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Auslöser war ein Diplomatennachruf

Der Nachruf auf den Diplomaten Franz Nüßlein brachte alles ins Rollen. Das Ergebnis ist die Studie über die Haltung des Auswärtige Amts unter dem NS-Regime. Und diese sieht anders aus, als bisher in der Öffentlichkeit dargestellt.

Von Godehard Weyerer |
    "Ich bin bereit, einen Strich unter die Sache zu ziehen, wenn ich merke, dass ein neuer Wind, ein neuer Geist in das Auswärtige Amt einzieht. Aber unter diesen Umständen und nachdem …Wie bitte?"

    Zwischenrufe prägten die hitzige Debatte im Deutschen Bundestag; personelle Missstände im Auswärtigen Amt standen auf der Tagungsordnung:
    "Ich habe schon einmal gesagt, dass das unter dem Herrn Bundeskanzler kaum infrage kommen dürfte."

    Der Untersuchungsausschuss Nr. 47 legte am 22. Oktober 1952 seinen Abschlußbericht dem Plenum zur Aussprache vor. Dass die Schlüsselpositionen zu zwei Dritteln mit früheren Diplomaten und PGs, mit Parteigenossen der NSDAP, besetzt waren, konnte auch Konrad Adenauer nicht leugnen. Der Bundeskanzler, der in den ersten Jahren zugleich auch Außenminister war, nahm es gelassen:

    "Man kann doch ein Auswärtiges Amt nicht aufbauen, wenn man nicht wenigsten zunächst an den leitenden Stellen Leute hat, die etwas von der Geschichte von früher her verstehen."

    58 Jahre später. Das Auswärtige Amt kehrte inzwischen nach Berlin zurück – nicht an den alten Standort in der Wilhelmstraße. Das neue Domizil liegt am Werderschen Markt in Berlin-Mitte. Dem Bundesaußenminister haben heute Vormittag vier Historiker ihren Bericht übergeben. Wäre denn in jenen Jahren ein Aufbau des Auswärtigen Dienstes mit unbelastetem Personal überhaupt machbar gewesen? Der Israeli Moshe Zimmermann war einer von vier Mitgliedern in der Kommission:

    "Wie bei den anderen Berufen war das eher unmöglich. Die Leute, die 1951 und später im Auswärtigen Amt dienen sollten, mussten alle in der Nazi-Zeit oder vorher aufgewachsen und als solche wären sie schon mehr oder weniger zu den Belasteten gehören. Leute, die nicht unbedingt die größten Täter, waren, aber Teilnehmer an dem, was damals geschah."

    Die Diplomaten in der Weimarer Republik waren in der Regel deutsch-national gesinnt und hatten für die parlamentarische Demokratie zeitlebens nur Verachtung übrig. Sie waren begeistert vom Versprechen der Nationalsozialisten, Deutschland zu erneuern und vom Joch der Versailler Vertrages zu befreien. Dass hierfür die deutsche Rasse von jüdischen Einflüssen gereinigt werden müsste, nahmen viele von ihnen billigend in Kauf oder befürworteten es, manche gar vehement. Neben Moshe Zimmermann zählte der US-Amerikaner Peter Hayes und Norbert Frei aus Jena zur Kommission sowie als deren Sprecher der Marburger Historiker Eckart Conze:

    "Man muss fragen, es hat keine Aufarbeitung gegeben. Es gab Ansätze. Ich erinnere an den Untersuchungsausschuss 1952. Aber im Grunde genommen war damit die Auseinandersetzung mit dieser Kontinuitäts-Problematik abgelaufen."

    Adenauer wollte ein neues Außenministerium aufbauen, das mit den alten Leuten möglichst wenig zu tun haben sollte. Eckart Conze:

    "Es ist anders gekommen, weil eine wichtige Kerngruppe von Wilhelmstraßen-Leuten es geschafft hat, schon in der Aufbauphase des auswärtigen Dienstes in der Bundesrepublik Schlüsselstellungen in diesem zu entstehenden Dienst setzten – nicht zuletzt in der Personalabteilung. Um diese Schlüsselpositionen, wo Adenauers außenpolitischer Berater Herbert Blankenhorn eine wichtige Rolle spielte, entstanden diese alten Seilschaften, die ein hohes Maß an personeller Kontinuität vom alten auswärtigen Dienst vor 1945 in den neuen diplomatischen Dienst der Bundesrepublik hinein konstituieren."

    Herbert Blankenhorn, von 1929 bis 1945 Legationsrat erster Klasse in der Protokollabteilung, NSDAP-Mitglied seit 1938 und ab 1951 Leiter der politischen Abteilung im Bonner Auswärtigen Amt. Gegenüber der britischen Presse versicherte Blankenhorn, kein einziges ehemaliges Mitglied der Partei werde in den Auswärtigen Dienst der Bundesrepublik eingestellt. Da praktisch der gesamte ehemalige Konsulardienst in der Partei gewesen war, mussten neue Männer gefunden werden. Der Bericht der Historiker-Kommission zitiert aus dem Interview und ergänzt:

    "Seine Dienststelle unternahm zu dieser Zeit in der Tat erhebliche Anstrengungen, um eine neue Generation von Diplomaten auszubilden. Die Ausführungen zur Parteimitgliedschaft hingegen können nur als Augenwischerei beschrieben werden, denn der unaufhaltsame Rückstrom der "Ehemaligen" hatte zu diesem Zeitpunkt bereits unumkehrbare Tatsachen geschaffen."

    Dazu Eckart Conze:
    "Beispielsweise Fritz Kolbe, ein wichtiger und einer der wenigen Oppositionellen, bekommt keinerlei Chance zur Wiederaufnahme. Er gilt bis in die 70er- und 80er-Jahre als Landesverräter und wird erst interessanterweise nach 2000 unter Minister Fischer offiziell rehabilitiert."

    Im September 2004 weihte Außenminister Joschka Fischer einen Fritz-Kolbe-Saal im Berliner Amtssitz ein. Der Top-Spion hatte während des Krieges eine Liste angefertigt, auf der er die führenden Diplomaten im Dritten Reich persönlich beurteilte. Die maschinenschriftliche Aufstellung entdeckte die Kommission während ihrer Archivarbeit. 133 der 241 aufgeführten Beamten stufte er als "ungeeignet" und "aus dem Dienst zu entfernen" ein. Einer von ihnen, Otto Köcher, früherer Konsul in Barcelona, beging in alliierter Internierungshaft Selbstmord. Der vermeintlich Schuldige war schnell gefunden.

    "Am Ende scheiterte Kolbes Wiedereinstieg in den Auswärtigen Dienst vor allem an Blankenhorn, der bis Juni 1943 einer der engsten Mitarbeiter von Köcher gewesen war."

    Kein Einzelfall konstatieren die Historiker. Vor vier Jahren nahm die Kommission ihre Arbeit auf. Vorangegangen war ein offener Affront gegen den Minister. Ludger Volmer, Staatsminister im Auswärtigen Amt unter Joschka Fischer, erinnert sich:

    "Zum Eklat kam es, als routinemäßig ein ehrender Nachruf in einem internen Mitteilungsblättchen des Auswärtigen Amtes auf einen verstorbenen Diplomaten abgedruckt wurde, der ebenfalls eine sehr belastende NS-Vergangenheit hatte. Franz Nüßlein hieß er. Daraufhin gab es massive Proteste von außen. Fischer hat daraufhin die Praxis dieser Nachrufe gestoppt. Und der Erste, auf den kein Nachruf mehr verfasst wurde, war ein Mensch namens Franz Krapf, ebenfalls eine NS-Größe, die es in den Dienst des Auswärtigen Amtes geschafft hat. Als Krapf seinen Nachruf nicht bekam, da kamen viele der alten Traditionalisten aus dem Busch und haben Fischer heftigst angegriffen und beschimpft, weil Fischer das Selbstverständnis des Auswärtigen Amtes, die Beschönigung der eigenen Rolle im NS-Staat beendet hatte. Das gefiel einigen der Traditionalisten überhaupt nicht."

    Eckart Conze zum selben Thema:

    "Oder nehmen Sie einen anderen Fall, viel schwerer belastet, Werner von Bargen. Auch er vor 1945 im Auswärtigen Dienst, kein Ribbentrop-Mann, ein Diplomat alter Schule, der 1941 und 42 als Vertreter des Auswärtigen Amtes in Belgien mitwirkte an der Deportation von Juden nach Osten zur Vernichtung. Von Bargen durchläuft bis zu seiner Pensionierung in den 60er Jahren eine wunderbare diplomatische Karriere, die ihn bis zum Botschafter-Posten in Bagdad führt."

    Diplomaten wie Ulrich von Hassell und Adam von Trott zu Solz, die sich dem Widerstand angeschlossen hatten und dafür mit dem Leben bezahlten, bleiben im Bericht der Historiker-Kommission nicht unerwähnt. Die Historiker-Kommission findet da klare Worte. Der nun vorgelegte Bericht soll in der Diplomaten-Ausbildung Pflichtlektüre werden.