Jasper Barenberg: Skeptisch sind die meisten in Deutschland, wenn es darum geht, Soldaten in andere Länder zu schicken, misstrauisch, und die Erfahrung in Afghanistan bestärkt die Ablehnung. Von großen Worten und großen Versprechen war der Einsatz begleitet und endet jetzt doch einigermaßen in Ernüchterung. Insofern passt die in den letzten Jahren viel beschworene Politik der militärischen Zurückhaltung zur pazifistischen Grundstimmung im Land. Zeichnet sich da jetzt eine Kursänderung ab? Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen jedenfalls hat sich dafür ausgesprochen, international mehr Verantwortung zu übernehmen, auch militärisch. Darüber können wir in den nächsten Minuten mit dem SPD-Politiker Hans-Peter Bartels sprechen, dem Vorsitzenden im Verteidigungsausschuss des Bundestages. Schönen guten Morgen, Herr Bartels.
Hans-Peter Bartels: Guten Morgen, Herr Barenberg.
Barenberg: Herr Bartels, ist es Zeit, sich von dieser Doktrin der strikten militärischen Zurückhaltung zu verabschieden, jedenfalls ein Stück zu lösen?
Bartels: Nein, dabei bleibt es für Deutschland. Aufgrund unserer historischen Erfahrung und auch, weil wir in den letzten Jahrzehnten doch gesehen haben, dass es sich sehr bewährt, nicht auf Hurra-Patriotismus zu setzen, wird Deutschland nie das erste Land sein, das den Einsatz militärischer Mittel fordert. Aber wir sind ein Land, das in der Mitte Europas gelegen ist, das größte in Europa, das zweitgrößte in der NATO, natürlich immer gefragt ist, wenn es darum geht, im Umfeld Europas oder auch anderswo auf der Welt Unrecht zu verhindern, damit kein neues Unrecht geschieht.
Barenberg: Das heißt, die Bundesrepublik Deutschland ist in den vergangenen Jahren mehr und mehr hinter dem zurückgeblieben, was man eigentlich von Deutschland erwarten könnte?
Bartels: Na ja. Ich glaube, das was im Moment stattfindet ist, so ein bisschen sich entbehrlich machen. Wir erwarten ja von den Bündnissen, in denen wir Mitglied sind, von der NATO, von der EU, auch von der UNO, dass sie konfliktlösend auf der Welt tätig sind, und wir sind in den Beschlussgremien oft auch selbst dabei, in NATO und EU ohnehin. Dann müssen wir auch, wenn wir finden, hier soll eine EU-Mission zum Beispiel in einem Land Afrikas eingreifen, dann müssen wir auch sagen, all das, was wir anderen EU-Partnern zumuten würden, das müssen wir auch selbst bereit sein zu tun.
Barenberg: Das heißt, die Diskussion darüber und den möglichen Einsatz in Afrika beziehungsweise die Aufstockung des Engagements dort, das sehen Sie schon als ein Signal, dass sich die politische Grundhaltung ein Stück weit ändert?
Bartels: Es ist vielleicht ein kleiner Paradigmenwechsel. Es ist keine große Linienänderung. Uns ist Afrika auch in der Vergangenheit nicht egal gewesen. Wir haben ja bereits in den 90er-Jahren in Somalia Erfahrungen gemacht, wir waren im Kongo mit einer kleinen Mission dabei, wir sind im Sudan seit langer Zeit dabei, wir sind in Mali seit inzwischen einem Jahr. Also es ist nicht so, dass Afrika für uns ein neuer Kontinent wäre. Aber ich glaube, diese Akzentverschiebung, dass wir sagen, wir wollen nicht, dass andere Europäer Alleingänge machen, dann wollen wir lieber, dass die Europäische Union sich auf eine gemeinsame Linie verständigt, aber dann auch das dazu beitragen, was wir von anderen erwarten würden.
Barenberg: Die Verteidigungsministerin, Ursula von der Leyen, hat zur Begründung gerade mit Blick auf die aktuelle Diskussion um den Einsatz in Afrika gesagt, man dürfe nicht wegschauen, wenn es Mord, Vergewaltigung und Menschenrechtsverletzungen gäbe, wenn das an der Tagesordnung ist. Dieses humanitäre Argument, soll das ein zentrales Argument künftig für alle Auslandseinsätze sein?
Bartels: Ja, das ist ein starkes Argument. Wer soll denn helfen, wenn nicht diejenigen, die in der Lage sind zu helfen? Es nützt nichts, nach China oder auch nach Amerika zu schauen. Für die Amerikaner ist Afrika im Moment nicht mehr ein Kontinent, auf dem sie sich vorrangig engagieren wollen. Also es sind die Europäer, auf die man schauen wird, und wir können nicht wegschauen, wenn Flüchtlingselend überhaupt erst produziert wird in Staaten Afrikas, oder wenn es zu Gemetzeln kommt wie vor Jahren in Ruanda, wo die Weltgemeinschaft nicht interveniert hat, wo wir nicht in der Lage waren zu helfen und am Ende es viele Hunderttausend Tote gab.
Barenberg: Dann stellt sich aber sofort die Frage, Herr Bartels: Warum Mali? Warum dann nicht beispielsweise Südsudan?
Bartels: Wir sind ja dort mit engagiert und es gibt Militärbeobachter dort, es gibt ausgehandelte Friedensvereinbarungen auch jetzt gerade wieder in Addis Abeba. Also es ist nicht so, dass Europa sich da nicht mit engagieren würde. Aber wir müssen das tun, was jeweils möglich ist, und es ist ja nicht das gleiche, was wir jetzt auf dem Balkan oder in Afghanistan versucht haben, auf dem Balkan, wie ich finde, ausgesprochen erfolgreich und natürlich für die ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken mit einer Beitrittsperspektive zu Europa. Das gibt es nicht überall auf der Welt. Also auf dem Balkan ein erfolgreiches, sehr massives militärisches Engagement, in Afghanistan eines, das sicher in den Ergebnissen hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. Das machen wir in Afrika jetzt anders: Wir setzen auf regionale Akteure, zum Beispiel die Afrikanische Union im Sudan, oder ECOWAS, die westafrikanische Gemeinschaft in Mali, oder UN-Missionen, und was die Europäer dazu beitragen ist Transport, ist Ausbildung, sind sozusagen ermöglichende Beiträge. Wir wollen nicht selbst die Sicherheitsverantwortung dort übernehmen und wir können es auch nicht.
Barenberg: Ich habe das Beispiel Sudan angesprochen, Herr Bartels, weil ja dort auch viel Elend ist, weil auch da Hunderttausende Menschen auf der Flucht sind und viele gestorben sind in dem Konflikt. Und wenn Sie sagen, das humanitäre Argument ist ein wichtiger, ein ausschlaggebender Maßstab, dann stellt sich natürlich die Frage nach den Grenzen.
Bartels: Ja. Wie gesagt: Dort ist die AU, die Afrikanische Union engagiert. Das ist ein regionaler Zusammenschluss, der ja Verantwortung übernehmen will. Wir wollen solche Zusammenschlüsse stärken, wir wollen dafür sorgen, dass sie das auch immer besser können. Ich sehe nicht eine Intervention im Sudan, die etwa die in Afghanistan mit dem Anspruch antreten würde, für die Sicherheit im ganzen Lande zu sorgen. Das können wir als Europäer nicht.
Barenberg: Der SPD-Verteidigungspolitiker Hans-Peter Bartels live heute hier im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch.
Bartels: Sehr gern!
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