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Auslese Kompakt
Ein Planet kämpft um sein Leben

Der Zoologe Edward Wilson ist ein Urgestein der Biodiversitätsforschung. Sein neues Buch "Die Hälfte der Erde" ist der letzte Band einer Trilogie über den evolutionären Aufstieg des Menschen - zum Beherrscher und Zerstörer der Erde.

Rezensiert von Sophia Wagner |
    Edward O. Wilson bricht in ein Termiten-Nest, um für eine BBC-Filmproduktion zu zeigen, wie schnell die Insekten in der Lage sind, ihr beschädigtes Heim zu reparieren (1992)
    Edward O. Wilson bricht in ein Termiten-Nest, um für eine BBC-Filmproduktion zu zeigen, wie schnell die Insekten in der Lage sind, ihr beschädigtes Heim zu reparieren (1992) (imago / Nature Picture Library)
    Edward Wilson, emeritierter Harvard-Professor, der oft als "Vater der Biodiversität" bezeichnet wird, zeigt sich in "Die Hälfte der Erde" schockiert vom Narzissmus der Menschen, die andere Arten ausrotten, ohne mit der Wimper zu zucken:
    "Indem wir uns als Beherrscher der Biosphäre und ihre größte Meisterleistung ansehen, halten wir uns für berechtigt, mit dem übrigen Leben ganz nach unserem Gutdünken umzuspringen. Hier auf Erden ist unser Name Macht."
    Wilsons Credo: Der Mensch braucht die Biosphäre, um zu überleben. Doch noch schwerer als der Nutzen wiegt für ihn der ureigene Wert jedes Lebens an sich.
    "Was wir vom Erhalt der Biodiversität haben? Nun, ihr Geschenk an uns ist die Stabilisierung der globalen Umwelt und ihre schiere Existenz. Wir sind ihre Lotsen, nicht ihre Besitzer."
    Erzählungen über die erstaunliche Vielfalt der Bakterien
    Um den Leser im Kampf für die Biodiversität auf seine Seite zu ziehen, erzählt Wilson anschaulich von sklavenhaltenden Ameisen, von Riesenmaulhaien aus der Tiefsee und von der erstaunlichen Vielfalt der Bakterien:
    "Die genetische Vielfalt in der Welt der Mikroorganismen unterscheidet sich stark von der bei den übrigen Lebewesen. Die DNA-Sequenz von Menschen und Kartoffeln sind sich ähnlicher als die von zwei stark divergierenden Bakterienarten."
    Doch diese Vielfalt ist akut bedroht. Wie viele andere Wissenschaftler auch, ist der Autor überzeugt: Der Mensch ist verantwortlich für das sechste große Massensterben seit dem Ursprung irdischen Lebens.
    Wilsons Forderung: Die Hälfte der Erde soll unter Naturschutz
    Weil die Konsequenzen unüberschaubar seien, fordert Wilson einen sofortigen Stopp der Ausrottung. Dafür schlägt er vor, die Hälfte der Erde unter Naturschutz zu stellen:
    "Der hier beschrieben Ansatz ist eine erste Notlösung, die der Größe des Problems angemessen ist: Ich bin überzeugt, dass wir nur dann den lebendigen Anteil unserer Umwelt retten und die für unser eigenes Überleben nötige Stabilität herstellen können, wenn wir den halben Planeten zum Naturschutzgebiet erklären." (Seite 11)
    Leider erklärt Wilson nicht konkret, wie sich dieses Megaprojekt umsetzen lassen würde. Er verweist nur auf den technischen Fortschritt, der es - trotz Halbierung der nutzbaren Flächen - erlauben werde, alle Menschen mit Nahrungsmitteln zu versorgen.
    Doch selbst wenn Wilsons Vision sicher nicht so bald Wirklichkeit wird: Das Massensterben ist real. Will die Menschheit es aufhalten, braucht es sowohl einen ambitionierteren Plan als auch den von Wilson erhofften moralischen Wandel.
    Leichte Neigung zum Pathos
    Empfehlenswert für Naturschützer und Fans visionärer Konzepte, die sich nicht allzu sehr um die profanen Details der Umsetzung scheren.
    Es gibt über zwei Millionen bekannte Arten auf unserem Planeten und mindestens fünf Millionen unbekannte, die wir angesichts des rasanten Artensterbens eventuell nie kennenlernen werden.
    Wilson schreibt manchmal unstrukturiert und neigt zu Pathos. Trotzdem berührt er mit seiner Liebe zur Natur und lässt den Leser so manches Insekt mit mehr Respekt betrachten.
    Buchinfo:
    Edward O. Wilson: "Die Hälfte der Erde: Ein Planet kämpft um sein Leben"
    C.H. Beck Verlag, München 2016, 256 Seiten, 22,95 Euro, ISBN 9783406697852