Archiv

Auslese kompakt: "Wir sind Cyborgs"
Technik, die unter die Haut geht

Manche Leute lehnen jede Art von Piercing ab, andere lassen sich sogar Silikonknubbel unter die Haut operieren. Vielen Leuten fällt es schwer, den Sinn dahinter zu verstehen. Auch Menschen, die sich technische Geräte einpflanzen lassen, stoßen häufig auf Unverständnis. Der Journalist Alexander Krützfeld hat ein Buch über solche Cyborgs geschrieben.

Von Joachim Budde |
    Der US-Amerikaner Tim Cannon hält durch Magnetismus einen Kopfhörermagneten an seinem Finger. Seit dem Frühjahr 2011 trägt Cannon einen Magneten im Finger. Leute mit derartigen Modifikationen bezeichnen sich als "Cyborgs".
    Der US-Amerikaner Tim Cannon trägt einen Magneten im Finger. Er bezeichnet sich als Cyborg. (picture alliance / dpa / Ole Spata)
    Der Journalist Alexander Krützfeld hat sich auf Reportagen aus schwer zugänglichen Milieus spezialisiert. In seinem Buch "Wir sind Cyborgs" nimmt er seine Leser mit in eine Welt, in der Mensch und Technik zunehmend verschmelzen.
    "Cyborgs sind den meisten vermutlich vor allem durch Comics, Science-Fiction und Filme bekannt geworden: Menschen, durch Technik ergänzt, mit übernatürlichen Fähigkeiten."
    Die Realität hinkt der Science Fiction natürlich noch deutlich hinterher. Das belegen die Begegnungen und Gespräche mit Leuten, die sich Magneten oder Funkchips haben implantieren lassen.
    Die meiste Technik, die unter die Haut geht, ist noch rudimentär, aber die Cyborg-Pioniere haben sich viel vorgenommen und wollen Grenzen überschreiten. Der Amerikaner Tim Cannon zum Beispiel will sich Technik einsetzen lassen, mit deren Hilfe er die Schwäche des Fleisches für Alkohol und andere Versuchungen überwinden kann.
    Frankenstein lässt grüßen
    Auch er begann mit kleinen Schritten: Als erstes Implantat hat er 90 Tage lang "Circadia" unter der Haut getragen, eine flache Platine, die seine Körpertemperatur gemessen und ans Smartphone gefunkt hat.
    "Die furchteinflößenden Narben auf der Haut seines Unterarms jedenfalls lassen keinen Zweifel daran – Frankenstein lässt grüßen -, dass die Implantation von "Circadia" mit gewissen Schmerzen verbunden gewesen sein musste."
    Die Freaks, die Alexander Krützfeld porträtiert, sind interessante Menschen, die Grenzen ausloten und verschieben wollen.
    "Cyborgs sind Pioniere. Sie wollen die Geräte, die uns bald vermutlich alle begleiten, testen. Sie wollen sie verstehen. Sie wollen auf Risiken und Vorteile aufmerksam machen und eine sachliche Diskussion darüber führen, wie wir als Gesellschaft damit umgehen wollen."
    Alexander Krützfeld findet letztlich nur einen einzigen echten Cyborg: Neil Harbisson kann seit seiner Geburt nur Grautöne sehen. Eine Kamera an seinem Kopf übersetzt Farben deshalb in Töne. Je kürzer die Wellenlänge des Lichts, desto höher der Ton. Harbisson setzt seine Kamera weder zum Duschen noch zum Schlafen ab. Sogar in seinem Pass ist er damit zu sehen.
    Wunderbar neugierig
    Doch nicht nur schräge Vorreiter erproben Cyborg-Technik, sondern auch Institutionen wie das Militär. Exoskelette sollen Soldaten ausdauernder und stärker machen. Aber auch auf dem Bau sollen solche Hilfen künftig zum Einsatz kommen, meint der Autor.
    Alexander Krützfeld ist wunderbar neugierig und dabei angenehm unaufgeregt. Er nimmt uns mit zu Menschen, die die vielfältigen Facetten des Themas lebendig machen - das Potenzial Künstlicher Intelligenz, die Grenzen des menschlichen Körpers, ethische Probleme, Angst. Der Journalist stellt ganz einfache Fragen, aber es sind die richtigen Fragen bei den richtigen Leuten – auch Wissenschaftler, die sich mit technischen und philosophischen Aspekten rund um Cyborgs beschäftigen.
    "Zwar gehen alle Forscher, die ich für mein Buch getroffen habe, davon aus, dass der Durchbruch noch nicht unmittelbar bevorsteht und die Zeitenwende noch auf sich warten lässt. Aber es könnte sein, dass wir uns auf der kurzweilschen Kurve befinden, die sich erst ab dem Scheitelpunkt bemerkbar macht - und der dann eine rasend schnelle Entwicklung folgt."
    Genauso sei es auch beim Internet gewesen, schreibt der Autor.
    Leute, die ihre Ideen über Cyborgs mit der Realität abgleichen wollen.
    Wir stehen auf der Schwelle zur Zukunft. Es fehlt eigentlich nur noch, dass wir uns unsere Smartphones implantieren lassen.
    Ein Buch voller Witz und Grusel, das sich in einem Rutsch durchlesen lässt.
    Alexander Krützfeld: "Wir sind Cyborgs. Wie uns die Technik unter die Haut geht"
    Verlag Blumenbar. 208 Seiten, 15 Euro.