derzeit etwa 500 Flüchtlinge und Migranten in einfachen Zelten. In Calais und weiteren Städten am Ärmelkanal harren ebenfalls mehrere hundert Ausländer im Freien aus, sagt Einsatzleiter Yannick Le Bihan.
"Die Lebensbedingungen in den Lagern sind schon zu normalen Zeiten schlecht. Jetzt ist es noch schlimmer: Ohne Wasser und Toiletten können die Bewohner keine Hygienevorschriften einhalten. Falls der Virus dort auftaucht, wird er sich rasant ausbreitet."
Der Alarmschrei der Hilfsorganisation hat dazu geführt, dass der französische Staat zumindest das Lager im Norden von Paris in Kürze auflösen und die Menschen in Sporthallen unterbringen will.
Menschen in Abschiebezentren leben miteinander auf engstem Raum
Staatliche Hilfe ist auch deshalb dringend nötig, weil viele Hilfsorganisationen ausgerechnet jetzt nicht mehr voll einsatzfähig sind. Denn dort sind viele Rentner aktiv. Für sie ist das Corona-Risiko besonders groß, deshalb werden sie nun zurück gestellt. Jüngere Mitarbeiter müssen aber auch oft zuhause bleiben, um ihre Kinder zu hüten. Für alle Ausländer, die nicht beherbergt werden, sind die Folgen fatal.
"Die Ausgabe von Lebensmitteln ist schon stark zurück gegangen. Die Lage wird täglich schlechter. Wenn wir nicht rasch Lösungen finden, um die Verpflegung zu gewährleisten, wird es sehr problematisch."
Die Hilfsorganisation Cimade schlägt ebenfalls Alarm. Ihre Mitarbeiter betreuen so genannte illegale Ausländer, die in Abschiebezentren eingesperrt sind: Derzeit etwa 900 Frauen und Männer. Sie sind jeweils auf engstem Raum gefangen. Die Grenzen ihrer Herkunftsländer sind allerdings praktisch alle dicht. Der Verein fordert die französische Regierung daher auf, die Zentren umgehend zu schließen und die Menschen frei zu lassen. Bislang ohne Erfolg.