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Auslese kompakt
"Anatomie des Verbrechens"

Mord und Totschlag haben die Menschen schon immer fasziniert. Und schon immer haben sie darüber Geschichten erzählt. Darum verweisen Krimiautoren gern darauf, die Wurzeln ihres Genres lägen tief in der Literaturgeschichte. Dieser Ansicht widerspricht die preisgekrönte schottische Schriftstellerin Val McDermid in ihrem Sachbuch "Anatomie des Verbrechens".

Von Joachim Budde |
    Die Statue von Sherlock Holmes in der Baker Street in London.
    Eine Statue von Sherlock Holmes in der Baker Street in London: Pionier der Forensik in der Kriminalliteratur (picture-alliance / dpa / Timo Jaakonaho)
    "In Wahrheit ist es so, dass die Kriminalliteratur erst mit einem Justizsystem beginnt, das sich auf Beweise stützt. Und das ist es, was die Pioniere dieser Wissenschaft und der Kriminaltechnik uns hinterließen."
    Diese Entwicklung begann erst vor 200 Jahren ernsthafte Fortschritte zu machen: Nachweise für Arsen etwa bereiteten Mitte des 19. Jahrhunderts einer beliebten und verbreiteten Methode für Giftmorde ein Ende. Erfolge wie diese wirkten sich schon damals auf die Kriminalliteratur aus: 1887 betrat Sherlock Holmes die Bühne. Der studierte Chemiker nutzte die damals neuen wissenschaftlichen Methoden als Fundament für seine erstaunlichen Schlussfolgerungen.
    In der Wirklichkeit setzte sich bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts eine wichtige Erkenntnis durch:
    "Das maßgebliche Prinzip der Forensik lautet: 'Jede Berührung hinterlässt eine Spur.' Aber wenn wir diese Spuren nicht analysieren, kategorisieren und verstehen können, tragen sie kaum zur Ergreifung von Verbrechern bei. Genauso wie Wissenschaftler neue Entdeckungen gemacht haben, hat sich auch die Kunst des Aufspürens und der Ermittlungsarbeit weiterentwickelt."
    McDermid beschreibt diesen Wettlauf von Verbrechern und Forensikern von den einfachen Anfängen bis zur Auswertung genetischer und digitaler Spuren. Sie stellt jeden Meilenstein sehr lebendig anhand echter Fälle und charismatischer Wissenschaftler vor.
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Val McDermid auf der Frankfurter Buchmesse 2006 (picture-alliance/ dpa)
    Und sie erzählt vom Auf und Ab der Forensik, von Fehlern und Misserfolgen. Zum Beispiel bei den Fingerabdrücken. Noch immer werden Menschen allein aufgrund dieser Spuren verurteilt. Dabei werden gerade in der Daktyloskopie oft Wahrscheinlichkeiten als Wahrheit verkauft:
    "Wäre die Forensik ein Familie, dann wäre das Fingerabdruckverfahren der eigennützige Großvater, der sich den besten Sessel sichert und versucht, als Einziger das Recht auszuüben, ein Urteil zu fällen, obwohl er keine Ahnung davon hat, dass sich die Zeiten geändert haben."
    Dieses und andere Beispiele werfen zudem ein Schlaglicht auf das angelsächsische Rechtssystem: Denn dort genügt es nicht, gute Beweise zu haben. Der Staatsanwalt muss die Geschworenen auch davon überzeugen, dass sie stichhaltig sind:
    "Bei jedem Fall steht sehr viel auf dem Spiel: Leben und Freiheit. Die Arbeit der Forensiker ist immer wieder höchst faszinierend, und die Menschen, die sich mit ihr beschäftigen, sind absolut fantastisch."
    Alle, die jene Menschen und Methoden kennen lernen möchten, die die Spuren von Verbrechern lesbar machen.
    Die Wirklichkeit ist schrecklicher und komplizierter als der düsterste und vertrackteste Kriminalroman. Val McDermid hat die Geschichte der Forensik in vielen kleinen Krimis aufgeschrieben. Sehr lesenswert.
    Val McDermid: "Anatomie des Verbrechens"
    Knaus-Verlag
    380 Seiten, 14,99 Euro