"Das Todesurteil / das ihr über mich verhängtet / war / da ich ihm entging / für mich der Urteilsspruch / zu einem neuen Leben."
So lässt Peter Weiss seine Dante-Figur im 30. Gesang seines Stückes "Inferno" sprechen und benennt damit den Einschnitt, den sein Leben - und das Leben des Dichters der "Göttlichen Komödie" - gemeinsam haben. Jahrzehntelang beschäftigte sich der jüdische Emigrant Weiss mit Dante, der aus seiner Vaterstadt Florenz verbannt und zum Tode verurteilt wurde: ausgegrenzt, fremd und zum Leben eines Anderen verdammt.
Peter Weiss kam immer nur besuchsweise aus seinem schwedischen Exil zurück in ein Deutschland, in dem die Menschen, noch während sie die im Zweiten Weltkrieg zerstörten Städte wiederaufbauten, neue Waffen entwickelten. Im Deutschland der Wiederaufrüstung registrierte er Zeichen von Niedertracht und Gewalt. Und mitten im Wirtschaftswunderaufschwung spürte er eine um sich greifende Verhärtung und den drohenden Grundton des Autoritären: im öffentlichen und privaten Bereich.
"Inferno ist das Deutschland von heute", notierte er 1964 in seinem Arbeitsschema für das Stück, das erst vor fünf Jahren aus dem Nachlass veröffentlicht und nun in Karlsruhe als Schauspiel uraufgeführt wurde. Geplant war "Inferno" als der erste Teil einer Dramen-Trilogie über den Kapitalismus. Doch Weiss veränderte mehrfach das Konzept, und schließlich kam nur der dritte, den Opfern gewidmete Teil als "Die Ermittlung" auf die Bühnen.
Die Dante-Arbeiten fanden schließlich Eingang in die "Ästhetik des Widerstands". Prosa statt Drama. Inferno als Deutschland von heute – hier wollte auch Uraufführungsregisseur Thomas Krupa zu Beginn des Jahres 2008 ansetzen: Immer wieder wird das Theaterpublikum direkt angesprochen. Offenbar soll die Show in einem - freilich diffus bleibenden - Hier und Jetzt stattfinden. Doch es driften weitere Zeitebenen ins Spiel und gehen leider unscharf ineinander über: die 60er Jahre, die Judenverfolgung, die Dantezeit, die Antike.
Die Aufführung gibt Einblick in einen noch nicht abgeschlossenen Probenprozess. Die Herren am Regietisch, rechts auf der Spielfläche, besprechen - mit kompetentem Gestus angeführt von Vergil - wie die Innenwelt, der Bewusstseinsprozess der Dante-Figur, zum Ausdruck gebracht werden könnte. Sie geben den maskierten Chorfiguren den Einsatz, setzen ein Spiel im Spiel in Gang oder beenden es. Videoprojektionen suggerieren weitere Schauplätze, Hinteransichten und Seelenlandschaften.
Dante wird beschimpft, gepeinigt, ausgezogen, wieder in den Anzug gestopft, windet sich in Krämpfen, erstarrt, rennt raus – und bleibt weitgehend stumm. Während die Meute der Angepassten tanzt, trinkt, sich zu Sprechchören gruppiert und ihre Spielchen mit ihm treibt. Maskiert als wilde Tiere oder kahlköpfige Unholde, aalglatt im Gesellschaftsanzug oder provokant "oben ohne". Partytime.
Nicht von Gott bestrafte Sünder treiben in dieser Hölle ihr Unwesen, sondern zynische Opportunisten, Mitläufer und Entscheidungsträger der NS-Diktatur und jedes anderen Regimes – mit Peter Weiss Worten: "Die Mörder von damals an Schaltwerken der modernen Wirtschaft, Industrie, Kultur".
In Karlsruhe fehlt ihnen leider der Biss. Dante erscheint als eine Art tumber Tor. Und die schnieken Typen sind von der Stange, die Maskierten eignen sich allenfalls als Kinderschreck. Keine Spur von den Abgründigkeiten der Macht und einer Anatomie der Gemeinheit – nur manchmal sind sie angestrengt vulgär.
Peter Weiss hat das Stück in der vorliegenden Form offenbar nicht für tragfähig gehalten, sonst hätte der Autor des "Marat" und der "Ermittlung" wohl schon in den 60er und 70er Jahren einen Uraufführungsort gefunden. Die Karlsruher Theatermacher haben dem Stücktext wohl auch nicht getraut und es aufgepeppt und angereichert mit Auszügen aus Prosaskizzen zu Weiss’ Dante-Projekt. Der Aufführung ist das nicht bekommen. Statt schnell wechselnder, aussagekräftiger Konstellationen und genau erspielter Situationen: viel allgemein bleibendes Reden über die Hölle der Heimkehr, die Schuld des Überlebens, das Selbstverständnis des Künstlers, seine Ohnmacht und die Möglichkeiten der Sprache.
Dieses Theater bleibt flach und scheppernd und kratzt nicht mal an der Oberfläche des zweifellos schwierigen Werkes. Keine Spur von einer in die Tiefenschichten gesellschaftlicher Prozesse einschneidenden Ästhetik: der Demaskierung des politischen Märtyrers, einer Rückkehr ohne Heimat und einer Demokratie ohne Bürger, wie sie Peter Weiss vorschwebte.
So lässt Peter Weiss seine Dante-Figur im 30. Gesang seines Stückes "Inferno" sprechen und benennt damit den Einschnitt, den sein Leben - und das Leben des Dichters der "Göttlichen Komödie" - gemeinsam haben. Jahrzehntelang beschäftigte sich der jüdische Emigrant Weiss mit Dante, der aus seiner Vaterstadt Florenz verbannt und zum Tode verurteilt wurde: ausgegrenzt, fremd und zum Leben eines Anderen verdammt.
Peter Weiss kam immer nur besuchsweise aus seinem schwedischen Exil zurück in ein Deutschland, in dem die Menschen, noch während sie die im Zweiten Weltkrieg zerstörten Städte wiederaufbauten, neue Waffen entwickelten. Im Deutschland der Wiederaufrüstung registrierte er Zeichen von Niedertracht und Gewalt. Und mitten im Wirtschaftswunderaufschwung spürte er eine um sich greifende Verhärtung und den drohenden Grundton des Autoritären: im öffentlichen und privaten Bereich.
"Inferno ist das Deutschland von heute", notierte er 1964 in seinem Arbeitsschema für das Stück, das erst vor fünf Jahren aus dem Nachlass veröffentlicht und nun in Karlsruhe als Schauspiel uraufgeführt wurde. Geplant war "Inferno" als der erste Teil einer Dramen-Trilogie über den Kapitalismus. Doch Weiss veränderte mehrfach das Konzept, und schließlich kam nur der dritte, den Opfern gewidmete Teil als "Die Ermittlung" auf die Bühnen.
Die Dante-Arbeiten fanden schließlich Eingang in die "Ästhetik des Widerstands". Prosa statt Drama. Inferno als Deutschland von heute – hier wollte auch Uraufführungsregisseur Thomas Krupa zu Beginn des Jahres 2008 ansetzen: Immer wieder wird das Theaterpublikum direkt angesprochen. Offenbar soll die Show in einem - freilich diffus bleibenden - Hier und Jetzt stattfinden. Doch es driften weitere Zeitebenen ins Spiel und gehen leider unscharf ineinander über: die 60er Jahre, die Judenverfolgung, die Dantezeit, die Antike.
Die Aufführung gibt Einblick in einen noch nicht abgeschlossenen Probenprozess. Die Herren am Regietisch, rechts auf der Spielfläche, besprechen - mit kompetentem Gestus angeführt von Vergil - wie die Innenwelt, der Bewusstseinsprozess der Dante-Figur, zum Ausdruck gebracht werden könnte. Sie geben den maskierten Chorfiguren den Einsatz, setzen ein Spiel im Spiel in Gang oder beenden es. Videoprojektionen suggerieren weitere Schauplätze, Hinteransichten und Seelenlandschaften.
Dante wird beschimpft, gepeinigt, ausgezogen, wieder in den Anzug gestopft, windet sich in Krämpfen, erstarrt, rennt raus – und bleibt weitgehend stumm. Während die Meute der Angepassten tanzt, trinkt, sich zu Sprechchören gruppiert und ihre Spielchen mit ihm treibt. Maskiert als wilde Tiere oder kahlköpfige Unholde, aalglatt im Gesellschaftsanzug oder provokant "oben ohne". Partytime.
Nicht von Gott bestrafte Sünder treiben in dieser Hölle ihr Unwesen, sondern zynische Opportunisten, Mitläufer und Entscheidungsträger der NS-Diktatur und jedes anderen Regimes – mit Peter Weiss Worten: "Die Mörder von damals an Schaltwerken der modernen Wirtschaft, Industrie, Kultur".
In Karlsruhe fehlt ihnen leider der Biss. Dante erscheint als eine Art tumber Tor. Und die schnieken Typen sind von der Stange, die Maskierten eignen sich allenfalls als Kinderschreck. Keine Spur von den Abgründigkeiten der Macht und einer Anatomie der Gemeinheit – nur manchmal sind sie angestrengt vulgär.
Peter Weiss hat das Stück in der vorliegenden Form offenbar nicht für tragfähig gehalten, sonst hätte der Autor des "Marat" und der "Ermittlung" wohl schon in den 60er und 70er Jahren einen Uraufführungsort gefunden. Die Karlsruher Theatermacher haben dem Stücktext wohl auch nicht getraut und es aufgepeppt und angereichert mit Auszügen aus Prosaskizzen zu Weiss’ Dante-Projekt. Der Aufführung ist das nicht bekommen. Statt schnell wechselnder, aussagekräftiger Konstellationen und genau erspielter Situationen: viel allgemein bleibendes Reden über die Hölle der Heimkehr, die Schuld des Überlebens, das Selbstverständnis des Künstlers, seine Ohnmacht und die Möglichkeiten der Sprache.
Dieses Theater bleibt flach und scheppernd und kratzt nicht mal an der Oberfläche des zweifellos schwierigen Werkes. Keine Spur von einer in die Tiefenschichten gesellschaftlicher Prozesse einschneidenden Ästhetik: der Demaskierung des politischen Märtyrers, einer Rückkehr ohne Heimat und einer Demokratie ohne Bürger, wie sie Peter Weiss vorschwebte.