"Oh, Verzeihung! Ich mache das schon aus Gewohnheit. Ich heiße Francis Tchiégué. Auf Chinesisch heiße ich Tchie-Gai."
Francis Tchiégué ist in China ziemlich bekannt und schon deshalb viel beschäftigt. An diesem Donnerstagabend hat er aber mal Zeit und kommt in das Schnellrestaurant eines Pekinger Einkaufszentrums. Tchiégué ist der von der chinesischen Regierung ernannte sino-afrikanische Kulturbotschafter. Wenn er nicht als Übersetzer für die Vertretungen afrikanischer Staaten arbeitet, reist er im Auftrag des chinesischen Hanban-Sprachinstituts um die Welt. Tchiégué trägt ein langes, glänzendes, chinesisches Hemd mit weiten Ärmeln. Das ist kein Zufall, denn Tchiégué liebt China:
"Wenn Du etwas liebst, dann geht es nicht mehr um Geld. Wenn Dir eine Sache wirklich am Herzen liegt, kannst Du sie ganz durchdringen."
Tchiégué kam vor zehn Jahren nach China. Damit habe sich ein Kindheitstraum erfüllt, sagt der 39-Jährige. Sein Vater hatte in Afrika Kung-Fu gelernt und Action-Filme mit Bruce Lee gesehen. Das weckte das Interesse des Sohns. Es war schließlich ein Stipendium der chinesischen Regierung, das ihn nach Peking brachte. Er kam, um Mathematik zu studieren, aber ohne ein Wort Mandarin zu sprechen und büffelte deshalb wie ein Verrückter. Heute singt er in der Freizeit chinesische Opern und ist häufig Gast in Fernseh-Talkshows. So wurde die chinesische Regierung auf ihn aufmerksam.
Wie viele Afrikaner in China leben, ist nicht genau bekannt, weil die Regierung keine Statistik über Ausländer veröffentlicht. Der führende Experte, Adams Bodomo an der Universität von Hongkong, schätzt jedoch, dass es bis zu 500.000 sein können. Die Afrikaner fallen in China auf, sie leben in den Großstädten und es kommen immer mehr nach China: vor allem Studenten und Händler. Allerdings ist das Leben nicht so einfach, wie es viele hoffen. Die westliche Welt ist Afrika viel näher als China: kulturell, sprachlich, geografisch und auch klimatisch.
Keine Finanzkrise in China
Mittagspause an der Internationalen Universität von Schanghai. Das graue, kalte Wetter macht Juma Salum ganz besonders zu schaffen. Er stammt aus Tansania. Jetzt sitzt er in der Mensa über einer Schale dampfender Hühnerbrühe und versucht, Nudeln und Fleisch heraus zu picken. Das Essen mit den Stäbchen klappt allerdings noch nicht so gut:
"Mich beeindruckt, wie hart die Chinesen arbeiten. Noch vor 30 Jahren hatte Europa von China nichts zu befürchten. Doch heute wächst China schneller als jedes andere Land in Europa. Hier gibt es keine Finanzkrise. Ich denke, wir können von China lernen."
Salum hat sein Studium in Politik gerade erst aufgenommen, er muss jetzt wie vorgeschrieben marxistische Theorien lesen. Der Stoff gefällt ihm, wie auch das chinesische Regierungssystem. Für viele afrikanische Staaten sei Demokratie noch nicht geeignet, dafür sei es noch zu früh, sagt er. Trotzdem hätte Salum lieber in Amerika studiert als in China, doch das konnte er sich nicht aussuchen.
China ist für viele afrikanische Studenten also nur zweite Wahl und trotzdem kommen sie. Die meisten stören sich nicht an der Politik, Mühe macht ihnen jedoch die Sprache. Die chinesische Regierung vergibt jedes Jahr tausende Vollstipendien an Afrikaner - um Talente zu fördern, die Afrika für seine Entwicklung brauche, so heißt es in Peking. Doch es ist auch ein Weg, den chinesischen Einfluss in Afrika zu vergrößern. Im vorletzten Jahr studierten laut Regierung 27.000 Afrikaner in China. Einige werden auf Englisch unterrichtet, doch selbst das sei schwierig, sagt dieser ugandische Student, der seinen Namen lieber nicht nennen will:
"Oft lesen die Professoren einfach nur eine Powerpoint-Präsentation ab. Im Anschluss kannst Du meist keine Fragen stellen. Sie könnten sie nicht beantworten, weil sie kein gutes Englisch sprechen, obwohl sie angesehene Professoren sind."
Afrikaner fühlen sich diskriminiert
Trotz dieser Hindernisse machen die afrikanischen Studenten in China wichtige Erfahrungen. Dennoch wollen die meisten nach ihrem Studium zurück nach Hause. Einerseits um ihrem Land zu helfen, andererseits weil es schwer ist, als Ausländer in China gut bezahlte Jobs zu bekommen oder eine Aufenthaltsgenehmigung, die länger gilt als ein Jahr. Das moderne China hat sich erst vor Kurzem geöffnet und befindet sich noch auf dem Weg zum Einwanderungsland. Ausländer spüren, dass sie Ausländer sind. Politisch und auch gesellschaftlich:
Guangzhou liegt im Südwesten Chinas. Es ist die drittgrößte Stadt und Heimat der größten afrikanischen Gemeinde: Aus vielen afrikanischen Ländern kommen Händler hierher, um alles mögliche einzukaufen - von Schuhen bis zu Ersatzteilen für Autos. Die meisten Afrikaner in Guangzhou wirken sehr verschlossen. Die chinesische Polizei führt regelmäßig Razzien und Passkontrollen durch. Sie sucht Afrikaner, die länger bleiben, als es ihr Visum vorsieht. Die Afrikaner fühlen sich davon diskriminiert. Auf der Straße, so erzählen sie, würden Chinesen sie oft anstarren und ihre schwarze Haut betatschen. In der U-Bahn setze man sich naserümpfend von ihnen weg. Ein paar Nigerianer haben chinesische Frauen geheiratet und Kinder mit ihnen. Doch diese Familien sind eine Ausnahme.
Fragt man die Chinesen hier, geben sich viele sehr offen. Ebenso viele wollen mit Afrikanern aber nichts zu tun haben.
Lin Biyun ist Chinesin und Schneiderin. Sie stellt traditionelle afrikanische Frauenkleider her, die sie in einem Handelszentrum an afrikanische Kunden verkauft. Sie selbst war noch nie in Afrika und sie hält auch nicht besonders viel von diesem Kontinent. Ihre Vorurteile sind bestärkt worden, als das chinesische Staatsfernsehen jüngst Bilder vom Genozid aus Ruanda zeigte:
"Es ist unglaublich, wie zurückgeblieben sie kulturell sind. Natürlich gibt es in Afrika wirtschaftlich Höhen und Tiefen. "
Es ist Nacht geworden in Peking. Francis Tchiégué hat fast vier Stunden erzählt. Diskriminierung komme überall vor, nicht nur in China. Man müsse offen sein, sagt er, alles hänge von der eigenen Einstellung ab. Tchiégué ist mit einer Russin verheiratet. Viele der Afrikaner in China interessieren sich aus seiner Sicht zu wenig für die chinesische Kultur und verpassen dabei vieles, Kunst, Philosophie, Sprichwörter oder etwa den Sinn für warmes Wasser, das man überall in China zum Essen trinkt.
"Am Anfang fiel es mir schwer, mich daran zu gewöhnen. Wir dachten, wie kann man so etwas bloß schlucken. Warmes Wasser? Doch mit der Zeit probierst Du öfter, und irgendwann fühlst Du dieses Wohlbehagen in Deinem Körper. Dann denkst Du, wie konnte ich bloß so lange ohne das leben?"