Archiv


"Ausgesprochen mutige Produktionen"

Matthias von Hartz, Leiter des Theaterfestivals "Impulse", lobt die Off-Theater-Szene für eine neu erwachende Innovationsfreude. Selbst Gruppen, die seit zehn Jahren in der Szene vertreten seien, zeigten in diesem Jahr bei dem nordrhein-westfälischen Theatertreffen "ausgesprochen mutige Produktionen".

    Karin Fischer: Das Theaterfestival "Impulse" ist das Theatertreffen des deutschsprachigen Off-Theaters, wobei der Begriff Off-Theater in den letzten Jahren immer wieder relativiert worden ist. Denn immer häufiger kooperiert die freie Szene auch mit dem Stadttheater. Und immer häufiger werden die innovativen Ansätze, für die die freie Szene mal berühmt wurde, vom Festivalbetrieb abgegriffen und so dem kulturellen Mainstream zugeführt. Die "Impulse" waren deshalb in den letzten Jahren eher ein Synonym für das junge als das wirklich freie Theater.

    Jetzt kehrt das Theatertreffen unter neuer Leitung offenbar wieder etwas zu den Wurzeln zurück: Es will frischer, internationaler und sozusagen impulsiver werden. Heute Abend geht es los.

    Im Studio ist Matthias von Hartz, der zusammen mit Tom Stromberg für die diesjährige Auswahl zuständig ist. Herr von Hartz, was ist für Sie ein markantes Charakteristikum der freien Szene derzeit?

    Matthias von Hartz: Ich glaube, es gibt mittlerweile so ein leicht aggressives Mit-dem-Bein-Wippen, weil es immer noch in der freien Szene schlechte Produktionsbedingungen gibt und sofort die Innovationen anschließend abgegriffen werden. Und ich glaube, diese Energie von "Wir können hier eigentlich was. Sagt nicht immer, wir sind die Kleinen", ist doch was, was sich langsam in der Szene breit macht.
    Fischer: Was haben Sie noch festgestellt bei Ihren Erkundungen für diese Auswahl?

    Hartz: Ich glaube, was man noch beobachten kann, ist Mut. Also wir haben selbst bei Gruppen, die seit zehn Jahren in der Szene unterwegs sind, die wir jetzt eingeladen haben, ausgesprochen mutige Produktionen gefunden. Also, dass eine Gruppe wie "Showcase Beat Le Mot", die immer postdramatisches Theater gemacht hat, versucht hat, ohne Handlung, ohne Plott auszukommen, jetzt ein Kindermärchen macht, ist für die ein mutiger Schritt und für uns ein Glücksfall, weil Räuber Hotzenplotz eine warnsinnig schöne Produktion ist.
    Fischer: Inwiefern schön?

    Hartz: Inwiefern schön? Es funktioniert einfach für Kinder und Erwachsene. Es ist schön, weil eine sehr schräge Erzählweise es trotzdem ermöglicht, eine Kindergeschichte zu erzählen und weil irgendwie Oskar Schlemmer und das Triadische Ballett sich mit dem eher leicht alkoholisierten Performancestil von "Showcase Beat Le Mot" getroffen haben, um ein Kinderstück zu erzählen.

    Fischer: "Showcase Beat Le Mot" ist ja nicht die einzige Gruppe, die sozusagen zu den alten Recken dieser Off-Szene gehört, "She She Pop" ist auch dabei. Was ist ästhetisch noch drin in dem Festival, die größtmögliche Bandbreite, oder haben Sie versucht, eine Linie zu setzen?

    Hartz: Also wir haben nie versucht, eine Linie zu setzen. Und ich glaube, die Linie, die jetzt zu erkennen ist, ist allenfalls die von intelligenten, lustigen Produktionen. Das Spektrum reicht ja nun wirklich von Puppentheater aus der Berliner öffentlichen Toilette bis zur Barockoper. Also das Spektrum ist größer, als wir es erwartet haben. Das war für uns eine andere, überraschende Sache. Es gibt wieder mehr Lust, ganz andere Dinge auszuprobieren, als sie vielleicht marktgängig werden oder als sie in den letzten Jahren üblich waren.

    Fischer: Was ist das nicht Marktgängige Ihrer Ansicht nach?

    Hartz: Eine Gruppe wie "God's Entertainment", die aus Wien kommt in den Bereichen bildende Kunst, Architektur und Polit-Performance im öffentlichen Raum genauso zu Hause ist, wie auf der Bühne, die produziert erst mal für keinen Markt. Sondern die produziert aus dem künstlerischen Kollektiv raus, das was die Leute eben gerade da machen wollen.

    Fischer: Wo liegen Ihre persönlichen Vorlieben? Haben Sie eine Lieblingsgruppe?

    Hartz: Ich habe nicht wirklich eine Lieblingsgruppe, aber ich habe eine Gruppe, die mich am meisten überrascht hat, das ist "Monstertruck", das sind junge Gießener Studenten, die ganz anders, als man es von den angewandten Theaterwissenschaften in Gießen erwartet, ein eher üppiges, barockes Bildertheater machen, was man in der freien Szene lange nicht gesehen hat, was man im Stadttheater auch eher nicht sieht, was man sogar international in der Szene selten gesehen hat in den letzten Jahren.

    Fischer: Sie haben also tatsächlich Neues entdeckt. Ich wollte noch mal aufs Grundsätzliche zu sprechen kommen. In den letzten Jahren ist, was das Stadttheater betrifft, immer wieder von einem Trend gesprochen worden und zwar von der Rückkehr des Dokumentartheaters, "Rimini Protokoll" zum Beispiel gehört da dazu. Haben Sie auf Ihren Reisen zum deutschsprachigen Off-Theater so was wie einen Trend entdeckt, und sei es auch diese Art neue Opulenz oder den Trend zum Geschichten-Erzählen?

    Hartz: Ich glaube, es gibt keinen Trend, der jetzt wirklich in der Ästhetik oder in dem Inhalt zu beschreiben wäre, aber es gibt einen Trend, wieder stärker in Gruppen zu arbeiten. Also der Großteil der Produktionen, die wir eingeladen haben, sind in Gruppen entstanden, sind aus Kollektiven entstanden, die mehr oder weniger unhierarchisch zusammenarbeiten. Es sind wenige einzelne Regisseure, die wir eingeladen haben, und das ist nicht irgendwie unsere Politik gewesen, sondern das hat sich auch so ergeben, dass die interessantesten Produktionen von Gruppen gekommen sind. Und das sind auch die Leute, das ist, glaube ich, kein Zufall, dass da auch welche dabei sind, die seit zehn Jahren in der Szene arbeiten, die sehr große Schwierigkeiten haben, in Deutschland irgendwie weiter zu wachsen, weil das Stadttheatersystem ja nicht in der Lage ist, Gruppen aufzunehmen, das kann nur mit Einzelregisseuren arbeiten.