Alanya ist wegen seines milden Klimas beliebt bei Europäern und insbesondere bei Deutschen, von denen sich rund 3.000 hier niedergelassen haben - so wie Annika B., die wegen einer chronischen Krankheit auf ärztlichen Rat nach Alanya kam. Seit sieben Jahren lebt sie nun hier, und weil es ihr hier gesundheitlich tatsächlich besser geht, kaufte sie sich im Frühjahr die Wohnung: "Das ist die, wo wir jetzt stehen. Ich war sofort fasziniert: Es ist eine Westseite, ich habe den Sonnenuntergang, ich sehe das Meer, ich habe Bäume vor meinem Fenster. Fand ich alles toll. Ich habe dann meine Eigentumsurkunde bekommen, das war am 1.6.2022. Ich war einen Monat lang glücklich, und am 1.7., genau einen Monat später, traf mich der Schock am frühen Morgen. Da las ich meine Nachrichten, und da stand: 'Zuzugsstopp für Ausländer in Avsallar und in weiteren drei Gebieten von Alanya.' Ich habe dann sofort bei der Ausländerbehörde angerufen, und die haben gesagt: Ja, kein Ausländer darf mehr nach Avsallar ziehen, auch nicht, wenn Sie dort eine Wohnung gekauft haben. Da brach natürlich für mich eine Welt zusammen."
Der Zuzugsstopp zielt auf die ausländerreichsten Städte ab
In der 16-Millionen-Metropole Istanbul lebten rund 550.000 Syrer mit Abschiebeschutz, rechnete der Minister kürzlich vor, und 715.000 weitere Ausländer mit Aufenthaltserlaubnis: Studenten, Familienangehörige türkischer Staatsbürger, Diplomaten und Angestellte türkischer oder ausländischer Unternehmen in der Türkei. Insgesamt hat die Stadt Istanbul damit fast so viele Ausländer wie die Stadt München Einwohner, und die Flüchtlinge machen davon nur den kleineren Teil aus. Auch landesweit verzeichnete die Türkei im vergangenen Jahr einen neuen Rekord an ausländischen Einwohnern. Innenminister Soylu präsentierte die Zahlen kürzlich der Öffentlichkeit: "Ich lege diese Zahlen vor, weil zu dem Thema viele Falschinformation verbreitet werden, die bis zur Aufstachelung zur Ausländerfeindlichkeit gehen. In der Türkei leben derzeit 3,6 Millionen Syrer unter Abschiebeschutz und weitere 1,4 Millionen Ausländer mit Aufenthaltserlaubnis, außerdem 300.000 Flüchtlinge aus verschiedenen anderen Ländern. Es sind also nicht zehn Millionen Ausländer im Land, nicht 15 Millionen, nicht 20 Millionen und auch nicht 25 Millionen, wie das behauptet wird. Da sind viele Lügen im Umlauf."
Eine neue Protestpartei punktet mit Ausländerfeindlichkeit
Umfragen zufolge ist die Ausländerfrage für die Wähler neben der Wirtschaftskrise das dringendste Thema bei den Wahlen zu Parlament und Präsidentenamt, die im Frühjahr stattfinden sollen. Die Opposition verspricht, alle Geflüchteten heimzuschicken, wenn sie an die Macht komme, und Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan stellt Gespräche mit dem syrischen Regime über die Rückführung der Geflüchteten in Aussicht.
Mehrfach hat es in Istanbul, Ankara und anderen Großstädten schon Unruhen und Krawalle gegeben, die sich gegen syrische Geflüchtete richteten. Angesichts von Wirtschaftskrise, Inflation und Arbeitslosigkeit fürchten viele Türken die Syrer als Konkurrenten im Kampf um Arbeitsplätze und machen sie für den Druck auf die Löhne verantwortlich, weil sie notgedrungen oft schwarz arbeiten. Auch in Alanya ist der Unmut groß, wie dieser junge Mann in einer Straßenumfrage des Lokalsenders Dim-TV sagt: "Wir werden im eigenen Land zu Fremden, zu Bürgern zweiter Klasse. Ja, wir sind ein großzügiges und gastfreundliches Land, aber wir müssen auch mal an unsere eigenen Leute denken. Unsere arbeitende Bevölkerung kann ihre eigenen Kinder kaum ernähren."
In Alanya leben nur wenige Syrer, die meisten Ausländer hier sind Russen, Ukrainer, Iraner und Iraker – und ihre Zahl ist seit Beginn des Kriegs in der Ukraine noch einmal dramatisch gestiegen. Die alteingesessenen Rentnerinnen und Rentner aus Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern sind nur noch eine Minderheit – und können sich noch keinen rechten Reim auf die neue Lage machen.
Alanya wird mit jedem Tag ausländischer. Syrer, Iraker, Russen und Skandinavier kaufen hier billige Wohnungen.
Immobilienkäufer aus dem Ausland stehen Schlange
Auch die Zahl der in Alanya angemeldeten Iraker und Iraner hat die der deutschen Gemeinde hier schon überrundet. Wer bei diesem Ansturm auf die Kleinstadt an der türkischen Riviera zu kurz komme, das seien die einheimischen Einwohner, klagt Özgür Erbas, der Vorsitzende der Maklervereinigung von Alanya: "Alanya wird mit jedem Tag ausländischer. Syrer, Iraker, Russen und Skandinavier kaufen hier billige Wohnungen. Im Zentrum von Alanya werden Wohnhäuser abgerissen und an ihrer Stelle neue Gebäude für die Ausländer gebaut. Die türkische Bevölkerung muss an den Stadtrand ausweichen. Das ist eine gefährliche Entwicklung, vor der wir die Behörden warnen wollen. Die einheimische Bevölkerung wird aus der Stadt gedrängt. Wir werden zu Außenseitern in unserer eigenen Stadt."
Auch einheimische Händler und Kulturschaffende würden durch die Mietenexplosion aus der Stadt verdrängt, sagt Erbas im Lokalsender Dim-TV. Der Tourismusmanager Hakan Halit Yeni sieht die wirtschaftliche Existenz von Alanya gefährdet: "Wie soll die arbeitende Bevölkerung hier Wohnraum mieten können? Das ist völlig unmöglich, denn die Mieten hier übersteigen die türkischen Löhne schon um ein Mehrfaches. Wir bekommen inzwischen kein Personal mehr nach Alanya, wir bekommen keine Arbeiter mehr – alle flüchten aus Alanya, weil man mit türkischem Einkommen hier nicht mehr leben kann. Der Staat muss hier einschreiten. Wir machen uns den Tourismus kaputt und verlieren alles, was wir hier aufgebaut haben, wenn nicht sofort etwas unternommen wird."
Alanya – für Lehrer mittlerweile oft zu teuer
Mehmet Sahin, damals Vorsitzender der Industrie- und Handelskammer von Alanya, schlug bei einer Vollversammlung der Kammer im Sommer auf den Tisch: "Beamte und Angestellte in Alanya beantragen derzeit alle die Versetzung nach anderswo, weil sie sich die völlig überzogenen Mieten nicht leisten können. Der Hauptgrund dafür ist, dass in Alanya 52.000 Ausländer angemeldet sind. Ja, sie sollen uns willkommen sein, aber wir müssen dafür Kriterien einführen, denn es nimmt einfach überhand. Natürlich stehen unsere Türen allen offen, wir sind schließlich Türken und gastfreundlich. Aber sie sollen bitteschön mit Drei-Monats-Visa kommen. Sie sollen hier nicht Wohnungen mieten und sich hier niederlassen. Das wollen wir einfach nicht mehr."
Das werde die Kammer bei der Regierung in Ankara einfordern, kündigte Sahin an: "Wir als Handelskammer haben jetzt Vorschläge erarbeitet, wie die Zahl ortsansässiger Ausländer auf 15.000 bis 20.000 Personen gesenkt werden kann. Die freiwerdenden Wohnungen werden unsere Beamten, unsere Arbeiter, das Volk von Alanya dann bezahlbar mieten können. Wir haben alle Pläne vorbereitet und gehen nach Ankara, um sie der Regierung zu unterbreiten."
Auch kritische Stimmen gegen den Zuzugsstopp
Hier sind massenhaft Wohnungen im Bau, die 2023 oder 2024 fertig werden sollten und in die viele Investoren ihr Geld gesteckt haben. Wegen des Zuzugsstopps haben viele Käufer in Panik zurückgezogen und den Kauf storniert. Das ist nicht nur für die Investoren schlecht, sondern auch für die einheimische Bevölkerung, denn tausende Menschen verdienen damit ihr Brot.
Diese Frage stellen sich auch andere in Alanya. Der Ansatz der Regierung sei nicht durchdacht, meint etwa die Immobilienberaterin Anjelika Chezhia im Lokalfernsehen: "Hier sind massenhaft Wohnungen im Bau, die 2023 oder 2024 fertig werden sollten und in die viele Investoren ihr Geld gesteckt haben. Wegen des Zuzugsstopps haben viele Käufer in Panik zurückgezogen und den Kauf storniert. Das ist nicht nur für die Investoren schlecht, sondern auch für die einheimische Bevölkerung, denn tausende Menschen verdienen damit ihr Brot. Das wird Alanya hart treffen. Das Baumaterial ist so teuer geworden, dass Türken sich keine Wohnungen kaufen können. Wenn die Ausländer auch nicht mehr kaufen, bricht alles zusammen. Tausende werden arbeitslos, das wird ein Chaos."
Statt eines pauschalen Zuzugsstopps für Ausländer in bestimmten Bezirken solle der Staat lieber materielle Kriterien anlegen, findet Erbas – und er würde die Latte deutlich höher anlegen, als die Handelskammer vorgeschlagen hat: "Ich denke, die Lösung sollte so aussehen: Wer wirklich Devisen ins Land bringt, wer teure Wohnungen kauft, der sollte die Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Also nicht Wohnungen für 60.000 oder 100.0000 Euro, sondern ab 200.000, 300.000, 400.000 Euro, damit wir auch etwas daran verdienen. Wer billiger kaufen will, wer zu Preisen wie unsere einheimische Bevölkerung kaufen will, der sollte keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Wozu auch? Diese Wohnungen kann unsere eigene Bevölkerung kaufen."
Weniger wohlhabende Ausländer wie Annika B. würden damit ausgesiebt, denn ihre Wohnung liegt preislich weit darunter – und auch unter der Grenze von 100.000 Dollar, die von der Handelskammer vorgeschlagen wird. Die deutsche Rentnerin ist verbittert: "Wir sind auch während Corona da gewesen und haben unser Geld hier weiterhin ausgegeben. Ja, da hat man uns natürlich gerne gesehen. Und plötzlich hat man das Gefühl, um es ganz klar zu sagen: 'Ausländer raus!' So fühlt sich das für mich an."
Annika B. könnte in Alanya bleiben, denn die türkische Regierung hat beim Zuzugsstopp nachgebessert und einen Bestandsschutz für Ausländer gewährt, die vor dem 1. Juli 2022 gekauft hatten. Die Rentnerin dürfte also in ihre Wohnung ziehen – weiß aber nicht, ob sie das überhaupt noch will. "Seit diesen Veränderungen, als dieser Niederlassungsstopp für Ausländer gekommen ist, seitdem fühle ich mich wirklich im Innersten tief verunsichert und weiß eigentlich überhaupt nicht: Besteht hier Rechtssicherheit? Kann ich auf irgendwas vertrauen? Oder muss ich hier eigentlich stets und ständig mit allem rechnen? Weil es wird auch immer wieder gesagt: Naja, also du kannst da zwar jetzt hinziehen, aber wer weiß, wie es dann nächstes Jahr ist. Und deswegen überlege ich jetzt im Moment auch ernsthaft, ob ich nicht zurück nach Deutschland gehe."