Wenn Krankenpfleger Romy Padilla mit seiner Mutter telefoniert, dann klingt es, als wäre er glücklich in Deutschland: Die Patientinnen und Patienten in Berlin seien froh, dass er da sei, erzählt der 30-Jährige. Statt wie früher auf den Philippinen zwölf Stunden durchzuarbeiten, habe er hier feste Pausen und freie Tage. Dazu das gute Gehalt, von dem er einen Großteil in die Heimat schicke. Dass er trotzdem nicht wirklich glücklich ist, verrät er am Telefon nicht:
„Ich sage nichts über meine Probleme hier in Deutschland, weil ich möchte, dass meine Mutter keine Angst hat. Deswegen sage ich erstmal, es ist gut.“
Die Wahrheit aber sieht anders aus. Nach knapp zwei Jahren in Berlin – nach mehreren Deutschkursen und bestandener Fachkraftprüfung – überlegt der studierte Krankenpfleger, Deutschland wieder zu verlassen. Studien zufolge ist er nicht der einzige. Jeder zehnte Eingewanderte verlässt Deutschland im Schnitt wieder. Romy Padilla:
„Erstmal würde ich sagen, das System hier ist gut. Aber muss ich überlegen. Weil ich nicht zufrieden bin. Zum Beispiel bei Urlaubswunsch und Dienstplan sind die ausländischen Kollegen die letzte Priorität. Die deutschen Kollegen sind an erster Stelle. Und ich finde das nicht gut.“
Deutschland wirbt gezielt Fachkräfte an
„Triple Win“, dreifacher Gewinn – so heißt das Programm, mit dem der 30-Jährige vor knapp zwei Jahren nach Deutschland kam. Frei übersetzt steht das für: Vorteile für alle drei beteiligten Parteien. Für Deutschland, das Anwerbeland also, die Fachkräfte und ihre Herkunftsländer. Seit genau zehn Jahren wirbt die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ damit gemeinsam mit der Bundeagentur für Arbeit gezielt Fachkräfte an. Triple-Win-Partnerländer sind Bosnien und Herzegowina, Tunesien, Indonesien, Indien, Vietnam und die Philippinen. Länder also, in denen es gut ausgebildete Menschen wie Romy Padilla schwerhaben, eine Arbeit zu finden – während sie in Deutschland händeringend gesucht werden. Allein im Gesundheitssektor könnten laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC im Jahr 2035 1,8 Millionen Stellen unbesetzt bleiben, weil qualifizierte Kräfte fehlen.
Schon heute sei das Thema Fachkräftemangel in ganz Berlin allgegenwärtig, sagt Martina Henke, Pflegedirektorin beim Krankenhausbetreiber Vivantes: „10.000 offene Stellen im Krankenpflegebereich, also im Krankenhausbereich in Berlin, beschäftigen einen Großteil meiner Mitarbeiter täglich. Und ich würde sagen, bei den Bereichsleitungen – das ist die Ebene, die vor allem für das Recruiting, für die Akquise verantwortlich ist – nimmt das mittlerweile 70 Prozent ihrer Arbeitszeit ein. Und wir arbeiten alle auch mit sogenannten Incentives, dass unsere Mitarbeiter, wenn sie andere Kollegen werben, auf dem leeren Fachkräftemarkt, dass die dann auch einen Bonus bekommen.“
Schon heute sei das Thema Fachkräftemangel in ganz Berlin allgegenwärtig, sagt Martina Henke, Pflegedirektorin beim Krankenhausbetreiber Vivantes: „10.000 offene Stellen im Krankenpflegebereich, also im Krankenhausbereich in Berlin, beschäftigen einen Großteil meiner Mitarbeiter täglich. Und ich würde sagen, bei den Bereichsleitungen – das ist die Ebene, die vor allem für das Recruiting, für die Akquise verantwortlich ist – nimmt das mittlerweile 70 Prozent ihrer Arbeitszeit ein. Und wir arbeiten alle auch mit sogenannten Incentives, dass unsere Mitarbeiter, wenn sie andere Kollegen werben, auf dem leeren Fachkräftemarkt, dass die dann auch einen Bonus bekommen.“
Bundesregierung arbeitet an Neuauflage des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes
Wie fast alle großen Kliniken, wirbt auch Vivantes in den letzten Jahren verstärkt im Ausland um Fachkräfte. Über 270 Mitarbeiter kamen zuletzt aus Vietnam. Noch einmal so viele werden aktuell in Indien, Algerien und Tunesien angeworben. Wenn Martina Henke an den damit verbundenen bürokratischen Aufwand denkt, verdreht sie die Augen. Nicht nur sie ist froh darüber, dass die Bundesregierung derzeit an einer Neuauflage des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes arbeitet.
„Das Gesetz macht Hoffnung, den Prozess der Integration und vor allem den Anerkennungsprozess deutlich zu verkürzen. Mit den entsprechenden Behörden auch schneller in Kontakt zu kommen, schneller Antworten zu bekommen, wenn wir Anträge stellen, das ist unsere große Hoffnung. Der Bedarf ist ja, den habe ich ja eingangs erwähnt, ziemlich groß.“
Tatsächlich sollte bereits das Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Großen Koalition aus dem Jahr 2019 genau hier ansetzen und die Einwanderung vereinfachen. Eingetreten sei eher das Gegenteil, sagt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin:
„Es ist eher ein Verhinderungsgesetz von Zuwanderung. Denn die gegenwärtig gültigen Gesetze setzen die Hürden für Zuwanderung von außerhalb Europas so hoch, dass es fast unmöglich und auch extrem unattraktiv ist, für Menschen nach Deutschland zu kommen. Weil sie sagen, Sie müssen entweder einen unterschriebenen Arbeitsvertrag haben, um nach Deutschland kommen zu können. Wenn Sie das nicht haben, dann müssen sie sehr gute Deutschkenntnisse nachweisen können. Oder wenn sie ohne Arbeitsvertrag nach Deutschland kommen wollen, dann müssen sie nicht nur gute Sprachkenntnisse nachweisen, sondern eben auch noch nachweisen, dass sie genug Geld haben, sich hier selber finanzieren zu können.“
Anerkennung ausländischer Qualifizierungen dauern lange
Hinzu kommen die großen Schwierigkeiten bei der Anerkennung ausländischer Qualifizierungen in Deutschland. In Berlin beispielsweise warteten ausländische Ärzte oft mehrere Jahre bis sie schließlich arbeiten können – sagt der Präsident der Berlin Ärztekammer, Peter Bobbert:
„Zwischen hier ankommen und wirklich die Berufserlaubnis zu bekommen, das dauert sehr, sehr lange – viel zu lange. Und aus meiner Sicht können wir uns das gar nicht leisten, diese ärztlichen Kolleginnen und Kollegen so lange warten zu lassen, weil wir sie brauchen.“
Genau deswegen hat die Bundesregierung eine Fachkräfteeinwanderungsstrategie entwickelt und deren Umsetzung zu einer zentralen Aufgabe erklärt. Mit dem grün-geführten Wirtschaftsministerium, dem FDP-geführten Bildungsministerium und den Arbeits- und Innenministerien unter SPD-Vorsitz sind alle drei Regierungsfraktionen aktiv an der Umsetzung beteiligt.
„Wir sorgen zum einen dafür, dass das bestehende Fachkräfteeinwanderungsgesetz massiv entbürokratisiert wird und Schwellen gesenkt werden“, verspricht Arbeitsminister Hubertus Heil. „Wir sorgen dafür, dass Menschen, die eine Ausbildung haben und Berufserfahrung, nicht aus dem Ausland ein langes Anerkennungsverfahren durchlaufen müssen, sondern dass sie hier in Deutschland arbeiten können und ihr Verfahren hier in Deutschland durchführen können. Wer weiß, wie komplex Berufsanerkennung in Deutschland ist, weiß, das ist ein wichtiger Schritt. Und drittens, wir sorgen mit der Chancenkarte dafür, dass nach einem transparenten Punktesystem moderne Einwanderungspolitik nach Deutschland stattfinden kann. Deutschland braucht in Zukunft alle helfenden Hände und klugen Köpfe.“
Die CSU warnt vor "Zuwanderung in die Sozialsysteme"
Allein für den Gesundheitssektor wären das für das Jahr 2035 bis zu 1,8 Millionen Arbeitskräfte. Doch was für die einen nach einer klaren, erfolgversprechenden Strategie klingt, sorgt bei der Opposition für Kritik. Vor allem die Möglichkeit, in Zukunft auch ohne anerkannte Qualifikation leichter nach Deutschland zu kommen, stößt bei Alexander Throm von der CDU auf Ablehnung: [*]
„Was die Ampel jetzt will, ist, dass sie eine deutliche Reduzierung in der Qualifikation macht. Und das nutzt nicht, weil wir noch sehr viele Menschen in Deutschland haben, die arbeitslos sind, die grundsätzlich aber dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen würden. Auch im Bereich von unqualifizierter oder minderqualifizierten Tätigkeiten. Und hier müsste die Ampel als allererstes ansetzen. Weil, je geringer die Qualifikation ist, die jemand hat, desto größer ist die Gefahr, dass er oder sie dann zum Schluss in den Sozialsystemen landet. Und eine Zuwanderung in die Sozialsysteme wollen wir nicht, das schadet unserer Volkswirtschaft und unserer Gesellschaft insgesamt.“
Ökonom Marcel Fratzscher schüttelt den Kopf, wenn er an diese und ähnliche Aussagen zum Thema Einwanderung in den vergangenen Wochen denkt. Für den Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung steht fest:
„Die deutsche Wirtschaft kann es nicht ohne Einwanderung schaffen, weil die Babyboomer, die in den 60er-Jahren geboren wurden, eben jetzt anfangen, in Rente zu gehen. Und es heißt, wir werden über die kommenden zehn Jahre fünf Millionen Menschen mehr aus dem Arbeitsmarkt verlieren, als junge Menschen nachkommen. Das ist existenziell. Da geht es nicht darum, dass sie ein bisschen weniger wachsen, sondern das ist existenziell für viele Unternehmen. Viele Unternehmen werden pleitegehen. Das heißt: Es wird dringender denn je, dass wir uns öffnen für Zuwanderung aus dem Ausland.“
Ökonom: Deutschland muss offener werden
Genau das aber sei das Problem, sagt Marcel Fratzscher, Deutschland sei eben nicht offen genug. Zu viele Menschen gingen immer noch davon aus, dass sich das Land eher vor Zuwanderung schützen müsse als diese zu forcieren. Tatsächlich aber sei Deutschland längst nicht mehr für alle das vermeintliche Paradies auf Erden:
„Und da liegt das große Problem im Augenblick. Wenn man sich die größte Oppositionspartei im Deutschen Bundestag anhört, bei der der Vorsitzende sofort sagt, wenn wir über Zuwanderung nachdenken, müssen wir erst mal darüber nachdenken, wie wir 300.000 Menschen aus Deutschland abschieben. Dann ist es natürlich wieder ein fatales Signal.“
Ausländische Fachkräfte leiden unter Ablehnung
Ein Signal, das für Verunsicherung und Abwehr sorgt und in der Öffentlichkeit eine Stimmung verstärkt, unter der auch Krankenpfleger Romy Padilla in Berlin immer wieder leidet. Das Gefühl, nicht wirklich willkommen zu sein, verfolge ihn, sagt der 30-Jährige Philippiner:
„Ich bin traurig zu sagen, wenn ich mit einer deutschen Kollegin arbeite, ich fühle mich alleine. Ich fühle, dass es keine Hilfe gibt. Und die anderen ausländischen Kollegen finden das auch. Ich habe ein paar deutsche Kollegen gefragt darüber. Sie meinten, dass vielleicht die ausländischen Kollegen stehlen unseren Job. Ich habe gesagt, nee, wir helfen Sie! Wir sind hier für Hilfe, nicht für Stehlen.“
Romy Padilla hebt ratlos die Hände. Das Getuschel hinter seinem Rücken, die abfälligen Bemerkungen über sein Deutsch, die Zweifel an seiner Qualifikation – trotz Bachelor-Studiums und mehrjähriger Praxiserfahrung – schmerzen ihn. So gut das Gehalt in Deutschland auch ist, ob er langfristig hierbleiben will, weiß er noch nicht.
„Ein paar von meinen Kollegen haben schon versucht, in andere Länder zu bewerben. Zum Beispiel USA. Jetzt lernen sie schon die englische Sprache für die Prüfung auch. Also wenn’s nicht funktioniert, vielleicht gehe ich schon in anderes Land. Vielleicht USA oder London.“
Dass Romy Padilla mit solchen Gedanken nicht allein ist, zeigt ein Blick in die sozialen Medien. Die Hamburger Wirtschaftspsychologin Grace Lugert-Jose verfolgt seit Jahren, wie sich die Stimmung hier entwickelt. Von Deutschland als Paradies sei hier nicht die Rede:
„Sie sind ja wirklich jung, die Pflegekräfte, die herkommen aus dem Ausland, und sind alle gut vernetzt. Wenn jemand da vielleicht auch einmal ganz blöde individuelle Erfahrungen gemacht hat, schreibt derjenige das dann auch in Facebook. Und dann wird das auch sofort verbreitet.“
Im vergangenen Jahr führte Grace Lugert-Jose eine Onlineumfrage unter 109 Pflegekräften durch. „Das Thema war: Wie zufrieden sind die philippinischen Pflegefachkräfte in Deutschland? Und bei dieser Studie ist rausgekommen, dass viele unzufrieden sind“, erklärt sie.
47 Prozent, etwa die Hälfte der Befragten, würden ihren Job nicht an Freunde oder Verwandte in der Heimat weiterempfehlen, so das Ergebnis der Umfrage. Vor allem Heimweh, Diskriminierungen am Arbeitsplatz, aber auch das Gefühl, zu wenig berufliche Wertschätzung zu erhalten, werden von den Pflegekräften als Gründe genannt. Grace Lugert-Jose:
„Es ist ja so, dass die philippinischen Pflegefachkräfte, die herkommen, einen Bachelor-Studiengang absolviert haben. Und wenn sie jetzt nach Deutschland kommen, werden Sie erstmal als Hilfskräfte eingesetzt und gesehen und auch behandelt und bezahlt. Das ist ja wie so ein Rückschritt. Und wie eine Art, könnte man als eine Abwertung auch sehen.“
Jeder zehnte Eingewanderte verlässt Deutschland wieder
Das Ergebnis solcher und anderer Erfahrungen: Mindestens jeder zehnte Eingewanderte verlässt Deutschland wieder, so der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg:
„Und das ist im internationalen Vergleich schon ziemlich hoch. Denn die Demographie, die zieht den Arbeitsmarkt in Deutschland nach unten. Also wir brauchen mittelfristig ein Wanderungssaldo von plus 400.000 Personen pro Jahr, um im Arbeitsmarkt zumindest nicht zu schrumpfen. Aber das bedeutet halt auch, wenn die Abwanderungsquote von zehn Prozent konstant bleibt, dann steigt auch die Abwanderung damit jedes Jahr um 40.000 und dann müsste man im nächsten Jahr noch mal mehr Zuwanderung anziehen. Das geht irgendwann in Bereiche, die als Zuwanderungszahlen überhaupt nicht mehr realistisch sind. Also über zwei Millionen brutto Zuwanderung.“
„Und das ist im internationalen Vergleich schon ziemlich hoch. Denn die Demographie, die zieht den Arbeitsmarkt in Deutschland nach unten. Also wir brauchen mittelfristig ein Wanderungssaldo von plus 400.000 Personen pro Jahr, um im Arbeitsmarkt zumindest nicht zu schrumpfen. Aber das bedeutet halt auch, wenn die Abwanderungsquote von zehn Prozent konstant bleibt, dann steigt auch die Abwanderung damit jedes Jahr um 40.000 und dann müsste man im nächsten Jahr noch mal mehr Zuwanderung anziehen. Das geht irgendwann in Bereiche, die als Zuwanderungszahlen überhaupt nicht mehr realistisch sind. Also über zwei Millionen brutto Zuwanderung.“
Was abstrakt klingt, heißt konkret: Die bestehende Praxis von Anwerben und Bezahlen allein reicht nicht aus. Deutschland müsse die dringend benötigten ausländischen Arbeitskräfte auch langfristig im Land halten, so die Wirtschaftspsychologin Grace Lugert-Jose:
„Weil die Regierung tut so viel, um nicht nur Pflege- oder Fachkräfte allgemein im Ausland zu gewinnen. Und jetzt haben wir sie da, können Sie aber nicht halten. Das ist einfach nicht zu Ende gedacht. Denn die herzuholen, ist anscheinend nicht mehr das Problem, sondern sie hier zu halten.“
Wie kann man Fachkräfte besser in Deutschland halten?
Damit das in Zukunft zumindest im Gesundheitsbereich besser gelingt, bietet Grace-Lugert Jose als interkulturelle Trainerin Workshops zur Integration ausländischer Pflegekräfte für Klinikpersonal an. Ein Grundsatz dabei: Ob Integration gelingt oder nicht, ist kein Zufall. Und schon gar keine Selbstverständlichkeit. Sondern harte Arbeit für alle Beteiligten – die sich allerdings auszahlt, wenn sie professionell begleitet wird.
Wenn das nicht passiert, seien die Folgen für alle Beteiligten schwer. Das weiß auch Tatjana Sambale, ausgebildete Pflegefachkraft und Gewerkschafterin aus Mittelfranken:
„Die Kolleginnen machen an sehr vielen Punkten immer wieder deutlich, dass sie zu wenige sind auf den Wohnbereichen und Stationen in der Pflege, im ganzen Land. Und dann wird oftmals kommuniziert, ja, es werden Kolleginnen aus dem Ausland angeworben. Was aber in der Realität dann leider oft passiert, ist, dass die Kolleginnen kommen, dass sich auf die gefreut wird, natürlich als Entlastung. Und dass die Kolleginnen, die schon auf den Stationen sind, aber erst mal erleben, dass es für sie eine zusätzliche Belastung ist, diese Kolleginnen einzuarbeiten.“
Verantwortlich seien jedoch, so die Gewerkschafterin, nicht die ohnehin überlasteten, unter enormem Zeitdruck stehenden Pflegekräfte. Es seien vor allem die Arbeitgeber, die deutlich mehr Ressourcen für die Integration ausländischer Kolleginnen zur Verfügung stellen müssten. Etwa für die Sprachförderung. Deutschniveau B1 braucht laut Gesetz, wer in Deutschland arbeiten will. Wer das erreicht hat, kann sich vorstellen, vielleicht auch im Supermarkt einkaufen. Solche Kolleginnen dann aber direkt in der Pflege einzusetzen, das sei unverantwortlich gegenüber allen Beteiligten. Tatjana Sambale:
„Wenn ich das Gefühl habe als Fachkraft, ich habe es mit Kolleginnen zu tun, die mich nicht wirklich verstehen, was meine Anweisung in der so zugespitzten Situation ist, wenn es wirklich um das Leben von Menschen um die Gesundheit von Menschen geht. Und ich bin da einfach mit einem sprachlichen Niveau bei meinem Gegenüber konfrontiert, wo ich das Gefühl habe, es ist einer Notfallsituation nicht angemessen, da glaube ich, bräuchten alle Beteiligten wesentlich mehr Unterstützung, dass es eben nicht zu dem bestimmt schwierigen Erleben der ausländischen Kolleginnen und Kollegen kommt.“
Das Problembewusstsein steigt
Immerhin: Das Bewusstsein für die Problematik wachse, so Wirtschaftspsychologin Grace Lugert-Jose. Immer mehr Kliniken und Gesundheitseinrichtungen suchten die Zusammenarbeit mit interkulturellen Trainerinnen wie ihr, um Prozesse neu und besser zu strukturieren. Auch beim Berliner Vivantes-Konzern habe man gelernt, dass es sich zu investieren lohnt. Pflegedirektorin Martina Henke:
„Also wir haben extra dafür Integrationsmanager in unseren Häusern. Diese Integrationsmanager werden auf die Kultur, auf die Ausbildung, die Kollegen haben, noch mal ganz explizit geschult. Dann erfolgt der Auftakt. Wir holen die Kollegen aus den Wohnungen ab, sie haben eine Einführungswoche. Aber gleichzeitig bereiten wir halt auch die Teams auf diese Kolleginnen vor: was kann ihnen begegnen? Wir versuchen die Kollegen in so Mentoring-Programmen oder Buddy-Programme, nennen wir das, mit anderen Kollegen aus dem Team zu matchen, damit die ziemlich schnell auch sozial hier angebunden werden. Also das ist ein riesengroßer Prozess. Und der startet jetzt wieder gerade von vorn.“
Um auch internationalen Fachkräften zu zeigen, wo sich konkret etwas verbessert, hat Grace Lugert-Jose das Siegel „Best places to work for international Nurses in Germany“ entwickelt. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Ausland bewerten hier ihren Arbeitgeber nach bestimmten Kriterien. Neun Einrichtungen wurden bisher ausgezeichnet – und können sich damit nun bei der Anwerbung neuer Fachkräfte im Ausland schmücken. Viele weitere hätten sich daraufhin bereits beworben, so Grace Lugert-Jose. Sie hofft darauf, dass sich der akute Fachkräftemangel als Chance herausstellen wird – für ein neues Miteinander. Ohne das, so glaubt auch Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, wird es nicht gehen:
„Gesetze kann man ändern. Aber man braucht eben auch einen Mentalitätswandel. Das Wichtigste für Zuwanderung ist die Gesellschaft an sich, die Offenheit, die Toleranz, die Wertschätzung für Menschen, die anders sind, und eine ehrliche Chance für die Menschen, die kommen, hier ihr Zuhause aufbauen zu können und Teil der Gesellschaft werden zu können. Und zu sagen, es ist die Verantwortung der Menschen, die hierherkommen, sich zu integrieren. Da machen wir es uns zu einfach.“
[*] Anmerkung der Redaktion: Das Zitat an dieser Stelle war der falschen Person zugeordnet. Das haben wir korrigiert.
Erstsendung: Deutschlandfunk 28.01.2023